Yanis Varoufakis plant, auf dem »Palästina-Kongress« zu sprechen

Zu Gast bei Kleinstgrüppchen

Der »Palästina-Kongress« inszenierte sich zunächst als internationale Großveranstaltung. Über Wochen aber lahmte die Vorbereitung und nun scheint der angekündigte Auftritt des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis das Einzige zu sein, was noch von der hochtrabenden Anfangsidee übrigbleibt.

Der für das kommende Wochenende angekündigte »Palästina-Kongress«, der zunächst fulminant mit der Teilnahme internationaler Prominenz wie Greta Thunberg oder der UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, geworben hatte, muss sich vorerst darauf beschränken, sein Programm als Online-Veranstaltung anzubieten – denn bei Redaktionsschluss stand immer noch kein Veranstaltungsort fest. Sowohl die schwedische Klimaaktivistin Thunberg als auch die notorische »Israelkritikerin« Albanese, mit denen man der Veranstaltung, organisiert von Berliner Kleinstgruppen, einen Anstrich von Relevanz verleihen wollte, haben dementiert, teilnehmen zu wollen.

Varoufakis selbst sieht sich mehrfach »gecancelt«. Bekanntermaßen bedeutet, gecancelt zu werden, dieser Tage, viel Raum in den Medien zu bekommen.

Wer aber tatsächlich wie angekündigt sein Erscheinen plant, ist Yanis Varoufakis, der einst als griechischer Finanzminister international bekannt wurde. Heute backt er kleinere Brötchen. Weil er »nach dem 7. Oktober dem bewaffneten palästinensischen Widerstand seine Solidarität ausgesprochen« habe, heißt es in der Jungen Welt, sei er »zur Zielscheibe geworden«. Varoufakis selbst sieht sich mehrfach »gecancelt«. Bekanntermaßen bedeutet, gecancelt zu werden, dieser Tage, viel Raum in den Medien zu bekommen. Das gilt für die AfD genau wie für Sahra Wagenknecht und andere vermeintliche Tabubrecher.

Shootingstar der internationalen Linken

Varoufakis gab in der vergangenen Woche der Frankfurter Rundschau ein Interview, in dem er zunächst das Bündnis Sahra Wagenknecht als nationalistisch kritisierte, um im weiteren Verlauf folgende These zu »Palästina« zu verkünden: »Die Palästinenser:innen sind Einheimische. Sie sind nicht erst vor 20 Jahren gekommen und haben sich ihren Pass geholt. Viele Deutsche wissen das gar nicht? Ich glaube nicht, dass sie nicht wissen, dass die Palästinenser:innen seit tausend Jahren dort sind. Und jetzt werden sie von Siedler:innen vertrieben, die aus New Jersey stammen.«

Dass »einheimisch sein« ein linkes und noch dazu kein nationalistisches Argument sein soll, ist hanebüchen. Auch scheint es abstrus, Varoufakis daran erinnern zu müssen, dass die Vorfahren der heutigen Juden in Israel vor 1000 Jahren über weite Teile Europas, Asiens und Afrika verstreut lebten – einige auch im heutigen Israel –, aber ganz sicher nicht die indigene Bevölkerung New Jerseys bildeten.

Während seiner knapp sechsmonatigen Amtszeit als griechischer Finanzminister von Januar bis Juli 2015 avancierte Varoufakis zu einem Shootingstar der internationalen Linken. Das war unter der ersten Regierung von Alexis Tsipras, dessen linke Partei Syriza eine Koalition mit der rechtspopulistischen Partei Unabhängige Griechen (ANEL) eingegangen war. Der große Wahlerfolg von Syriza basierte damals auf ihrer Forderung, die von Deutschland vorangetriebene EU-Austeritätspolitik zu beenden, durch die ein großer Teil der griechischen Bevölkerung in die Armut getrieben wurde.

Auch unter »Antideutschen« erlangte Varoufakis eine enorme Beliebtheit, schien er doch selbst ein Antideutscher zu sein. Nur: In Sachen Israel war er freilich damals schon nicht erträglich. Aber welcher international bekannte Linke ist das schon?

Varoufakis scheint eine Obsession entwickelt zu haben. Die ganz überwiegende Mehrheit seiner Beiträge bezieht Stellung gegen Israel und pendelt zwischen Lügen und Verschwörungsgeschichten.

Seit dem 7. Oktober 2023 konzentriert sich Varoufakis fast ausschließlich darauf, Hamas-Propaganda zu verbreiten. So teilte er bei X (vormals Twitter) beispielsweise einen Beitrag der Hamas-nahen Website Palestinian Information Centre, die sogar die palästinensische Autonomiebehörde in der Westbank gesperrt hat. Aus dem »besetzten Jerusalem« wird dort berichtet, Israel blockiere gezielt die Einfuhr von Insulinspritzen für palästinensische Kinder.

Betrachtet man Varoufakis’ Beiträge auf dem Microblogging-Dienst, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, da habe jemand eine Obsession entwickelt. Die ganz überwiegende Mehrheit seiner Beiträge bezieht Stellung gegen Israel und pendelt zwischen Lügen und Verschwörungsgeschichten. Übrigens auch wenn es mal nicht um Israel geht: So behauptete er in einem Interview mit der Jungen Welt im Februar, die USA hätten die Nord-Stream-Pipeline »zerstört«, um Flüssiggas verkaufen zu können.

Apartheid-Vorwurf gegen Israel

Nicht nur Varoufakis selbst, sondern auch die 2016 von ihm gegründete Partei Democracy in Europe Movement 2025 (DiEM25), die sich als paneuropäisches Projekt verstanden wissen will, scheint im Kampf gegen Israel die alles entscheidende Aufgabe der Linken zu sehen. Die Partei gehört der internationalen BDS-Bewegung an und fordert in einer Petition derzeit unter anderem den Ausschluss israelischer Sport­ler:in­nen von internationalen Wettkämpfen wie beispielsweise den Olympischen Spielen in Paris in diesem Jahr. Begründet wird dies stets mit dem Apartheid-Vorwurf gegen Israel.

Natürlich wären von diesem Ausschluss ebenfalls arabische Sportler:innen betroffen, was wiederum den Apartheid-Vorwurf ad absurdum führt. Nur will das freilich kaum jemand hören. Fakten helfen nun mal nicht gegen Antisemitismus.

DiEM25 ist ebenfalls Mitglied der Progressive International (PI), einer Organisation, die 2018 auf Initiative sowohl von Varoufakis als auch des linken US-Senators Bernie Sanders entstand und die sich selbst als internationalistische Gegenbewegung zu »neofaschistischen« Tendenzen und der Weltmacht der »Oligarchen« und des »globalisierten Finanzkapitals« verstanden wissen will – eine Art weltweite sozialdemokratisch-keynesianische Allianz mit antiimperialistischer Schlagseite.

Keine Solidarität mit der angegriffenen Ukraine

Noam Chomsky hielt auf dem offiziellen Gründungskongress 2020 die Eröffnungsrede mit dem Titel »Internationalismus oder Untergang«, die linke Partei Lewica aus Polen verließ die Organisation infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine, weil sie eine Verurteilung des »russischen Imperialismus« und eine Anerkennung der ukrainischen Souveränität habe vermissen lassen.

Im Januar 2023 nahm Varoufakis an einem von der PI in Havanna organisierten Kongress teil, der für eine, wie es in Anlehnung an Konzepte aus den siebziger Jahren für eine Reform des Welthandels im Interesse der Entwicklungsländer heißt, »Neue Weltwirtschaftsordnung« plädierte. In seinem Grußwort an das Gastgeberland behauptete Varoufakis, in Griechenland schaue man mit »einem Hauch von Neid« auf die kubanische Bevölkerung, die sich, anders als Griechenland, das 2015 vor seinen Kreditgebern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) kapituliert habe, nicht habe in die Knie zwingen lassen.

Die Progressive International verabschiedete eine Resolution, in der Israel als »koloniales Projekt und imperialer Vorposten gegen die Tendenz der Geschichte zur Befreiung« charakterisiert wird, so »dass die Befreiung des palästinensischen Volkes daher nicht nur einen schweren Schlag gegen den Imperialismus überall, sondern auch einen Fortschritt für die gesamte Menschheit« bedeuten würde.

Kuba hatte zu dem Zeitpunkt eine Inflationsrate von mehr als 30 Prozent zu verzeichnen, besonders die Jugend verlässt in einem bis dato ungekannten Ausmaß das Land auf lebensgefährlichen Wegen, um Hunger, Perspektivlosigkeit und politischer Verfolgung zu entfliehen. Auf dem Kongress hingegen schwor man sich auf die Wiederbelebung der einstigen Bewegung der Blockfreien Staaten ein.

Sowieso ist Varoufakis der Überzeugung, dass sich seit den siebziger Jahren nichts Wesentliches geändert habe, weswegen man sich auch keine neuen Gedanken machen müsse, sondern lediglich drei Zitate von Fidel Castro in den Raum zu werfen brauche. Allein mit der Adaption des Begriffs »Globaler Süden« vollziehen Varoufakis und seine Paneuropäer eine Modernisierung. Ansonsten tragen die üblichen Verdächtigen Schuld an der Misere: die »Wall Street«, die »Dollar-Dominanz«, der »amerikanische Neokolonialismus«. Und wie in den siebziger Jahren soll die Unterstützung des Kampfes gegen Israel diese große internationale Bewegung zusammenführen.

Diesbezüglich hatte die PI schon im Oktober eine Resolution verabschiedet, in der Israel als »koloniales Projekt und imperialer Vorposten gegen die Tendenz der Geschichte zur Befreiung« charakterisiert wird, so »dass die Befreiung des palästinensischen Volkes daher nicht nur einen schweren Schlag gegen den Imperialismus überall, sondern auch einen Fortschritt für die gesamte Menschheit« bedeuten würde.

Die Unterstützung für die Agitation gegen Israel erfolgt auch ganz praktisch. Nachdem die Berliner Sparkasse das Konto der Berliner Gruppe »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« eingefroren hatte, stellte DiEM25 sein Konto für Spenden zugunsten des Palästina-Kongresses zur Verfügung und tritt als einer der wichtigsten Organisatoren auf.