Das Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln prozessiert wegen der gestrichenen Landesmittel

Über Gaza reden, die Hamas verschweigen

Dem Berliner Kulturzentrum Oyoun wurde die staatliche Förderung entzogen, doch der Betrieb läuft weiter. Ein Ortsbesuch zeigt: Das Oyoun ist zu einem Zentrum der israelfeindlichen Protestszene geworden.

Ein Samstagabend im März 2024. Es ist Kinozeit im Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln. Dicht gedrängt sitzt ein junges, internationales Publikum im Foyer, viele tragen Palästinensertücher, man spricht Englisch miteinander. Eine Frau trägt eine Haarspange in Form einer Wassermelone: rot-weiß-grün, das sind die Farben der palästinensischen Flagge, die Wassermelone ist ein beliebtes Symbol in der Szene.

Nach einem Konflikt um den Auftritt einer BDS-nahen Gruppe im Oyoun hat der Kultursenat die Förderung für das Kulturzentrum Ende 2023 eingestellt. Seitdem ist die Zukunft ungewiss. Während die Betreiber gegen die Entscheidung vor Gericht ziehen und medial verbreiten, ihre Kunstfreiheit werde eingeschränkt, läuft der Betrieb erst mal ohne Förderung weiter. Das wöchentliche »Yoga für BIPoC« wird nicht mehr angeboten, aber immer noch gibt es einige Ausstellungen, Workshops oder Filmabende.

Die Gruppe The Left Berlin  ist aus der Linkspartei hervorgegangen und bezeichnet sich selbst als »Gemeinschaft der inter­nationalen Progressiven«

An jenem Samstagabend waren die Menschen gekommen, um sich »Aisheen – Still Alive in Gaza« anzusehen. Der Dokumentarfilm aus dem Jahr 2010 zeigt das Leben im Gaza-Streifen. »Wir müssen die Juden loswerden, damit es uns besser geht«, sagt ein junger Mann in dem Film ernst in die Kamera. Es sei so schön, dass der Film nichts erkläre oder einordne, sagt eine Zuschauerin bei der anschließenden Diskussion.

Betrieben wird das Oyoun von der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft Kultur Neudenken. Seit der Kultursenator Joe Chialo (CDU) im November 2023 bekanntgab, dass die Förderung auslaufen werde, kämpft sie darum, dass ihr weiterhin jährlich eine Million Euro als staatliche Kulturförderung gezahlt wird.

Massaker vom 7. Oktober als »Gefängnisausbruch«

Das Mietverhältnis war an die Kulturförderung gebunden und lief ebenfalls Ende 2023 aus. Eine Sprecherin der Vermieterin, die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH, sagte der Jungle World, man habe dem Oyoun »nun eine letzte Räumungsfrist gesetzt. Sollte auch diese Frist verstreichen, bleibt uns kein anderer Weg als die Erhebung einer Räumungsklage«.

Anlass der Auseinandersetzung mit dem Senat war eine Oyoun-Veranstaltung mit dem Verein »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost«. Die Gruppe unterstützt die Initiative »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS), die sich unter anderem für einen Kulturboykott israelischer Künstler ausspricht und von vielen als antisemitisch bewertet wird. Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober beschrieb der Verein in einer Stellungnahme als »Gefängnisausbruch«, ohne die Hamas dabei überhaupt zu erwähnen.

Die Betreiber des Oyoun, die sich auf Anfrage der Jungle World nicht äußern wollten, haben bereits zweimal auf eine Fortsetzung der Förderung geklagt – und verloren. »Das von Kultur Neudenken gUG angestrengte Eilverfahren wurde zuletzt vom Oberverwaltungsgericht auch in der zweiten Instanz abgewiesen«, sagt Daniel Bartsch, Pressesprecher des Kultursenators, auf Anfrage der Jungle World mit. Ein Hauptsacheverfahren stehe noch aus.

Was passiert eigentlich im Oyoun?

Die medial verbreitete Behauptung der Oyoun-Betreiber, ihnen sei schriftlich eine Förderung von 2022 bis 2025 zugesagt worden, weist Bartsch zurück, will sich aber zum laufenden Verfahren nicht weiter äußern. »Der Standort soll neu ausgeschrieben werden, wahrscheinlich im Laufe des Sommers«, sagt Bartsch. Was im Oyoun inhaltlich passiere, sei jetzt nicht mehr Sache der Senatsverwaltung. Aber was passiert dort eigentlich genau?

Das Oyoun hat sich neben Ausstellungen, Workshops oder Filmabenden zum Zentrum der israelfeindlichen Szene rund um die Gruppe The Left Berlin entwickelt. Diese war aus der Linkspartei hervorgegangen und bezeichnet sich selbst als »Gemeinschaft der inter­nationalen Progressiven«; sie organisierte zum Beispiel die Filmvorführung von »Aisheen«.

»Die Menschen trinken jetzt schon Meerwasser«, erzählt die Aktivistin Fida’a al-Zaanin im Oyoun, die israelischen Soldaten hätten das Wasser vergiftet.

Gleich am Eingang des Oyoun liegen kostenlose Aufkleber mit Friedenstauben und Palästinafahnen, statt Eintritt wird um eine Spende »für Gaza« ge­beten. Fragen stellt das Oyoun-Publikum offenbar nicht so gern. Sie könne niemanden im Gaza-Streifen erreichen, sagt die palästinensische Aktivistin Fida’a al-Zaanin bei einem Vortrag im Januar. Die ganze Region sei vom Internet abgeschnitten, nicht einmal die Evakuierungsaufforderungen Israels an die Zivilbevölkerung seien bei den Menschen angekommen. Wie sie dann jeden Tag zahllose Whatsapp-Nachrichten von ihren Verwandten und Freunden aus dem Gaza-Streifen bekommt, von denen sie ebenfalls ­erzählt – niemand im Saal stellt diese naheliegende Frage.

»Die Menschen trinken jetzt schon Meerwasser«, erzählt al-Zaanin weiter, die israelischen Soldaten hätten das Wasser vergiftet. Den Soldaten sei befohlen worden, so viele Menschen wie möglich verhungern zu lassen und so viele wie möglich zu töten. Besonders brutal gehe das israelische Militär gegen Professoren vor, um den Gaza-Streifen langfristig zu schädigen. »Intellektuelle und Wissenschaftler werden gezielt ­getötet«, behauptet sie. Diese hanebüchenen Behauptungen nimmt das Publikum ergriffen auf, ohne kritische Rückfrage. Al-Zaanin erzählt lange und viel über Gaza an diesem Abend, die Wörter »7. Oktober« oder »Hamas« fallen nicht.

Klimaschutzdemonstrationen kapern

Ramsy Kilani, eigenen Angaben zufolge ein angehender Lehrer und Mitglied der Linkspartei, spricht einige Wochen später im Oyoun. Er betont, wie wichtig Kontext (»the whole picture«) sei, aber auch er scheint damit nicht die Strategie und Ideologie der Hamas zu meinen. Stattdessen erzählt er, dass man ihm im Oktober 2023 seine Menschenrechte genommen habe.

Gemeint sind die »propalästinensischen« Demonstrationen auf der Sonnenallee, von denen einige wegen drohender Gewalteskalation in Berlin verboten worden waren, unter anderem nachdem ein Molotowcocktail auf eine ­Synagoge geworfen worden war. Diesen Kontext nennt Kilani nicht. Stattdessen formuliert er ein klares Ziel für die »Bewegung«. Man müsse Massendemonstrationen kapern, also zum Beispiel bei Klimaschutzdemonstrationen Palästina-Blöcke bilden.

Wie das gelingen kann, wird wohl auch auf dem Palästina-Kongress diskutiert werden, der vom 12. bis zum 14. April in Berlin stattfinden soll. Dort sind Redner angekündigt, die ganz ­offen die »Courage« der »heldenhaften« Hamas-Kämpfer bewundern. Mitveranstalter des Kongresses ist die »Jüdische Stimme« – jene Gruppe also, die Oyoun die Förderung in Höhe von einer Million Euro im Jahr gekostet haben könnte.