Über die steile Karriere des Aktivisten

Aktivismus bringt den Stein ins Rollen

Sprachkritik. Früher waren alle Menschen Künstler, heute ist man Aktivist.

Im Kapitalismus darf die Selbstverwertung des Werts bekanntlich nie zur Ruhe kommen. Rastlose Aktivität erscheint ihm daher nicht, wie in früheren Epochen, als Fluch, sondern als Segen: Er stellt sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vor, schließlich hat er einen sicheren, unbefristeten Arbeitsplatz, der sogar ein hervorragendes Workout beinhaltet. Sitzen ist ja das neue Rauchen, Sisyphos aber ist vor beidem gefeit.

Der politische Sisyphos heißt heutzutage Aktivist. Man weiß nicht recht, warum er tut, was er tut, aber er tut es mit Eifer; er wird wohl ein Ziel haben, doch er erreicht es nie. Was auch immer man von ihm hält, man muss zumindest anerkennen, dass er sich keine Ruhe gönnt und sich aufopfert.

Und er ist längst überall: Den Umweltschützer nennt man jetzt Umweltaktivist, die Menschenrechtlerin Menschenrechtsaktivistin, aus der Antirassistin ist eine antirassistische Aktivistin geworden, aus dem Oppositionellen ein Oppositionsaktivist und so weiter.

Der Aktivismusbegriff birgt jedenfalls noch einiges an Potential. Man denke etwa an das Konzept des aktivierenden Sozialstaats, das dessen Klienten keck reclaimen könnten: »Sozialschmarotzer? Ich bevorzuge die Bezeichnung ›Bürgergeldempfangsaktivist‹!«

Zusätzliche Information vermittelt das nicht, aber ein buzzword untergebracht zu haben, ist ja an sich schon was wert. Wo von Aktivisten sans phrase die Rede ist, lässt sich der Ausdruck zwar schwieriger vermeiden, allerdings nicht zuletzt deshalb, weil man kaum weiß, was er aussagt, außer eben dass jemand sich irgendwie engagiert. (Engagement, die Älteren werden sich noch erinnern, war der Aktivismus der Achtziger.)

Genau genommen kann man ja nicht nichts tun, und dass auch das Private, also letztlich eigentlich alles politisch ist, ist ohnehin klar. So gesehen ist jeder irgendwie Aktivist, so wie früher mal jeder Mensch ein Künstler war (vermutlich Aktionskünstler). Was nebenbei die Frage aufwirft: Wenn einst die Loveparade rechtlich als Demonstration Schutz genoss, warum nicht heute Klima­kleben als Street Art?

Der Aktivismusbegriff birgt jedenfalls noch einiges an Potential. Man denke etwa an das Konzept des aktivierenden Sozialstaats, das dessen Klienten keck reclaimen könnten: »Sozialschmarotzer? Ich bevorzuge die Bezeichnung ›Bürgergeldempfangsaktivist‹!«

Die Alkoholikerin braucht nur politisches Sendungs­bewusstsein, schon wird sie zur Trink­aktivistin; dass sich niemand mehr als Intellektueller bezeichnen will, ließe sich durch ein rebranding als Denkaktivist beheben; und was ist ein Faulenzer anderes als ein schlecht vermarkteter Passivitäts­aktivist?