Auch dank der SPD werden Sanktionen gegen Arbeitslose verschärft

Arbeit macht krank

Führende Politiker betonen die Wichtigkeit der Arbeit, die Bundesregierung will Sanktionen für Arbeitslose verschärfen. Neue Zahlen zeigen unterdessen: Der Arbeitsdruck macht immer mehr Menschen krank.

Noch nie haben in der Bundesrepublik so viele Menschen gearbeitet. Im vergangenen Jahr waren im Schnitt 45,9 Millionen Menschen erwerbstätig, rund 333.000 mehr als im Jahr davor – der höchste Wert seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik 1990. Doch diese Meldung erregte wenig Aufmerksamkeit. Stattdessen wird seit Jahresbeginn mal wieder darüber diskutiert, dass angeblich faule Arbeitslose zur Arbeit gezwungen werden müssen.

Zuerst berichtete die Bild-Zeitung »exklusiv« von dem »Knallhart-Plan von Arbeitsminister Hubertus Heil«. Das SPD-geführte Arbeitsministerium will Arbeitslosen, die »sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen«, den Regelsatz des Bürgergelds bis zu zwei Monate lang komplett streichen. »Jetzt geht es den Faulpelzen ans Geld!« schrieb Bild. Die CSU versuchte kurz darauf, den »Knallhart-Plan« noch zu übertreffen. Sie forderte, im erwähnten Fall die Bezüge sogar unbefristet zu streichen.

Im Dezember waren 2.637.000 Menschen arbeitslos, das sind 183.000 mehr als im Vorjahresmonat und entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,7 Prozent. Historisch gesehen ist das ein niedriger Wert. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen lag bei 927.000, auch das waren etwas mehr als im selben Monat vor einem Jahr, was allerdings zu einem großen Teil auf den Zuzug ukrainischer Flüchtlinge zurückgeht. Als langzeitarbeitslos gilt, wer seit mindestens zwölf Monaten keiner Erwerbsbeschäftigung nachgeht.

Heils geplante Sanktionsverschärfung soll nur 170 Millionen Euro jährlich einbringen, fällt also kaum ins Gewicht. Das Hauptziel dürfte sein, Druck auf Arbeitslose auszuüben.

Viele behaupten, das Bürgergeld sei die Ursache für die Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit. Der Arbeitsmarktforscher Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln beispielsweise klagte kürzlich in der FAZ, es gebe kaum Anreize zur Arbeitsaufnahme, weil die Leistungen so hoch seien. Er empfahl außerdem stärkere Sanktionsmöglichkeiten im Umgang mit »unkooperativen Arbeitslosen«.

Die SPD hatte das Anfang 2023 eingeführte Bürgergeld eigentlich als Abkehr vom früheren Sanktionsregime verkauft. In der Substanz hat sich freilich nicht allzu viel verändert. Nun sieht sich Heil trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit bemüßigt, den Umgang mit den Empfängern staatlicher Hilfen noch ein wenig unmenschlicher zu gestalten. Sein Gesetzesentwurf, der noch nicht mit dem übrigen Kabinett abgestimmt ist, sieht vor, Arbeitslosen, die »sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen«, nur noch Unterkunft und Heizung zu bezahlen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 eigentlich festgelegt, dass das Bürgergeld um maximal 30 Prozent gekürzt werden darf. Doch das Arbeitsministerium ist zuversichtlich, dass sein Plan grundgesetzkonform ist. Denn die Sanktionen würden ja nur angewandt, wenn tatsächlich eine »zumutbare Arbeit« angeboten wird, es also einen Ausweg aus der Verelendung gibt.

Die Bundesregierung versucht derzeit, in allen Ressorts Geld einzusparen. Heils geplante Sanktionsverschärfung soll allerdings nur 170 Millionen Euro jährlich einbringen, fällt also kaum ins Gewicht. Das Hauptziel dürfte demnach sein, Druck auf Arbeitslose auszuüben – und Lob von der Bild-Zeitung einzuheimsen, dass man gegen »Faulpelze« vorgeht. Das hat auch eine disziplinierende Wirkung auf Angestellte, die fürchten müssen, ohne ihre Arbeit alles zu verlieren.

Heil zeigte sich kürzlich in der Talkshow »Hart aber fair« überzeugt, »dass Arbeit einen Unterschied macht« und »dieses Land voranbringt«. In dieselbe Kerbe hatte zuvor Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) geschlagen, der im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe betonte, wie wichtig es sei, an einer 40stündigen Arbeitswoche festzuhalten. Er kritisierte damit den Wunsch insbesondere jüngerer Menschen nach kürzeren Arbeitszeiten. Die 40-Stunden-Woche sei nötig für den Wohlstand Deutschlands.

Aber was ist Wohlstand, könnte man fragen – gehört zu ihm nicht gerade auch das Vermögen, über die eigene Zeit zu verfügen? Arbeit schafft vor allem riesige Berge von Waren. Viele davon verwandeln sich nach kurzer Zeit in Müll, wodurch immer mehr Natur zerstört wird. Ähnlich ergeht es der inneren Natur des Menschen, die verschlissen wird, bis sie zusammenbricht.

Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen ist im Jahr 2022 auf 132 Millionen gestiegen. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Menge mehr als verdoppelt.

In der vergangenen Woche ergab eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestag, dass die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen im Jahr 2022 auf 132 Millionen gestiegen ist. Das waren sechs Millionen Tage mehr als 2021. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl sogar mehr als verdoppelt. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch arbeitsbedingte psychische Störungen lagen 2022 bei 17,2 Milliarden Euro – mehr als hundertmal mal so viel, wie Heil mit den schärferen Sanktionen einsparen will.

Als Gründe für die Ausfälle nennt das Ministerium die Folgen der jüngsten Krisen sowie eine wachsende Offenheit im Umgang mit psychischen Erkrankungen. Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass vor allem die Arbeitsbedingungen selbst die Ursache sein könnten. Gerade in Krankenhäusern, Kitas, Schulen und in der öffentlichen Verwaltung ist die Zahl der Fehltage überdurchschnittlich hoch. Das sind genau jene Orte, an denen seit Jahren über eine erhebliche Arbeitsüberbelastung geklagt wird und zugleich immer mehr Leistung verlangt wird. Die Überlastung führt durch Krankheit und Kündigungen zu Personalmangel und dieser zu noch mehr Überlastung. Susanne Ferschl, eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, sprach von einem Teufelskreis, der kaum noch durchbrochen werden könne.

Vielfach führt die Arbeit nicht nur zur völligen Erschöpfung, sondern wird zugleich immer unbefriedigender. Wenn man immer rastloser von einem Arbeitsgang zum nächsten hetzen muss, bleibt auch das Gefühl aus, die Aufgaben wirklich erledigt zu haben. All das zusammen mündet immer häufiger in Angststörungen, Depressionen, Burn-out und dergleichen. Psychische Erkrankungen gehören mittlerweile zur Arbeitswelt, wie einst fehlende Finger oder Staublungen zu den typischen Begleiterscheinungen der Industrialisierung zählten.