Thomas Hacker im Gespräch über den vom ihm initiierten Aufruf zur Solidarität mit russischen Kriegsgegnern und Antifaschistinnen

»Die Risiken sind erheblich«

Antifaschist:innen und Kriegsgegner:innen werden in Russland mit aller Härte verfolgt. Im ersten Jahr des Kriegs sind dem russischen Bürgerrechtsportal OVD-Info zufolge fast 20.000 Oppositionelle inhaftiert worden. Nun ruft die Petition mit dem Titel »Aufruf zur Solidarität mit verfolgten Antifaschist:innen und Kriegs­geg­ner:in­nen in Russland« auf der Plattform »Open Petition« zur Solidarität mit verfolgten und unterdrückten progressiven Kräften in Russland auf. Die »Jungle World« sprach mit dem Initiator der Petition, ­Thomas Hacker.
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Er habe »noch keinen guten Russen getroffen«, hat der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, kürzlich gesagt. Ähnliches hört man oft in der Ukraine, gemeint ist, dass auch die russische Opposition es lang versäumt habe, gegen Wladimir Putin vorzugehen, und es auch heute keine breite Friedensbewegung gebe. Sie haben engen Kontakt zur russischen Linken. Was halten Sie von solchen Aussagen?
Solche Pauschalisierungen, die ja, wenn man sie zu Ende denkt, immer nur im Nationalismus enden können, lehne ich ab. Die linke Opposition in Russland ist natürlich eine vielfältige, wie in jedem anderen Land der Welt. Auch in Russland gibt es viele Diskussionen, oft auch Streit und Spaltung, im Moment vor allem über die Ursachen des derzeitigen Annexionskriegs. Doch die putin- und systemkritische Linke gab es immer, auch wenn sie meist schwach war.

Ein nicht unwesentlicher Teil der deutschen Linken zeigt Verständnis für Putin. Solidaritätserklärungen mit russischen Oppositionellen gibt es bisher weniger. Wen wollen Sie mit Ihrem Aufruf ansprechen?
Die Kampagne ist prinzipiell offen für alle, die sich als antifaschistisch verstehen und den russischen Eroberungskrieg ohne Einschränkung benennen und verurteilen. Wir wollen uns von den unsäglichen Relativierungen der russischen Invasion, die im Umlauf sind, klar distanzieren. Die eigentlichen Adressat:innen aber sind die Antifaschist:innen und Kriegsgegner:innen in Russland. Sie lesen oft mit Entsetzen und großer Verwunderung in der deutschen »linken« Presse, dass man dem Putin-Regime entgegenkommen müsse, dass die Ukraine ja auch schuld sei. Im persönlichen Kontakt habe ich immer wieder mitbekommen, wie enttäuscht manche von ihnen deshalb sind. Sie kämpfen bei sich zu Hause gegen eine ­extrem reaktionäre Entwicklung und fühlen sich nicht selten ein bisschen verlassen. Ihnen wollen wir zeigen, dass es in Deutschland auch noch Kräfte gibt, die mit ihnen solidarisch sind.

Gibt es Risiken für die Adressat:innen der Petition? Könnten sie aufgrund der Solidaritätserklärung beispielsweise zu »ausländischen Agenten« ernannt werden?
Ja, die Risiken sind erheblich. Das System wird immer repressiver. Deshalb wird auf unserer Kampagnen-Seite niemand konkret ­benannt. Angesprochen werden »Gleichgesinnte in Russland«. Wir selbst verschicken den Link an einige wenige Adressen. Die weitere Verteilung wird dann dort über eigene Kanäle der Opposition geschehen.

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, russische Anti­faschist:in­nen zu unterstützen, ob sie nun im Gefängnis oder auf freiem Fuß sein mögen?
Das ist eine schwierige Frage. Kommunikation ist nur mit denjenigen möglich, die auf freiem Fuß sind, und auch nur dann, wenn eine Vertrauensbasis vorhanden ist. Ich kann mir vorstellen, mit Einladungen und Bürgschaften die Visa-Erteilung für sie zu ermöglichen. Die meisten wollen zwar nicht ausreisen, weil sie in Russland etwas verändern möchten, aber manchmal bleibt ihnen keine andere Wahl.

Zur Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/aufruf-zur-solidaritaet-mit-verfolgten-antifaschistinnen-und-kriegsgegnerinnen-in-russland-2