In aller Freundschaft
Viktor Orbán sieht sich als Mann der Stunde. So präsentierte sich Ungarns Ministerpräsident jedenfalls in einem kurzen Videoclip, das wortlos bleibt und nur mit dramatischer Musik unterlegt ist. Die Bilder zeigen ihn am Freitag vergangener Woche beim Flug nach Moskau, bei dem Empfang im Kreml und der gemeinsamen Abschlusspressekonferenz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Am Schluss wird für den Bruchteil einer Sekunde auch noch das Logo der EU eingeblendet, wohl um den Eindruck zu erwecken, dass Orbán als Vermittler im europäischen Auftrag unterwegs war. Allerdings begab er sich auf eigene Initiative auf die von ihm so genannte »Friedensmission«, die ihn zunächst nach Kiew, dann nach Moskau und von dort weiter nach Peking führte. Zum Abschluss steht Washington auf seiner Reiseroute.
Viktor Orbán inszeniert sich nun als Ausnahmepolitiker, dem es im Unterschied zu anderen Ländern gelinge, politische Kontakte mit Russland zu unterhalten.
Kaum hatte Ungarn zu Monatsbeginn turnusmäßig den Vorsitz im Europäischen Rat übernommen, wechselte Orbán wie selbstverständlich auf die ganz große politische Weltbühne. Er inszeniert sich nun als Ausnahmepolitiker, dem es im Unterschied zu anderen Ländern gelinge, politische Kontakte mit Russland zu unterhalten. »Ungarn wird bald das einzige Land in Europa sein, das mit allen sprechen kann«, sagte er seinem Gesprächspartner Putin, doch ist diese Botschaft als Seitenhieb gegen die EU zu interpretieren. Putin schlug in die gleiche Kerbe und begrüßte Orbán explizit nicht nur als langjährigen Partner, sondern auch als amtierenden Ratspräsidenten, somit als Vertreter der EU.
Aus den EU-Institutionen und den Mitgliedsstaaten hagelte es Kritik an Orbáns Alleingang: Der allgemeine Tenor war, dass Orbán die Einigkeit in der Ukraine-Frage innerhalb der EU gefährde und damit auch den Weg versperre, eine dauerhafte Friedenslösung zu finden. Die estnische Ministerpräsidentin und designierte EU-Außenbeauftragte, Kaja Kallas, warf Orbán vor, den Ratsvorsitz auszunutzen.
Lob von der AfD-Bundestagsfraktion
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stellte klar, dass er niemand akzeptiere, der sich als Vermittler aufspiele, allein ein koordiniertes Vorgehen vieler Länder könne Putin dazu bewegen, den Krieg zu beenden. Gegen die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock erlaubte sich die ungarische Regierung einen regelrechten Affront. Baerbock hatte geplant, am Montag zu Gesprächen nach Budapest zu fliegen und wurde kurzfristig ausgeladen. Die AfD-Bundestagsfraktion lobte hingegen Orbáns Russland-Reise ausdrücklich für angeblich dahintersteckende Bemühungen um Frieden.
Im Interview mit der Bild-Zeitung sagte Orbán, »es wäre Heuchelei«, würde sich ein Ratspräsident nicht mit der Frage beschäftigen, wie man dem Frieden näherkommen könne. Dabei betonte er seine starke moralische und politische Motivation. Allerdings verfügt Orbán weder über einen Friedensplan, noch lieferte sein Vorstoß neue Erkenntnisse, geschweige denn einen realistischen Ansatz für Friedensgespräche.
Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow erläuterte am Montag, wie Putin zu Orbáns »Friedensmission« stehe. Orbán unternehme tatsächlich ernsthafte Anstrengungen, um die Perspektiven der unterschiedlichen Seiten aus erster Hand gegenüberzustellen. »Wir schätzen das«, so Peskow. Eine Botschaft habe Putin jedoch weder für US-Präsident Joe Biden noch für die Mitgliedstaaten der Nato parat. Gegen Verhandlungen habe sich Russland nie gewehrt, im Gegenteil, behauptete der Kreml.
Raketenbeschuss auf ein Kinderkrankenhaus
Wie unzählige Male zuvor hat Putin deutlich gemacht, dass für ihn nur eine einzige Option in Frage kommt, um den Krieg zu beenden: Die Ukraine muss ihre Truppen aus den von Russland beanspruchten Gebieten komplett abziehen. Einen vorübergehenden Waffenstillstand zieht Putin allein schon deshalb nicht in Betracht, weil dieser dem Gegner nutzen würde. Selenskyj äußerte sich ähnlich, wenn auch aus entgegengesetzter Perspektive. Für die Zurückeroberung der an Russland verlorenen Territorien fehlt es den ukrainischen Streitkräften zwar an Schlagkraft, dank westlicher Militärhilfen gelingt es ihnen immerhin, den Angreifer in Schach zu halten und russische Raketen größtenteils abzuwehren.
Russland bombardiert jedoch weiterhin zivile Objekte und sorgt damit für erhebliche Zerstörung der Infrastruktur. Am Montag kamen nach Raketenbeschuss in Kiew und Krywyj Rih 31 Menschen ums Leben, wobei nicht nur Wohnhäuser in der ukrainischen Hauptstadt getroffen wurden, sondern auch ein Kinderkrankenhaus.
Indien wartet auf russische S-400-Raketensysteme
Kurz nach Orbáns Abreise traf Indiens Premierminister Narendra Modi auf seiner ersten Auslandsvisite seit seiner Wiederwahl in Moskau ein. Seine hindunationalistische Bharatiya Janata Party verlor bei den Parlamentswahlen vor über einem Monat zwar die absolute Mehrheit, Modi regiert jedoch in dritter Amtszeit mit Hilfe von Bündnispartnern im Parlament weiter. Bei seinem Besuch ging es in erster Linie um Rüstungsfragen, aber auch um eine bessere Kooperation bei Zahlungsströmen zwischen beiden Ländern. Denn die braucht es für eine reibungslose Bezahlung russischer Energieträger, die Indien günstig einkauft.
Der Ukraine-Krieg tangiert Indien nicht zuletzt dadurch, dass Russland seine vertraglichen Verpflichtungen zur Lieferung von S-400-Raketensystemen nicht mehr termingerecht wahrnimmt. Von russischem Know-how will Indien trotzdem weiterhin profitieren. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die beiden Länder beabsichtigen, in Indien eine gemeinsame Produktionsstätte für Panzermunition zu errichten. Schon seit vorigem Jahr ist dort die Herstellung von Kalaschnikow-Maschinengewehren im Gange. Modi war nicht in Friedensmission unterwegs, erreichte in Moskau jedoch zumindest die Entlassung aller indischen Staatsangehörigen aus der russischen Armee, die für einen Einsatz in der Ukraine angeworben worden waren.