Die AfD hat zweimal vor Gericht ­verloren

Höckes Allerweltssatz

Vor Gericht läuft es nicht gut für die AfD: Björn Höcke wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er eine SA-Parole verwendet hat, und die AfD darf vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden. In Thüringen schadet ihr das nicht.

Am Tag der Urteilsverkündung am Landgericht Halle wurde erst mal ferngesehen. Auf Bildschirmen im Gerichtssaal sah man vor froschgrünem Hintergrund eine Bühne, darauf an einem Stehtisch Björn Höcke. Ein Mann mit Deutschlandkrawatte rennt hin und her und verrückt Höckes Mikrophon. Der hält danach eine 38minütige Wahlkampfrede.

Im voll besetzten Gerichtssaal am Dienstag vergangener Woche nutzen einige Journalist:innen die Übertragungsdauer, um E-Mails zu checken. Andere beobachteten Höcke auf der Anklagebank, wie er sich selbst beim Reden zusah, den Kopf auf eine Faust gestützt.

Als Höhepunkt seiner Verteidi­gungs­rede stellt Höcke rhetorische Fragen: »Bin ich weniger wert als andere Menschen? Bin ich kein Mensch?«

Die Rede endet damit, dass Höcke »Alles für … « ruft und das Publikum »Deutschland!« antwortet. Es ist eine Aufnahme Höckes Auftritt in der Gaststätte »Waldhaus Gera« im Dezember 2023. Um diesen Auftritt geht es im Prozess aber nicht. Er wird bald gesondert verhandelt. Gezeigt wurde das Video aus Gera auf Antrag der Staatsanwaltschaft, um zu belegen, dass Höcke die Parole ganz bewusst verwendete – denn der Auftritt in Gera fand mehrere Monate statt, nachdem er wegen der Verwendung eben jener der Parole angeklagt worden war.

Am Ende dieses langen vierten Verhandlungstages machte das Gericht es kurz. Mit einer knappen Begründung verurteilte die Kammer Höcke zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 130 Euro wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger ­Organisationen. Sie sah es als erwiesen an, dass Höcke in einer Rede in Merseburg 2021 – um die es in diesem Verfahren ging – zwar spontan, aber bewusst die verbotene Losung der SA »Alles für Deutschland« verwendet hat. »Nach dem Motto: mal sehen, wie weit ich gehen kann«, wie es der Vorsitzende Richter formulierte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Höcke hat Revision eingelegt.

Höcke gibt sich als ahnungsloses Unschuldslamm

Der sorgfältig vorbereitete Staatsanwalt hatte zuvor in seinem Plädoyer darauf hingewiesen, dass Höcke immer wieder NS-Vokabeln benutzt. Höckes Wortschatz nennt er »Täterwissen« und fordert eine Haftstrafe von sechs Mo­naten, für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, sowie eine Geldstrafe.

Höcke gab sich auch am letzten Verhandlungstag als ahnungsloses Unschuldslamm. Er wiederholte, was er schon vor Prozessbeginn behauptet hatte: nicht gewusst zu haben, dass es sich bei »Alles für Deutschland« um eine Losung der SA handelte; das sei aber die Voraussetzung für eine Ver­urteilung.

So argumentierten auch seine drei Anwälte und forderten den Freispruch für ihren Mandanten. Der Staatsanwaltschaft werfen sie vor, die SA-Parole »Alles für Deutschland« erst durch die Anklage wieder einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben. Überhaupt sei dieser Slogan nicht allein mit der SA verbunden, sondern ein »Allerweltssatz«. Verteidiger Ulrich Vosgerau geriet während seines Plädoyers fast ins Schreien, als er behauptete, der Spruch sei »wie alles Pa­triotische vom National­sozialismus vereinnahmt«.

SA-Ehrendolche und »ganz normale Dienstdolche«

Bestätigen sollte das der pensionierte Geschichtslehrer Karlheinz Weißmann. Der gilt als Vordenker der Neuen Rechten und schreibt regelmäßig für die AfD-­nahe Junge Freiheit. Gemeinsam mit Götz Kubitschek hatte Weißmann das Institut für Staatspolitik (IfS) gegründet, wo er bis 2014 tätig war – eine der wichtigsten extrem rechten Institutionen der Bundesrepublik.

Eineinhalb Stunden wurde Weißmann als sachverständiger Zeuge vor Gericht befragt und erzählte eifrig, was SA-Ehrendolche von »ganz normalen Dienstdolchen« unterschied. Sein Argument: »Alles für Deutschland« sei im Nationalsozialismus kein wichtiger Satz gewesen. Weil auch das Gericht vorbereitet war und auf die Verwendung in der zwischen 1936 und 1944 erschienenen Zeitschrift Der SA-Führer hinwies, blieb das nicht unwidersprochen stehen.

Mit dem Nationalsozialismus will Höcke »nichts, aber auch gar nichts am Hut« haben. Er sei, sagt er in seinem Schlusswort mit viel Pathos, »kein Anhänger dieser furchtbaren Ideologie«. Er habe das Gefühl, ein politisch Verfolgter zu sein und von den »etablierten Medien« dämonisiert zu werden. Dort herrsche ein »Höcke hassender Tenor«. Als Höhepunkt seiner Verteidigungsrede stellt er rhetorische Fragen: »Bin ich weniger wert als andere Menschen? Bin ich kein Mensch?«

Verfassungsschutz darf AfD als rechts­extremistischen Verdachtsfall führen

Der Prozess gegen Höcke war vergangene Woche nicht die einzige juristische Niederlage für die AfD. Nur einen Tag vor dem letzten Prozesstag in Halle hatte das Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechts­extremistischen Verdachtsfall führen darf.

Ob das Urteil das Ergebnis der bald anstehenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen beeinflusst, ist schwer zu sagen. Höckes Landesverband, die AfD Thüringen, ist ohnehin schon seit Anfang 2021 als gesichert rechtsextremistisch eingestuft, die Verbände in Sachsen und Sachsen-Anhalt seit Ende 2023.

Als der Richter in Halle das Urteil begründete, schüttelt Höcke den Kopf. Weil er zu mehr als 90 Tagessätzen verurteilt wurde, gilt er als vorbestraft, sobald das Urteil rechtskräftig ist.

Der Verein für Staatspolitik, der das IfS bislang betrieb, hat sich vergangene Woche aufgelöst. Die Geschäfte des ­In­stituts – darunter die Herausgabe der Zeitschrift Sezession – werden zukünftig über Firmen weitergeführt. Womöglich befürchtete der führende Kopf des IfS, Götz Kubitschek, der die Auflösung bekanntgab, ein Vereinsverbot, im Zuge dessen es zu Razzien kommen könnte, und wollte dem zuvorkommen. Es gab zwar keinen Hinweis, dass so ein Verbot bevorstand, doch der Verein hatte seine Gemeinnützigkeit und die damit einhergehenden finanziellen Vorteile sowieso schon längst verloren. Er wurde vom Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextrem« ein­gestuft.

Als schließlich der Richter in Halle das Urteil begründete, schüttelt Höcke den Kopf. Weil er zu mehr als 90 Tagessätzen verurteilt wurde, gilt er als vorbestraft, sobald das Urteil rechtskräftig ist. Auf Höckes Kandidatur bei den Thüringer Landtagswahlen wird das keine Auswirkungen haben, auf die dortigen Wähler:innen wohl auch nicht. Die wählen die AfD nicht trotz, sondern wegen Höcke. Bundesweit schwächelt die AfD seit einigen Wochen ein wenig in Wahlumfragen, in Thüringen liegt sie jedoch weiterhin stabil bei etwa 30 Prozent.