Die Präsidentin der Columbia-­Universität, Minouche Shafik, ist zurückgetreten

Pro und contra Judenhass

Die antiisraelischen Campus-Proteste in den USA zeitigen Konsequenzen: Die Präsidentin der Columbia University, Minouche Shafik, ist zurück­getreten. Drei Dekane, die durch antisemitische Chats aufgefallen waren, wurden ihres Amtes enthoben.

Wenn Anfang September an den Universitäten der USA das neue Semester beginnt, wird sich schnell zeigen, wie stark die antiisraelischen Proteste wieder aufflammen. Wie wohl frisch erholte Studierende auf den womöglich weiter eskalierenden Konflikt zwischen Israel und den iranisch geförderten Kräften sowie die anstehenden Präsidentschaftswahlen reagieren?

Experten wie Jeff Hunter, der zahlreiche Bildungseinrichtungen berät, sind pessimistisch. Hunter sagte dem unabhängigen Radiosender NPR: »Die Lage verschärft sich immer weiter, und das wird meiner Meinung nach leider dazu führen, dass es auf dem Campus zu mehr, offen gesagt, gewalttätigen Aktivitäten kommen kann.«

Entsprechend gespannt hatten Krisenspezialisten auch die Lage in Chicago beobachtet, wo am Montag der Parteitag der Demokraten begonnen hat. Antiisraelische Gruppen hatten Proteste angekündigt, erlebten zumindest am ersten Tag allerdings eine Enttäuschung: Statt der erhofften mindestens 20.000 nahmen lediglich einige Tausend Menschen an der Demonstration vor dem United Center teil. Der Versuch, den Veranstaltungsort zu stürmen, endete mit der Verhaftung von mehreren Dutzend Personen, der ranghohe Chicagoer Polizeioffizier Larry Snelling hatte vorab ein umfangreiches Sicherheitskonzept vorgestellt und angekündigt, »keine Toleranz« zu zeigen.

In den vergangenen Wochen wurden immer wieder Videos von verbalen Auseinandersetzungen zwischen Palästina-Aktivistinnen und schwarzen Feministinnen auf Tiktok verbreitet, in denen es unter anderem um die Wählbarkeit von Kamala Harris ging.

Vermutlich sind die Bilder von verprügelten und mit Pfefferspray attackierten Protestierenden ohnehin genau das, worauf es die Veranstalter der Demonstrationen angelegt hatten. Noch während des vorigen Semesters war der öffentliche Rückhalt für die Gaza-Protestcamps deutlich geschrumpft. In den vergangenen Wochen wurden zudem immer wieder Videos von verbalen Auseinandersetzungen zwischen Palästina-Aktivistinnen und schwarzen Feministinnen auf Tiktok verbreitet, in denen es unter anderem um die Wählbarkeit von Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris ging.

Schwarze Frauen halten einer aktuellen Umfrage des Highland Project zufolge, einer NGO zur Förderung schwarzer Frauen, zu 71 Prozent die anstehende Präsidentschaftswahlen für wichtiger als alle bisherigen zuvor, 86 Prozent gaben an, auf jeden Fall abstimmen zu wollen, eine Steigerung um acht Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt äußerten sich die befragten Frauen optimistischer als in den Jahren zuvor, mit der Bekanntgabe der Kandidatur von Harris sei ein regelrechter Ruck durch die Communitys gegangen, sagte unter anderem die Gründerin von Highland Project, Gabrielle Wyatt.

Wahltaktische Winkelzüge

Für Kamala Harris wollen 78 Prozent der befragten schwarzen Wählerinnen stimmen. Für wahltaktische Winkelzüge dürften sie nicht zur Verfügung stehen. Entsprechend wenig empfänglich werden sie für die Versuche der Hamas-Sympathisanten sein, Harris als »zionistisches« und damit unwähl­bares Feindbild aufzubauen.

Bleibt die Frage, ob und wie sich der Wahlkampf auf die Stimmung an den Universitäten auswirken wird. Der Israel-Palästina-Konflikt hatte allerdings nie zu den Themen gehört, die Studierende besonders bewegt hatten: Einer von der Nachrichtenseite Axios Anfang Mai in Auftrag ­gegebenen repräsen­tativen Umfrage unter Studierenden zufolge gaben lediglich 13 Prozent an, dass ihnen der Krieg zwischen Israel und der ­Hamas besonders wichtig sei – im Gegensatz zu Themen wie Gesundheits­reform, Bildung, Gleichberechtigung und Klimawandel, die zwischen 40 und 32 Prozent erreichten. Lediglich acht Prozent gaben an, bereits an proisraelischen oder propalästinen­sischen Protesten teilgenommen zu haben, wobei die Art der antiisraelischen Proteste bei den Studierenden nicht sehr gut ankommt: 67 Prozent halten es für nicht akzeptabel, Universitätsgebäude zu besetzen, 90 Prozent sind dagegen, jüdischen Studierenden den Zugang zu Teilen des Campus zu verwehren.

Zumindest an der Columbia University führten die Proteste, genauer gesagt: die Reaktionen darauf, zu Personalwechseln. Mit Nemat »Minouche« Shafik war Mitte vergangener Woche die dritte Präsidentin einer sogenannten Ivy-League-Universität zurückgetreten, nach Liz Magill von der Universität von Pennsylvania im Dezember und Claudine Gay in Harvard im Januar. Zuvor hatten die prominenten Unternehmer Robert Kraft und Len Blavatnik jegliche finanzielle Unterstützung der Columbia University eingestellt. Die beiden Milliardäre hatten Shafik vorgeworfen, nicht gegen Antisemitismus auf dem Campus vorzugehen und die Sicherheit von jüdischen Studierenden dadurch zu gefährden.

Antisemitische Chats dreier Dekane

Weniger öffentliche Beachtung fanden drei Amtsenthebungen an der Columbia-Universität, die bereits am 8. August vollzogen worden waren: Die Dekane Susan Chang-Kim, Cristen Kromm und Matthew Patashnick mussten ihre Posten wegen antisemitischer Chats räumen. Am 31. Mai hatten anlässlich von Klassentreffen auf dem Columbia-Campus zahlreiche Panels stattgefunden. In einem ging es um »Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des jüdischen Lebens« an der Universität, an der im Rahmen der antiisraelischen Proteste regelmäßig Slogans wie »Brennt Tel Aviv ab« und »Zionisten haben kein Recht zu leben« verbreitet wurden. Während der zweistündigen Veranstaltung war aufgefallen, dass hochrangige Dekane im Publikum offenkundig miteinander chatteten. Einem hinter Chang-Kim sitzenden Zuhörer war es schließlich gelungen, mehrere Fotos von ihren Nachrichten zu machen.

Kromm hatte im Chat mit Ekel si­gnalisierenden Smileys auf den Campus-Rabbiner Yonah Hain reagiert, der zuvor im Columbia Spectator den steigenden Antisemitismus auf dem Campus thematisiert hatte sowie »die Normalisierung der Hamas« befürchtete. Hains Artikel beginnt mit den Worten »Die Community der Universität von Columbia hat ihren moralischen Kompass verloren« und schildert, wie bereits fünf Tage nach dem Hamas-Terror eine antiisraelische Demo stattfand, auf der die barbarischen Morde der Hamas als »beispielloser historischer Moment« gefeiert wurden. »Debatten über den Zionismus, einen Staat oder zwei Staaten, Besatzung und die israe­lische Militär- und Regierungspolitik sind auf dem Campus willkommen«, hatte der Rabbiner geschrieben, nicht zur Debatte stehe dagegen, »dass ­Juden zu massakrieren eindeutig falsch ist«.

Patashnick warf einem Panel-Teilnehmer im Chat vor, die Veranstaltung nur als Mittel zum Fundraising zu nutzen. Rund eine Stunde nach Beginn des Panels hatte Chang-Kim gechattet, dass sie »gleich kotzen« müsse. Zu diesem Zeitpunkt hatte eine jüdische Mutter geschildert, wie unsicher sich ihre Tochter nach dem Hamas-Terror am 7. Oktober auf dem Campus fühle.

Auch die Panel-Ausführungen von Brian Cohen, Leiter von Columbia ­Hillel, einer der größten jüdischen Studentenorganisationen, trafen bei den Dekanen auf wenig Mitgefühl. Dass sich jüdische Studierende in ihren Wohnheimen nicht sicher fühlten und sich deswegen lieber im »Kraft Center für jüdisches Studentenleben« von Hillel aufhielten, wo ihnen psychologische Unterstützung angeboten wurde, wurde lächerlich gemacht. »Unser Held«, schrieb Chang-Kim sarkastisch im Chat.

Der Columbia-Professor Joseph Massad hatte in einem Artikel für die Website »Electronic Intifada« die Hamas-Morde mit kaum versteckter Begeisterung als »Widerstands­offensive« beschrieben.

Während Minouche Shafik nun arbeitslos ist, der von antiisraelischen Gruppen einseitige proisraelische Haltung sowie von proisraelischen mangelnder Schutz von jüdischen Studierenden vorgeworfen wurden, bleibt ein Columbia-Professor weiter im Amt: Joseph Massad hatte einen Tag nach dem Hamas-Terror in Israel einen Artikel für die Website »Electronic Intifada« geschrieben, in dem die Morde, Vergewaltigungen und Entführungen mit kaum versteckter Begeisterung als »Widerstandsoffensive gegen den israelischen Siedlerkolonialismus und Rassismus gegen die Palästinenser« beschrieben wurde. Eine umgehend aufgesetzte Petition, in der die Entlassung des Professors gefordert wurden, erreichte bislang 80.000 Unterschriften – allerdings ist es bei der Plattform Change.org ohne weiteres möglich, mehrfach abzustimmen.

Auf Juden und Jüdinnen, die an der Columbia University studieren oder lehren, dürfte die folgende Solidaritätskampagne mit Massad bedrohlich ­gewirkt haben. Am 15. Oktober 2023, zu einem Zeitpunkt, als von den Hamas-Tätern selbst gefilmte Videos und erste Aussagen von Überlebenden des Massakers bereits bekannt waren, wurde ein Solidaritätsbrief mit dem Professor veröffentlicht. Darin hieß es, dass die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen nicht nur die »aufrührerische und diffamierende Petition« gegen ihn verurteilten, sondern auch ihrer »unerschütterlichen Solidarität« mit dem Mann Ausdruck verleihen wollten, »dessen rigorose Lehrtätigkeit und wissenschaftliche Arbeit über Palästina, den Nahen Osten und den Globalen Süden im weiteren Sinne ihm seit über zwei Jahrzehnten unsere unerschütterliche Bewunderung eingebracht haben«.

Die Universitätsleitung müsse ­Massad und »die Columbia-Gemeinschaft« schützen, heißt es im Brief weiter. Wer nach Ansicht der Unterzeichner des Briefs zu dieser Gemeinschaft gehört, wurde in der Solidaritätsbekundung genau definiert: »Araber, Muslime, antizionistische Juden und Kritiker der israelischen Politik, die die Freiheit der Palästinenser unterdrückt«. Die – angeblichen – Morddrohungen, die Massad erhalten habe, müssten zudem »im breiteren Kontext des tief verwurzelten islamophoben, antiarabischen und antipalästinensischen Rassismus verstanden werden, dessen Ziel unsere Fakultät weiterhin ist«. Dieser Brief war von mehr als 300 Angehörigen der Columbia-Fakultät für Nahost-, Südasien- und Afrika-Studien unterzeichnet worden, allerdings in vielen Fällen nicht mit vollen Namen.