Über das langweilige Ritual, linke Gewissheiten auszutauschen

Motivierende Sonntagsreden

Kongresse von Linken sind meist recht vorhersehbare Angelegenheiten, bei denen es wenig Neues zu erfahren gibt. Mehr oder weniger heimlich träumen einige der sogenannten Palästina-Aktivisten schon von der großen welthistorischen Abrechnung, die Israel und seine Fürsprecher ereilen werde.
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Woher diese chronische linke Begeisterung für große Kongresse – also die Kombination aus Plenum, Volksküche und sehr viel »nein, jetzt gibt es keine Kaffeepause, der Dingens hält uns nämlich nun einen Vortrag, an dem er wirklich sehr lange gearbeitet hat« – kommt, ist unklar. Auf vielen Kongressen muss man zudem auch gar nicht gewesen sein, um mitleidslos zu finden, dass die meisten Teilnehmer völlig verdient haben, was ihnen da widerfährt.

Nahtlos geht der Vortrag in ein Vernetzungstreffen über, auf dem große Pläne entwickelt werden.

Von zwölf bis 14 Uhr gesagt bekommen, was man zu denken hat beziehungsweise ohnehin schon denkt, denn sonst wäre man ja wohl kaum zum Kongress gekommen, zum Beispiel. Anschließend gibt es Essen, dann anderthalb Stunden Podiumsdiskussion zwischen drei bis fünf Leuten, die einer Meinung sind, gefolgt von der halbstündigen Möglichkeit für das Publikum, Fragen zu stellen.

Halt nein, viertelstündig, denn der erste Redebeitrag kommt immer von jemandem, der sich zunächst »kurz vorstellen möchte« und nach fünfminütiger Aufzählung seiner Lebensleistungen die vorangegangene Diskussion bewertet, um nach der dritten Bitte, nun aber wirklich zum Ende zu kommen, zur sofortigen Revolution oder wenigstens zur Besetzung der nächstgelegenen Parteizentrale oder Straßenkreuzung aufzurufen.

Ein bisschen Wir-Gefühl verbreiten

Doch, gute Idee, aber nicht jetzt, jetzt ist Pause und alle müssen aufs Klo, übrigens schon länger, aber natürlich wollte niemand während der wichtigen Diskussion den Eindruck erwecken, den Raum zu verlassen, weil man nicht mit dem Gesagten einverstanden war, bloß das nicht.

Es folgt ein wichtiger Vortrag, in dem rund eine Stunde lang eines der Kernargumente aus der vorangegangenen Podiumsdiskussion ausgeführt wird, allerdings nach jeweils zehn Minuten unterbrochen durch gemeinschaftliches Skandieren der Parole des Tages, ein bisschen Wir-Gefühl zu verbreiten ist schließlich immer schön.

Nach dem Abendessen gibt es einen weiteren Vortrag, dessen wichtigste Punkte jeweils auf dem großen Beamer für alle gut sichtbar zusammengefasst werden, herzlichen Dank an die Technik-Gruppe, die das dafür benötigte Kabel doch noch gefunden hat, bitte einmal eine Runde Applaus für Malte und Jana-Marie.

Nahtlos geht der Vortrag dann in das Vernetzungstreffen über, auf dem große Pläne entwickelt werden und allgemein sehr viel getrunken wird, was sich am nächsten Tag rächen sollte, denn der fängt um zehn mit einem Vortrag auf Englisch an, halt nein, zwei Vorträgen auf Englisch, am besten geht man zu dem, der gleich neben der Cafeteria liegt.

Egal, wie sehr die Teilnehmer des Palästina-Kongresses anschließend davon schwärmen, wie großartig das alles war und wie viel Kraft und Motivation ihnen das alles für die anstehenden Monate und Jahre gegeben hat, am Ende müssen sie wieder heimkehren in die Realität.

Punkt halb elf sitzen dann wieder Experten auf dem Podium und sagen Sachen, anschließend ist Mittagspause, na, hoffentlich sind die Ersten am Büfett nicht wieder so verfressen – und so geht das weiter. Vortrag folgt auf Vortrag und Panel auf Panel und Workshop auf Workshop. Egal, wie sehr die Teilnehmer des Palästina-Kongresses anschließend davon schwärmen, wie großartig das alles war und wie viel Kraft und Motivation ihnen das alles für die anstehenden Monate und Jahre gegeben hat, am Ende müssen sie wieder heimkehren in die Realität.

Vielleicht tun sie dies voller Pläne, sich wie die Letzte Generation auf Fahrbahnen und vor diesem und jenem festzukleben, wofür der geplante Workshop 3 »Effektiver Aktivismus für Palästina auf deutschen Straßen« spricht, aber das muss nichts heißen. Denn die Realität hat sich übers Wochenende nicht so geändert, wie sich die Teilnehmer das erhoffen.

Der Traum vom großen Tribunal

Statt langweiligem Kongress träumen zumindest einige derjenigen, die sich beispielsweise auf Social Media äußern, nämlich von ganz was anderem: »Die, die sich bald nach und nach vor Gericht verantworten müssen, sind die Unterstützer des israelischen Terrorregimes. Genau wie man Nazis noch nach 50 Jahren gefasst hat.«

So oder so ähnlich fallen die Antworten aus, die man bei X, vormals Twitter, auf der Palästina-Blase nicht genehme Tweets erhält, und immer blitzt ein bisschen der Traum vom großen Tribunal auf, dessen Vorsitzende diese Leute so gern wären, oder vielleicht doch lieber von Schnellgerichten, so genau will man sich offensichtlich noch nicht festlegen. Aber demnächst gibt es sicher dazu einen großen Kongress.