Viktor Orbáns außenpolitische ­Erpressungen ziehen nicht mehr

Erpressung als Außenpolitik

Die Möglichkeiten Ungarns, die EU politisch zu blockieren, sind allmählich erschöpft. Selbiges gilt für die Blockade des schwedischen Nato-Beitritts.

Am 1. Februar hat einer der kuriosesten EU-Gipfel der jüngeren Vergangenheit stattgefunden. Er war nur aus einem einzigen Grund einberufen worden: um die ungarische Regierung dazu zu bewegen, von ihrem Veto gegen ein Hilfspaket für die Ukraine abzurücken. Auf dem vorangegangenen regulären EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember 2023 hatte Ungarn gegen Hilfsgelder aus dem EU-Haushalt votiert – insgesamt 50 Milliarden Euro, 33 Milliarden davon Kredite, zahlbar in einem Zeitraum bis 2027. Außer Ungarn hatte keiner der insgesamt 27 Mitgliedstaaten dagegen Einwände erhoben. Doch aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips, das für Entscheidungen der EU immer noch in vielen Bereichen gilt, reichte das ungarische Nein, um die EU zu blockieren.

Die EU enthält Ungarn aufgrund zu großer Korruption und mangelnder Rechtsstaatlichkeit des Landes unter anderem über 20 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds vor.

Die Beziehungen zwischen der Fidesz-geführten Regierung in Budapest und den anderen Regierungen sowie auch der EU-Kommission und dem EU-Parlament gestalten sich in den vergangenen Jahre immer schwieriger. Die EU enthält Ungarn aufgrund zu großer Korruption und mangelnder Rechtsstaatlichkeit des Landes unter anderem über 20 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds vor. Doch obwohl der Gipfel am 1. Februar überhaupt nur einberufen werden musste, weil der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán den vorangegangenen blockiert hatte, knickte er dann völlig überraschend bereits am Vormittag zu Beginn des Gipfels ein und stimmte der Ukraine-Hilfe zu. Wie kann man sich darauf einen Reim machen?

Der Dezember schien für Orbán zunächst gut zu beginnen. Eine Woche vor dem EU-Gipfel gab die Europäische Kommission von den eingefrorenen Geldern für Ungarn zehn Milliarden Euro frei; es handelte sich dabei nicht um Geld aus dem Wiederaufbaufonds, sondern um Zahlungen aus dem Topf der »Kohäsionspolitik«, wie die Kommission erklärte.

Die Erpressung mit der Ukraine-Unterstützung schien sich zu lohnen, und so wollte Orbán weitergehen. Dem ungarischen staatlichen Fernsehen hatte Orbán vor dem EU-Gipfel im Dezember gesagt, er werde der Ukraine-Hilfe nur zustimmen, wenn nicht nur ein Teil, sondern die gesamte Summe von 31 Milliarden Euro für Ungarn freigegeben werde. Am 1. Februar änderte er plötzlich seine Haltung.

Was Orbán dazu bewogen hat, ist nicht sicher. Zum einen hatte die EU-Kommission angedeutet, dass man auch mit 26 Staaten bereit sei, die Gelder an die Ukraine auszuzahlen. Zum anderen gab es Gerüchte, mit negativen Prognosen werde man den Wert des Forint, der ungarischen Währung, drücken können. Außerdem könnten die übrigen EU-Staaten Ungarn das Stimmrecht im Rat der Europäischen Union (Ministerrat) entziehen.

Die EU-Verträge sehen diese Möglichkeit vor, alle anderen Staaten müssen sich aber gegen den Staat einig sein, dessen Stimmrecht entzogen werden soll. Bisher hatten sich die beiden rechtsnationalistisch regierten Länder Polen und Ungarn gegenseitig in Schutz genommen. Doch seit der Abwahl der polnischen PiS-Regierung steht Ungarn ohne Schutz da, Erpressung ist da nicht mehr gut möglich.

Die Türkei spielt für die Außenpolitik der ungarischen Regierung eine besondere Rolle.

Das gilt aber nicht für die Nato: Da gibt sich Orbán gewohnt stur. Nachdem die Türkei nach langem Zögern und zähen Verhandlungen ihren Widerstand gegen einen Nato-Beitritt Schwedens aufgegeben hat, ist Ungarn das einzige Land des Bündnisses, dessen Parlament diesen Beitritt noch nicht ratifiziert hat. Anders als in der EU geht es in der Nato nicht darum, Geld loszueisen. Zunächst hatte Orbán öffentlich verkündet, Ungarn werde sicher nicht das letzte Land sein, das den Beitritt Schwedens ratifiziere. Doch nun ist genau das eingetreten.

Lange war man davon ausgegangen, dass Ungarn sich vor allem bei der türkischen Regierung beliebt machen wolle. Die Türkei spielt für die Außenpolitik der ungarischen Regierung eine besondere Rolle. Ungarn gehört als einziges EU-Land, wenn auch nur mit Beobachterstatus, der Organisation der Turkstaaten (OTS) an, regierungsnahe Großunternehmer machen dubiose Geschäfte mit denen anderer OTS-Länder; auch die Energieversorgung spielte eine Rolle, Gas aus dem OTS-Mitgliedsstaat Aserbaidschan könnte vermehrt über Serbien bezogen werden. Orbán hat die Türkei wiederholt als wichtige Regionalmacht bezeichnet, die auch die ungarische Nachbarschaft beeinflusse.

Im Sommer wurde dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Budapest ein großer Empfang bereitet, ihm wurde sogar ein Rennpferd geschenkt. Doch die Türkei hat Schwedens Nato-Beitritt nun ratifiziert und kommt somit als Verursacher des ungarischen Zögerns nicht mehr in Frage.

Beobachter in Ungarn erwägen, ob Orbán den russischen Präsidenten Wladimir Putin für Ungarn einnehmen möchte, indem er deutlich macht, dass Ungarn seine Nato-Mitgliedschaft nur widerwillig betreibe. In diesem Fall wäre es aber sinnvoller gewesen, den Nato-Beitritt Finnlands zu blockieren, das für Russland wegen der langen gemeinsamen Grenze und der Stärke der finnischen Armee viel gefährlicher ist als Schweden. Doch gegen Finnland hat Ungarn keinen Einwand erhoben.

Der Beitritt Schwedens zur Nato wird kommen und Schweden wird Ungarn dafür nichts geben müssen – allenfalls einen rein symbolischen Staatsbesuch.

Es bleibt ein Faktor, der immer eine Rolle spielt: Die Außenpolitik steht wie alle anderen Politikbereiche im Dienst der Erhaltung des Regimes im Inneren. Gelänge es Orbán, den schwedischen Ministerpräsidenten nach Budapest zu bewegen, könnte er dies vor den eigenen Anhängern als Sieg in einem harten Verhandlungspoker verkaufen. Das wäre selbst dann der Fall, wenn Schweden keinerlei Zugeständnisse an Ungarn machen würde.

Offiziell wünscht sich Ungarn von Schweden eine weniger arrogante Behandlung im Zusammenhang mit den Rechtsstaatsproblemen des Landes. Doch in schwedischen Medien hat Ministerpräsident Ulf Kristersson bereits klargestellt, dass er der Einladung nach Budapest erst nach der Ratifizierung des schwedischen Nato-Beitritts nachkommen möchte. Da das ungarische Parlament seine reguläre Sitzungsperiode Ende Februar wiederaufnimmt, wird man wohl bald erfahren, wer nachgibt. Dabei hat Schweden selbst einige Trümpfe gegen Ungarn. Die ungarische Luftwaffe besitzt schwedische Kampfflugzeuge des Herstellers Saab, »Gripen« (Greif) genannt. Diese instand zu halten, erfordert die Lieferung schwedischer Ersatzteile und Technologie.

Betrachtet man die ungarische Blockadepolitik in Gänze, zeichnet sich wohl gerade deren Ende ab. Der Beitritt Schwedens zur Nato wird kommen und Schweden wird Ungarn dafür nichts geben müssen – allenfalls einen rein symbolischen Staatsbesuch. Seit die Verbündeten von PiS in Polen nicht mehr an der Macht sind, können die anderen EU-Staaten Ungarn leichter unter Druck setzen. Am Ende bleibt nur ein bisschen Show für das ungarische Staatsfernsehen.