Eine Ausstellung über die jüdischen Gründer Hollywoods sorgt für Aufsehen

Wie man an wen erinnert

In Hollywood ist ein Streit über die frühen Filmmogule entbrannt: Einer Ausstellung über die jüdischen Gründer der großen Studios wurde Antisemitismus vorgeworfen. Tatsächlich haben sich die Studiobosse so manchen Fehlverhaltens schuldig gemacht – an sie erinnern muss man dennoch.

Ohne Harry Cohn, Produzent, Mitgründer und Leiter des Filmstudios Columbia, wäre die Filmgeschichte um einige großartige Filme ärmer. Fehlen würde zum Beispiel die fünffach oscarprämierte, 1934 erschienene Screwball-Komödie »It Happened One Night« von Frank Capra mit Clark Gable in der Hauptrolle. Oder der Abenteuerfilm »Only Angels Have Wings« von 1939 in der Regie von Howard Hawks, der Rita Hayworth an der Seite von Cary Grant zum Durchbruch verhalf. Auch der 1934 in die USA emigrierte Fritz Lang drehte einige seiner bedeutendsten Hollywood-Filme für Columbia ­Pictures, darunter seinen Film-Noir-Klassiker »The Big Heat« (1953).

Cohn war bekannt für sein kreatives Gespür. Columbia Pictures, das in diesem Jahr sein 100jähriges Jubiläum feiert, galt im goldenen Zeit­alter Hollywoods als Talentschmiede, in der sich junge Filmemacher wie Hawks, Don Siegel oder Raoul Walsh ausprobieren und auch Risiken eingehen konnten. Ein Ort für künstlerische Freiheit, die im streng kalku­lierenden Studiosystem Hollywoods keine Selbstverständlichkeit war. Auch für Frauen ergaben sich große berufliche Möglichkeiten. So verhalf Columbia Pictures der lesbischen Dorothy Arzner, der wohl die wichtigsten Filmemacherin jener Zeit, zu ihrer Karriere als Regisseurin.

In einem offenen Brief ist von einer »verachtens­werten Doppelmoral« die Rede, die »nur die Juden für diese problematische Vergangenheit verantwortlich macht«.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Harry Cohn ein Widerling war. Sein Büro soll dem des italienischen Diktators Benito Mussolini nachempfunden gewesen sein (auch ein si­gniertes Foto des Diktators soll sich auf dem Schreibtisch des Studiobosses befunden haben), um jeden einzuschüchtern, der es betrat. Es war kein großes Geheimnis, dass er von seinen weiblichen Stars als Gegenleistung für eine Anstellung Sex verlangte und erwartete. Nachdem Rita Hayworth dies abgelehnt hatte, soll er sie gestalkt und ihre Garderobe verwanzt haben.

Wie würdigt man jemanden wie Harry Cohn für seine Verdienste um den Film, ohne Geschichtsklitterung zu betreiben? Diese Frage muss sich derzeit das Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles stellen, das im Mai seine Dauerausstellung »Hollywoodland: Jewish Founders and the Making of a Movie Capital« eröffnete. Denn Cohn, Kind deutsch-jüdischer Einwanderer, zählt zu einer Riege überwiegend jüdischer Filmmogule, die mit der Gründung des US-amerikanischen Studiosystems Hollywood zum ­Zentrum filmischer Erzählkunst machten.

»Tyrann« und »Raubtier«

Das Academy Museum entschied sich dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Harry Cohn wird in der Ausstellung als »Tyrann« und »Raubtier« beschrieben, und er war nicht der einzige Studioboss mit zweifelhaftem Charakter. Louis B. Mayer, russisch-jüdischer Einwanderer und Mitgründer von Metro-Goldwyn-Mayer, soll Judy Garland, die damals erst 16jährige Haupt­darstellerin in »The Wizard of Oz« (1939), wiederholt betatscht und belästigt haben. Jack Warner, Sohn ­polnisch-jüdischer Einwanderer, wird als »dreist und respektlos« und als »Frauenheld« bezeichnet. Von Carl Laemmle, deutsch-jüdischer Einwanderer und Mitgründer der Universal Studios, heißt es, dass seine »Freundlichkeit und Vetternwirtschaft ihm den Spitznamen Onkel Carl« einbrachten.

Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Anfang Juni äußerte sich eine Gruppe namens United Jewish Writers in einem offenen Brief mit rund 350 Unterzeichnern – darunter der Schauspieler David Schwimmer (»Friends«), die Autorin, Regisseurin und Produzentin Amy Sherman-Palladino (»Gilmore Girls«, »The Marvelous Mrs. Maisel«) und der Produzent Lawrence Bender (»Inglourious Basterds«). Darin finden sich harsche Worte über die Ausstellung. Es ist von einer »verachtenswerten Doppelmoral« die Rede, die »nur die Juden für diese problematische Vergangenheit verantwortlich macht« und »antisemitisch« sei, »absichtlich oder nicht«. Weiter wird Anstoß daran genommen, dass die Ausstellung »der einzige Bereich des Museums ist, der diejenigen verunglimpft, die er zu feiern vorgibt«.

Das Problem der fehlenden Würdigung der jüdischen Gründer Hollywoods begann jedoch bereits mit der Planung des Academy Museum, das 2021 eröffnet wurde. Die Leitung versäumte es, die jüdische Vergangenheit Hollywoods ausreichend zu würdigen, was sich nur mit mangelndem Interesse erklären lässt. Ein Großteil von Hollywoods Filmpionieren ist aufgrund von Armut und ­antisemitischer Verfolgung aus Osteuropa nach Amerika emigriert. Dazu zählen Persönlichkeiten wie Szmuel Gelbfisz, der seinen Namen in Samuel Goldwyn änderte, Lazar (oder Eliezer) Meir, der zu Louis B. Mayer wurde, oder die vier Brüder Wonskolaser, die sich in Warner Brothers umbenannten.

Wie in den alten Schtetl-Tagen

Auf die fehlende Würdigung jüdischer Studiogründer in Hollywood reagierte das Museum mit der nun kritisierten Dauerausstellung, die für einige wie eine Behelfslösung anmutet. Lawrence Bender kommentierte der Los Angeles Times zufolge, die kleine Ausstellung im obersten Stock des Museums fühle sich an »wie in den alten Schtetl-Tagen, in einem jüdischem Ghetto«. Auch der Verweis auf Harry Cohns Mussolini-Verehrung löste bei Bender Erstaunen aus: »Ich hatte das Gefühl: ›Wow, das ist es, was sie auswählen‹«, ­sagte er bezogen auf die Kürze der Ausstellungstexte, in denen die »­negativen Seiten« der Persönlichkeiten überproportional erwähnt würden.

Das Academy Museum reagierte wiederum auf die Kritik und ließ Anfang Juni verlautbaren: »Wir werden die erste Reihe von Änderungen sofort umsetzen – sie erlauben es uns, diese wichtigen Geschichten zu erzählen, ohne Formulierungen zu verwenden, die unbeabsichtigt ­Stereotype verstärken könnten.« Eine Gruppe von Experten soll das Mu­seum in komplexen Fragen zum Kontext und der Ausrichtung der Ausstellung beraten. Anstelle von »Tyrann« und »Raubtier« wird Harry Cohn in der Ausstellung nun als »autoritär« bezeichnet. Währenddessen warf der Autor Michael Schulman in einem Meinungsartikel für den New Yorker die grundsätzliche Frage auf, ob Hollywoods jüdische Gründer es überhaupt wert seien, verteidigt zu werden. Auf X bezeichnete er die Überarbeitung der Ausstellung indirekt als »whitewashing«.

#OscarsSoWhite und #MeToo

Für die Academy of Motion Pictures verdeutlicht die aufgeheizte ­Debatte die Herausforderungen, mit denen sie und auch ihr Museum konfrontiert sind. Welche Geschichte Hollywoods soll erzählt werden und welche ist überhaupt akzeptabel, zumal auch die Geschichte der Academy von Rassismus und Sexismus geprägt ist?

Eine Aufarbeitung ließen auch Hashtag-Kampagnen wie #OscarsSoWhite und #MeToo immer dringlicher erscheinen. Es hilft freilich wenig, vergangene Ereignisse an heutigen Anschauungen und Konzepten zu messen und sie danach zu beurteilen – ein Vorwurf, den jüdische Filmemacher auch »Hollywoodland« machen.

Es gibt aber auch positive Wortmeldungen zur Ausstellung. Sharon Rosen Leib, eine Urenkelin des ehemaligen Fox-Filmproduktionschefs Sol M. Wurtzel, äußerte sich in der jüdisch-amerikanischen Publikation The Forward anerkennend darüber, dass die Ausstellung es trotz der grässlichen Seiten von Hollywoods Gründern nicht vergesse, deren Bedeutsamkeit für die Filmgeschichte hervorzuheben: »Dennoch hinter­ließen sie ein bleibendes Vermächtnis von Geschichten über marginalisierte Außenseiter und Einwanderer, das bis heute Bestand hat. Die langerwartete Ausstellung Hollywoodland des Academy Museums fängt die Menschlichkeit der jüdischen Gründungsmogule mit vielen Nuancen und großem Einfühlungsver­mögen ein.«