Charles A. Small, Institute for the Study of Global Antisemitism and Policy, im Gespräch über die Finanzierung US-amerikanischer ­Universitäten durch Katar

»Juden zu dämonisieren, ist akzeptiert«

Seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 häufen sich an US-amerika­nischen Universitäten antiisraelische Aktionen. Über deren möglichen Zusammenhang mit der Finanzierung US-amerikanischer Universitäten durch Katar und dem Einfluss der Muslimbruderschaft sprach die »Jungle World« mit Charles A. Small vom Institute for the Study of Global Antisemitism and Policy.

Die antiisraelischen Proteste an US-Universitäten sind seit Wochen im Blick auch der internationalen Öffentlichkeit. Sie beobachten diese Entwicklung schon seit 2012 und waren vermutlich wenig überrascht.
Um das Jahr 2012 bin ich durch Zufall darauf gestoßen, dass Geld von einem saudischen Terrorfinanzier mit Verbindung zur Muslimbruderschaft an die Universität Yale geflossen ist. Ich wollte wissen, ob das ein Einzelfall oder nur die Spitze eines Eisbergs war, und habe mit Expert:innen für Finanzforensik, Islamismus und Terrorismus ein Forschungsprojekt begonnen. Nach sechs Jahren konnten wir drei Milliarden Dollar an undokumentierten Zahlungen von Muslimbrüdern an US-Universitäten nachweisen. 2019 präsentierten wir unsere Ergebnisse in Washing­ton 100 hochrangigen Beamt:innen des FBI, des Department of Homeland Security, des Bildungsministeriums und anderer Behörden, woraufhin die Bundesregierung eigene Untersuchungen begann und zwischen Juli 2019 und Oktober 2020 mindestens 6,5 Milliarden Dollar nachweisen konnte, die von ausländischen Kräften, darunter China und Russland, undokumentiert an US-Universitäten flossen. Die Regierung Biden hat diese Untersuchungen gestoppt, aber dank unseres Erfolgs konnten wir die Finanzierung unseres Projekts gewährleisten. Die Dimen­sionen sind schockierend. In der nach dem 7. Oktober 2023 veröffentlichten Studie »Network of Hate« geben wir eine Schätzung der zig Milliarden Dollar, die den Kataris für soft power-Ak­tivitäten zur Verfügung stehen, also zur Finanzierung von Universitäten oder zum Kauf von Banken und Unternehmen, Anwaltskanzleien, Fußballclubs und so weiter.

Wie wirken sich diese Finanzströme an Universitäten konkret aus?
Um die komplexen Auswirkungen zu verstehen, sollten wir zuerst einen Schritt zurücktreten und das Gesamtbild betrachten. Vor gut 100 Jahren wurden Juden von den deutschen und europäischen Intellektuellen der damaligen Zeit, von Theologen, Biologen und Sozialwissenschaftlern, als nichtweiß dargestellt, als giftige Gefahr für die arische oder weiße Rasse. Dieser Rassenantisemitismus hat zur Judenvernichtung geführt. Heutzutage gibt es Professoren, die Juden als weiß konstruieren, aber nicht, um sie im Club willkommen zu heißen, sondern um sie als Verkörperung von weißem Über­legenheitsanspruch und Rassismus zu diffamieren, als Unterstützer eines kolonialrassistischen und genozidalen israelischen Regimes. Aus liberaler, demokratischer Sicht gilt es, so ein Regime abzuschaffen, und seine jüdischen Unterstützer werden zur Verkörperung alles Bösen. Dies ist eine neue Form des genozidalen Antisemitismus, der sich auch in Hörsälen ausbreitet.

Wie hat sich diese Ideologie entwickelt?
Wir können diese Diskursverschiebung über die vergangenen 40 Jahre nachverfolgen, die Entwicklung von Postmodernismus und Postkolonialismus, die mit Namen wie Edward Said, Michel Foucault, Judith Butler, Rashid Khalidi oder dem Islamwissenschaftler John L. Esposito von der Georgetown-Universität verbunden ist. Sie haben die Vorstellung vom Zionismus als Siedlungskolonialismus entwickelt und das hat hat sich auch dank der beschriebenen Finanzierung von Nahost-Studien, Sozial- und Geisteswissenschaften in den Hörsälen der Eliteuniversitäten verbreitet.
Auch Organisationen wie die Students for Justice in Palestine (SJP) werden über das Netzwerk der Muslimbruderschaft aus Katar finanziert, wie wir in einem vor zwei Wochen veröffentlichten Bericht dokumentieren. Katar ist ein Land mit nur 350 000 Staatsbürgern, aber es gibt mehr Geld an US-amerikanische und auch andere west­liche Universitäten als jedes andere Land der Welt. Wenn so ein Land der Ideologie der Muslimbruderschaft anhängt, ist das sehr gefährlich.

Ist es nicht problematisch, anzunehmen, dass so mächtige intellektuelle Strömungen und so viel Aktivismus finanziert und vielleicht sogar gekauft werden können?
In unserer Studie »The Corruption of the American Mind« haben wir gezeigt, dass Universitäten, die Geld aus Katar und von der Muslimbruderschaft nehmen, 300 Prozent mehr antisemitische Einstellungen auf dem Campus haben als Universitäten ohne solche finanziellen Verbindungen; es gibt hier also eine sehr starke Korrelation.

»Wir haben gezeigt, dass Uni­­ver­sitäten, die Geld aus Katar und von der Muslimbruderschaft nehmen, 300 Prozent mehr Antisemitismus auf dem Campus haben als Un­i­­ver­sitäten ohne solche Verbindungen.«

Wenn man das Ganze auf politischer und ideologischer Ebene betrachtet, sind wir im Westen unfähig, modernen Antisemitismus zu erkennen, da dieser tief in westlicher Kultur und in unserem politischen Denken verankert ist. Nehmen wir für einen Moment an, Nazi-Deutschland oder das südafrikanische Apartheidregime würden noch existieren und zig Millionen Dollar an US-Universitäten überweisen, um Studien zu Eugenik und Rassenlehre zu finanzieren, und studentische Aktivisten würden statt in Kufiyas in weißen Umhängen (Uniform des Ku-Klux-Klan; Anm. d. Red.) auflaufen – man würde sowohl Professoren als auch Studenten sofort aus den Universitäten schmeißen, weil so etwas zu Recht völlig inakzeptabel wäre.
Die Dämonisierung von Juden und Israel ist aber heute akzeptierter Teil des politischen Denkens und viele Wissenschaftler und Journalisten sind hierfür blind. In den besten Universitäten wird zur Vernichtung Israels und auch der Juden aufgerufen, in den U-Bahnen in New York fordern Studierende ein judenfreies New York, während sich ältere jüdische Menschen vor Schrecken wegducken; junge Juden werden auf den Straßen zusammen­geschlagen. Die Radikalisierung des Antisemitismus ist so weit fortgeschritten, dass lone wolf-Terrorattacken im Namen des Antizionismus immer wahrscheinlicher werden.

Wie lange wird diese ­Strategie schon verfolgt?
Wir werden demnächst eine Studie unter dem Titel »The Project« veröffentlichen, in der es um 40 Jahre alte Dokumente der Muslimbruderschaft geht, in der diese ihre langfristigen strategischen Ziele formuliert hat. Das Projekt der Muslimbrüder ist es, Israel vom Westen zu trennen und zu zerstören sowie den Antisemitismus zur Fragmentierung und Schwächung der Vereinigten Staaten zu nutzen.

Sie sagen, viele Geldströme seien indirekt und inoffiziell, flößen also nicht direkt aus Katar. Wie funktioniert dieses System?
Ein Teil der Zahlungen kommt auch direkt aus Katar, wir konnten etwa eine Milliarde Dollar an die Texas A & M University nachweisen, die Katar das geistige Eigentum für über 500 Forschungsprojekte gewährt, darunter etliche mit möglichem militärischen Nutzen und aus dem Bereich Nuklearforschung; es könnte insgesamt aber noch weit mehr Projekte geben, die zugunsten Katars betrieben werden. Nach der Veröffentlichung unserer Studie wurde beschlossen, den externen A & M-Campus in Doha frühzeitig zu schließen, was ein großer Erfolg für uns war. Katar investiert Milliarden in weitere Universitäten, aber auch sehr stark in US-amerikanische und europäische Unternehmen, um so legal und ohne Kontrollen Geld fließen zu lassen. So kaufte Katar Anteile an der Santander-Bank, die Monate später der Universität Yale Geld gab.

Sie fordern in Ihren Berichten unter anderem, dass die Zahlungen aus Katar gemäß dem Foreign Agents Registration Act eingeschränkt und öffentlich gemacht werden müssen. Was würden Sie Kritikern antworten, die darin eine Einschränkung der Redefreiheit ­sehen und auf die berüchtigten Gesetze gegen ausländische Agenten in Russland oder Georgien verweisen?
Es gibt in vielen demokratischen Ländern vernünftige Einschränkungen der Redefreiheit, wenn es etwa um Hassrede und Anstachelung zur Gewalt geht. Wenn ausländische Kräfte tatsächlich Forschung und Wissenschaft fördern wollen, wunderbar. Aber Ländern, die den Werten einer liberalen Bildung diametral entgegenstehen und eine Bewegung unterstützen, welche die Ausrottung des jüdischen Volkes und die Zerstörung der Demokratie zum Ziel hat, kann man nicht den Zugang zu einer der wichtigsten Institutionen unserer Demokratie gewähren, in der junge Menschen zu demokratischen Bürgern ausgebildet werden sollen. Wir sehen ja die Resultate.

»Wenn man seit 40 Jahren Geld von den Muslimbrüdern annimmt, erhält man Clowns, die sich als Intellektuelle ausgeben und die Ermordung von Israelis rechtfertigen.«

Wenn man seit 40 Jahren Geld von den Muslimbrüdern annimmt, erhält man Clowns, die sich als Intellektuelle ausgeben und die Ermordung von Israelis rechtfertigen. Auch in Nazi-Deutschland waren die Universitäten die ein­zigen Institutionen, die sich aus freien Stücken und nicht wegen gesetzlicher Vorgaben von ihren jüdischen Mitgliedern trennten. Heutzutage ist es wieder so weit, werden jüdische Studierende in den USA daran gehindert, sich auf dem Campus zu bewegen. Ich habe mich mit Dutzenden junger Menschen unterhalten, die im nächsten Semester aus Angst nicht zurück an die Uni­versität wollen. Kurse für jüdische Studierende wurden online abgehalten, weil Präsenzunterricht nicht mehr sicher war. Welche Beweise braucht es noch, um zu verstehen, dass wir in einer Notfallsituation leben? Der Rechtsstaat gibt jüdischen Menschen in den USA nicht mehr den Schutz, der ihnen wie allen anderen Bürgern zusteht.

Wie schätzen Sie die Rolle des Fernsehsenders al-Jazeera ein, der etwa einem Bericht der New York Times zufolge zu einer wichtigen Informationsquelle für Palästina-Aktivisten wurde?
Al-Jazeera arbeitet im Auftrag des katarischen Regimes und ist ein Sprachrohr der Muslimbruderschaft. Es gibt Bestrebungen, al-Jazeera nicht als Medienunternehmen, sondern als Organ einer fremden Regierung zu behandeln. Es handelt sich bei dem Sender um eine raffinierte Form von soft power.

Würde man studentische Aktivisten mit Ihrer Kritik konfrontieren, würden diese sicherlich jede Verbindung zu Katar verneinen, würden sagen, dass sie empört über die schrecklichen Bilder des israelischen Kriegs in Gaza sind, und sich als Opfer von Repression darstellen.
Unwissenheit ist keine Entschuldigung. Es mag vielen Studierenden nicht klar sein, aber Organisationen wie die Students for Justice in Palestine bekennen sich offen zur Hamas, skandieren »From the river to the sea«, fordern die Globalisierung der Intifada, wollen keine Zionisten auf dem Campus – und das soll Redefreiheit sein? Hier geht es um Anstachelung zum Genozid, um die Vertreibung von Juden vom Campus, um Angriffe auf Juden weltweit. Wenn progressive Intellektuelle nicht verstehen, dass es sich bei den Zusammenrottungen auf den Straßen von Malmö, Brüssel, London oder New York um immer stärker werdende Lynchmobs handelt, weiß ich nicht, wie man sie sonst noch überzeugen könnte. Jüdische Studierende und Lehrkräfte werden aus Universitäten vertrieben, suchen sich woanders einen sicheren Ort, da sind wir 2024 angekommen. Aber dieser Film lief schon einmal.

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Charles Asher Small

Charles Asher Small 

Bild:
isgap.org

Charles Asher Small ist Gründer und Präsident des Institute for the Study of Global Antisemitism and Policy (ISGAP), das sich der ­Erforschung und Bekämpfung von Antisemitismus und anderen Vorurteilen im Bereich der politischen Vorstellungen widmet. Es verfügt über Büros in New York City und Miami. Unter dem Titel »Follow the Money« hat das Institut eine Reihe von Studien herausgegeben, in denen die umfangreiche und oft verdeckte Finanzierung US-amerikanischer Universitäten mit Geldern primär aus Katar aufgedeckt und als Form islamistischer »soft power« kritisiert wird. Bereits 2019 hat das Institut auch die Verbindungen der National Students for Justice in Palestine (NSJP) und verwandter Organisationen zur Muslimbruderschaft dokumentiert, die Studie wurde nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 unter anderem um viele Beispiele für offene Hamas-Sympathie aktualisiert und erweitert.