Die Ampelkoalition streitet über das Demokratiefördergesetz

Der Staat baut sich eine Zivilgesellschaft

Mit dem Demokratiefördergesetz will die Bundesregierung zivilgesellschaftliche Organisationen dauerhaft fördern. Doch die FDP bremst. Konservative kritisieren, dass damit eine linke Programmatik staatlich unterstützt würde. Dabei droht vielmehr, dass die Linke staatlich noch gründlicher domestiziert wird.

Bitte bloß nicht noch ein polemischer Streit! Nicht noch eine Baustelle, nicht noch eine weitere Blamage wegen »handwerklicher Mängel«! So ungefähr dürfte derzeit die Stimmung im Bundesinnen- und im Bundesfamilienministerium sein, wenn dort das Gespräch auf das Demokratiefördergesetz (DFG) kommt.

Das Gesetz, das von beiden Ministieren gemeinsam ausgearbeitet wurde, soll die staatliche Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen regeln – und sollte vom Parlament eigentlich längst beschlossen worden sein. Schon Ende vergangenen Jahres hat das Kabinett einen Gesetzesentwurf verabschiedet, dieser hängt seitdem im Bundestag in der Warteschleife.

»Eine starke demokratische Zivilgesellschaft ist der beste Schutz gegen Extremismus, Hass und Menschenfeindlichkeit«, bewarb die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dort das Gesetz. Es geht, so steht es im Entwurf, um die Förderung des Engagements gegen »Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit und Extremismen wie Rechtsextremismus, islamistischer Extremismus, Linksextremismus sowie Hass im Netz, Desinformation und Wissenschaftsleugnung und die gegen das Grundgesetz gerichtete Delegitimierung des Staates«. Opferinitiativen, Beratungsstellen und freie Bildungseinrichtungen erhalten auch jetzt schon staatliche Förderung, müssen aber regelmäßig neue Anträge stellen. Das neue Gesetz soll »Planungssicherheit« schaffen.

Der Unmut der FDP richtet sich unter anderem gegen die Meldestelle Antifeminismus der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Das Gesetz wurde erstmals im Sommer 2022 und dann im Dezember auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Faeser und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) offiziell vorgestellt. Es werde »voraussichtlich Mitte des Jahres in Kraft treten«, heißt es auf der Homepage des Innenministeriums – die Mitteilung stammt vom 16. März dieses Jahres, kurz nach der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs im Bundestag. Doch seitdem ist nicht mehr viel passiert. Die zweite und dritte Lesung stehen aus, folglich auch die Abstimmungen im Bundestag und Bundesrat. Überhaupt ist das Gesetz weitgehend aus der öffentlichen Debatte verschwunden.

Das scheint merkwürdig, denn das anhaltende Umfragehoch der AfD sorgt für tiefe Bestürzung bis ins liberalkonservative Bürgertum hinein. Wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für dieses Gesetz? Seine Verabschiedung würde wohl kaum finanzielle Probleme bereiten: 200 Millionen Euro sind im Bundeshaushalt für das nächste Jahr ohnehin für »Maßnahmen gegen Rechts­extremismus und Rassismus« vorgesehen, nämlich in dem Programm »­Demokratie leben« des Bundes­familienministeriums. Das Budget des Programms ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen und soll auch 2024 zumindest nicht sinken – obwohl in anderen Bereichen viel gekürzt wird, unter anderem bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Durch das DFG soll »Demokratie leben« gewissermaßen auf Dauer gestellt werden, noch mehr Geld soll aber nicht ausgegeben werden.

Doch die FDP bremst. Ihr Unmut richtet sich unter anderem gegen die Meldestelle Antifeminismus der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die wird vom Bund finanziert – der FDP zufolge werden dadurch »legitime und verfassungsgemäße Meinungen« staatlich bekämpft und »Bürger etwa für eine Ablehnung des Genderns an den Pranger« gestellt, so Linda Teu­teberg, Mitglied des FDP-Bundesvorstands. Vor allem aber besteht die FDP darauf, die Extremismusklausel wiedereinzuführen. Bis Anfang 2014 mussten Initiativen, die sich um staatliche Förderungen bewarben, eine schriftliche »Demokratieerklärung« abgeben. Eine schikanöse Maßnahme, die sich gegen Antifa-Gruppen richtete, denen staatliche Stellen mit großem Misstrauen begegneten. Es war übrigens eine gemeinsame Entscheidung von CDU und SPD, diese Klausel wieder abzuschaffen, da ohnehin »klar geregelt« sei, dass keine »extremistischen Organisationen oder Personen« gefördert werden dürfen, wie es damals hieß.

Der Widerstand der FDP dürfte jedoch mindestens indirekt von Kanzler Olaf Scholz (SPD) unterstützt werden. Der hat wohl kein Interesse daran, ein Machtwort für die Ministerinnen Paus und Faeser zu sprechen und dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Gesetz zu lenken, das sich dazu eignet, einen Kulturkampf anzuheizen.

Freilich hatte sich die konservative Kritik in den vergangenen Monaten schon längst warmgelaufen. Stehen für zivilgesellschaftliche Projekte nicht sowieso schon 200 Millionen Euro jährlich bereit? Hat sich dieses Budget für »Demokratie leben« nicht seit 2015 fast verfünffacht? Gibt es nicht auch noch die Bundeszentrale für politische Bildung, die zumindest bis jetzt noch jährlich fast 100 Millionen zur Demokratieförderung ausgeben konnte? Entsteht nicht gerade in Halle (Saale) das »Zukunfts­zentrum für die Deutsche Einheit und Europäische Transformation«, das ebenfalls politische Bildung koordinieren und fördern wird?

Und vor allem: Würden mit dem geplanten Gesetz der Antifaschismus, Antirassismus und Feminismus nicht endgültig zur Staatsräson erklärt werden? In den Augen von Konservativen und vielen Liberalen verbergen sich hinter diesen wohlklingenden Schlagwörtern in Wirklichkeit polemisch vorgetragene Partikularinteressen, die für sich genommen legitim sein mögen, aber niemals mit einem demokratischen Staat verschmelzen dürften. Andernfalls wären Gesinnungsschnüffelei, Hypermoral und die fatale Verkennung von Sachzwängen die Folge – das gesellschaftspolitische Programm der Grünen gewissermaßen, nur eben im Namen der Allgemeinheit staatlich gefördert.

Dass die Regierungskoalition in diesen Tagen keine Diskussion über die gesetzliche Demokratieförderung aufkommen lassen möchte, kann man als stillen Triumph von CDU/CSU und AfD verbuchen. Aber genau das bestätigt die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes.

Dass die Regierungskoalition in diesen Tagen keine Diskussion über die gesetzliche Demokratieförderung aufkommen lassen möchte, kann man als stillen Triumph von CDU/CSU und AfD verbuchen. Aber genau das bestätigt die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes. Würde es wie geplant, also ohne Extremismusklausel, verabschiedet, wäre mit einem konservativ-populistischen Aufschrei zu rechnen – und offensichtlich hätten die zivilgesellschaftlichen Gruppen, gegen die er gerichtet wäre, dem nur wenig entgegenzusetzen. Die Debatte – vielmehr das Fehlen der Debatte – über das Gesetz zeigt also womöglich, wie wenig Rückhalt die Gruppen tatsächlich haben, von denen Rechte wähnen, sie eroberten die Staatsapparate.

Für die Verfechter des Gesetzes wäre es ein Leichtes, auf die Heuchelei der Konservativen und Rechtsradikalen hinzuweisen. Die ursprüngliche Initiative für das Gesetz geht auf Horst Seehofer (CSU) zurück, der als Bundesinnenminister seine Behörde um das neu erfundene Heimatressort erweiterte. Das lässt erahnen, dass es auch eine konservative Vision von Demokratieförderung gibt. Von den Möglichkeiten, die das geplante DFG eröffnet, würde selbstverständlich auch eine konservativ-rechtspopulistische Regierung Gebrauch machen. Zwar soll das Gesetz so neutral formuliert sein, dass es nicht tages- und parteipolitischen Zwecken dient. Aber Politik ist natürlich nie neutral, sondern immer ideologisch, und so pflegt jede Regierung ihre Vorstellungen von unterstützenswerter Zivilgesellschaft.

Würden Grüne, Sozialdemokraten, Sozialverbände, Bildungsträger und Antifa-Gruppen auf diese rechte Heuchelei hinweisen, sprächen sie damit zugleich aus, dass die Zivilgesellschaft – in diesem Fall ihre linken und links­liberalen Kräfte – ein hochpolitisches und antagonistisches gesellschaftliches Feld ist, das auch sie erobern wollen. Was sonst? Sofort zögen sie sich den Vorwurf des Kulturkampfs, des Versuchs der politischen Bevormundung oder gar der Anstachlung zum geistigen Bürgerkrieg zu. Abermals gerieten sie unter Druck durch rechte Politiker, Publizisten und Demagogen, die sich gern als wahre Hüter der Meinungsfreiheit gerieren, obwohl sie ja selbst nach gesellschaftlicher Hegemonie streben.

Das offenbart das Dilemma der nicht wenigen linken Kräfte, die auf das DFG als stabilen Rahmen für ihre Arbeit hoffen. Es gibt schließlich auch noch eine kommunistische Kritik an diesen Linken. Sie lautet: Ihr lasst euch verstaatlichen – anstatt die Politik des Staats als herrschaftssicherndes Mittel der herrschenden Klasse zu entlarven, lasst ihr euch von diesem Staat einkaufen und betreibt allenfalls an den Rändern der Gesellschaft notdürftige Reparaturarbeiten.

Die Linke ist derzeit so schwach, dass sie auf staatliche Förderung angewiesen ist, um überhaupt noch gesellschaftlich wirken zu können.

Von dieser Art Polemik haben sich bekanntlich noch wenige beeindrucken lassen, die die Aussicht hatten, ihr bisheriges ehrenamtliches Antifa-Engagement zukünftig als vollfinanzierte Projektstelle weiterzuführen. Die Hoffnung ist stets, dass es sich bei diesem Deal mit dem Staat nur um einen Kompromiss handelt: Mit dessen Geld können wir, so sagt man sich, schließlich unsere Bildungs-, Jugend- und Stadtteil­arbeit professioneller fortführen.

Die dauerhafte Förderung einer »­Zivilgesellschaft«, wie sie das DFG vorsieht, impliziert aber ein viel größeres Maß an Unterwerfung als bloß programmatische Zugeständnisse. Zum einen die Akzeptanz, dass die jeweilige Staatsräson unantastbar ist, aber mehr noch: Der Staat kann über Geld und Anerkennung die Projekte steuern, wie es ihm beliebt. Er kann Mittel kürzen oder aufstocken und in der Auswahl förderungswürdiger Projekte die inhaltliche Richtung vorgeben.

Das DFG würde nicht zu einem Staat führen, der von moralistischen oder partikularen Interessen in Beschlag genommen wird, wie es die Rechten befürchten. Es verhält sich umgekehrt: Das Gesetz dient dem staatlichen Zugriff auf politisch-gesellschaftliche Gruppen.

Eine Linke, die so schwach ist, dass sie auf staatliche Förderung angewiesen ist, um überhaupt noch gesellschaftlich wirken zu können, kann in der Debatte über das DFG eigentlich nur verlieren.