Israelfeinde suchen Gemeinschaft, um sich in ihren Glaubenssätzen zu bestärken

Der Kult um Palästina

Beim geplanten »Palästina-Kongress« in Berlin versammelt sich eine israelfeindliche Bewegung, die sich längst gegen die Realität abgeschottet hat. Folglich wähnt sie sich erfolgreich, obwohl sie dem Erreichen ihrer behaupteten Ziele nie ferner war.

Auch der Wahn, dem antizionistischen Endkampf Emanzipatorisches abzugewinnen, hat seine schnöden Aspekte. Beispielweise, dass von einem konstitutiven Irrtum abzulassen umso schwerer fällt, je mehr man bereits in dessen Dienst investiert hat. Das zeigte sich auch, als die Hamas am 7. Oktober vorigen Jahres den Antizionismus in bis dahin unbekanntem Ausmaß zur Kenntlichkeit entstellte: Die Reaktionen weiter Teile der Linken hierauf bewiesen, wie tief sie bereits in den Verrat jedes Gedankens an eine menschenwürdige Gesellschaft verstrickt waren. Das Repertoire reichte bekanntlich von Rechtfertigungen bis zu offener Verherrlichung.

Diese Glaubensfestigkeit hat die antizionistischen Linken ihren proklamierten Zielen offenkundig nicht näher gebracht. Und so ist der sogenannte Palästina-Kongress, der vom 12. bis 14. April in Berlin stattfinden soll, auch Ausdruck eigener Beharrlichkeit in der Abwehr sich aufdrängender Erkenntnis. Was als politische Bewegung schon immer zweifelhaft war, nimmt so zunehmend kulthafte Züge an.

Die unter den Organisatoren gelistete »Revolutionäre Linke« bekundete am 8. Oktober auf Facebook ihre »bedingungslose Solidarität« im Kampf gegen den zionistischen »Kettenhund des Imperialismus«.

Das in dieser Szene verbreitete Verständnis der im Januar vom Internationalen Gerichtshof (IGH) angeordneten »provisorischen Maßnahmen« zum Israel-Gaza-Krieg zeigt das Maß des Realitätsverlusts. Dass der IGH, ohne von Israel die Einstellung der Kampfhandlungen zu fordern, »Anzeichen für einen Genozid« (wie es auf der Homepage des Kongresses heißt) eingeräumt haben soll, muss man schon wirklich glauben wollen. Aber irgendeinen Nutzen muss man ja daraus schlagen, dass die Richter des IGH mehrfach den Begriff »plausible« verwendeten.

Zu den Glaubensartikeln der Kirche der Gerechten gegen Israel gehört auch, dass dem antizionistischen Engagement keineswegs ein antisemitischer Kern innewohne. Verbürgen soll das für den Kongress der Verein »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«, der auch gleich im Impressum verantwortlich zeichnet.

Versammlung einer Glaubensgemeinde

Von diesem Glaubenssatz will man sich keinesfalls abbringen lassen: Die ebenfalls unter den Organisatoren gelistete »Revolutionäre Linke« bekundete am 8. Oktober auf Facebook ihre »bedingungslose Solidarität« im Kampf gegen den zionistischen »Kettenhund des Imperialismus«. Ihre »bedingungslose Solidarität mit dem Befreiungskampf gegen den Siedlerkolonialismus« äußerte am selben Tag auch die Berliner Gruppe Palästinakampagne, ebenfalls eine der Unterstützergruppen des Kongresses – das Wort »bedingungslos« soll wohl schon vorsorglich gegen Kritik und Zweifel abdichten.

Was diese beiden beliebig zu vermehrenden Beispiele aus der Liste der Unterstützergruppen verdeutlichen, bestätigt ein Blick in das Programm. Dabei stechen neben der üblichen antizionistischen Hausmannskost zwei sogenannte Tribunale heraus, in denen der »Genozid« im Gaza-Streifen und dessen deutsche Unterstützung verhandelt werden sollen.

Auch wenn solche Tribunale auf eine öffentlichkeitswirksame Diffamierung Israels abzielen, weckt der Kongress vor allem den Eindruck, es versammle sich eine Glaubensgemeinde, um ihren inneren Zusammenhalt zu festigen. In der gemeinsam gepflegten Nestwärme lässt sich offenbar leichter am antizionistischen Maximalismus festhalten.

Eben weil das Hamas-Massaker nicht so einfach aus der Welt zu schaffen ist, bedarf es der Gemeinschaft zur Festigung des Glaubens an die Gerechtigkeit der verfochtenen Sache.

Eben weil das Hamas-Massaker nicht so einfach aus der Welt zu schaffen ist, bedarf es der Gemeinschaft zur Festigung des Glaubens an die Gerechtigkeit der verfochtenen Sache – bliebe der Einzelne sich selbst überlassen, würde sich ihm die von der Hamas überzeugend vorgebrachte Erinnerung an die Notwendigkeit des Zionismus vielleicht doch zu stark aufdrängen. Einander zu vergewissern, dass Israel einen Genozid begehe, hilft nicht nur, die eigenen Zweifel zu beschwichtigen, es legitimiert auch die Aggressionen beispielsweise gegen jüdische Studenten an Universitäten.

Offenkundig prägen die hier konstatierten Entwicklungen das antizionistische Engagement von Beginn an, beispielsweise die immer neue Proklamation des »Rückkehrrechts der Flüchtlinge«, die nicht auf die Verbesserung von deren Lebensverhältnissen, sondern die vermeintliche »Gerechtigkeit« zielt. Auch die Propaganda zu Israels angeblicher Absicht, die auf dem Jerusalemer Tempelberg gelegene al-Aqsa-Moschee zu zerstören, wäre hier zu nennen.

»By any means necessary«

Die psychischen Energien, die die gemeinschaftliche Verdrängung des am 7. Oktober offensichtlich Gewordenen erfordert, wie auch die Tatsache, dass die Bewegung sich dem Etappenziel nie so nahe gefühlt hat, Israel des Genozids zu überführen, vertiefen jedoch die Kluft zwischen dem Weltbild der Beteiligten und der Wirklichkeit zusätzlich. Das gelobte Land Palästina scheint derzeit näher denn je und gleichzeitig unerreichbar. Vor einigen Tagen kursierte auf X ein Videoausschnitt von einer Demonstration in Nordamerika, bei der die Menge »From the river to the sea – Palestine is almost free« skandierte, in der Mitte ein Banner mit der Aufschrift »by any means necessary«.

Von der Unbedingtheit des Endziels, die »zionistische Entität« vom Erdboden zu tilgen, nicht lassen zu können, verleiht den Aktionen der Bewegung zudem immer offensichtlicher selbstzweckhaften Charakter. Anders wäre ja kaum auszuhalten, dass alles unterhalb des Siegs in der finalen Schlacht immer auch einen Beigeschmack von Niederlage hat.

Paradoxerweise mögen einzelne Engagierte sich vielleicht gar gut mit der willkommenen Orientierung einrichten, die so ein ewiger Feind bietet. Von der sadistischen Freude an der Gewalt, die sich gegen Israel und seine Bewohner richtet, muss man deswegen ja nicht ablassen. Allerdings steht zu befürchten, dass bei den Feinden Israels weltweit das ohnehin schon geringe Potential für kritische Einsicht eher noch weiter schwindet, wenn die Motivation immer mehr der Bewegung als solcher und immer weniger dem Ziel gilt, dem sie dem Anspruch nach dient.