Das Vorgehen der Polizei gegen den »Palästina-Kongress«

Die Polizei hatte Spielraum

Auf dem Palästina-Kongress in Berlin waren Hamas-Unterstützer und Pogromabfeierer als Redner geladen. Dass er von der Polizei verboten wurde, ist trotzdem fragwürdig.
Kommentar Von

»Please, everyone sit down, so that the media – even the pro-zionist media – can see what’s happening here.« So hörte man eine Sprecherin während der Räumung des sogenannten Palästina-Kongresses am 12.April in den letzten Minuten des Livestreams empört rufen. Zu sehen war dann allerdings nicht mehr viel. Die Polizei hatte die Versammlung aufgelöst und begonnen, die Konferenz in Berlin-Tempelhof zu räumen.

Zuvor hatte Salman Abu Sitta per Videoansprache zum Kongress geredet. Im Januar hatte der Aktivist und Autor noch in einem Artikel geschrieben, dass auch er einer der »mutigen« Angreifer vom 7.Oktober hätte sein können, wenn er noch deutlich jünger wäre und im »Konzentrationslager« Gaza leben würde.

Es stellt sich die seit Monaten diskutierte Frage, welche israelfeindlichen und antisemitischen Äußerungen überhaupt strafbar sind.

Auf X begründete die Polizei ihr Einschreiten damit, dass für Abu Sitta ein politisches Betätigungsverbot gilt. Es bestehe die Gefahr, dass es nicht bei seinem Beitrag bleibe, sondern »dass wiederholt ein Redner zugeschaltet wird, der sich schon in der Vergangenheit antisemitisch bzw. gewaltverherrlichend öffentlich geäußert hat«.

In Berlin können Versammlungen in geschlossenen Räumen unter anderem dann verboten werden, wenn eine unmittelbare Gefahr besteht, dass sogenannte Äußerungsdelikte begangen werden. Dazu gehören etwa Volksverhetzung und die Billigung von oder Aufforderung zu Straftaten.

Dabei stellt sich jedoch die seit Monaten diskutierte Frage, welche israelfeindlichen und antisemitischen Äußerungen überhaupt strafbar sind. Bei vielen – zum Beispiel der Parole »From the river to the sea« – hängt es vom Einzelfall und dem Kontext der Aussage ab. Die konkrete juristische Bewertung ist kompliziert und häufig auch unter Jurist:innen umstritten. Vieles ist noch nicht gerichtlich geklärt. Die Auflösung des Kongresses erfolgte auch unter diesen Bedingungen einer rechtlich uneindeutigen Lage.

Um die Konferenz verbieten zu können, musste die Polizei davon ausgehen, dass eine unmittelbare Gefahr vorliegt, also eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass Straftaten begangen werden. Eine solche Gefahrenprognosen kann immer danebenliegen, sogar wenn die Polizei bemüht ist, fair zu entscheiden, was natürlich nicht immer der Fall ist: Die Polizei kann Fakten ausblenden, falsch interpretieren oder ihre Wichtigkeit falsch einschätzen.

Zudem genügt es nicht, dass die Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden. Die Antwort der Polizei darauf muss verhältnismäßig sein. Auch diese Einschätzung der Verhältnismäßigkeit kann zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, die verhandelten Fragen sind komplex und ihre Bewertung kann von Fall zu Fall abweichen.

Wer nicht glaubt, dass es andere Veranstaltungen bald ebenso treffen könnte, sollte sich noch einmal anschauen, wie in den vergangenen zwei Jahren mit der Klimabewegung umgegangen wurde.

Ob die Polizei im Fall des aufgelösten »Palästina-Kongresses« rechtmäßig oder rechtswidrig gehandelt hat, lässt sich aus der Distanz kaum bewerten. Wichtig ist vor allem Folgendes: Sie hatte einigen Spielraum bei der Frage, wie sie mit der Veranstaltung umgeht. Die Polizei wendet das Recht nicht bloß an, sondern interpretiert es auch. Ihre Entscheidungen lassen sich zwar im Nachhinein vor Gericht überprüfen, dann jedoch ist es oft zu spät und der Schaden für die Betroffenen nicht mehr zu beheben.

Angesichts der eingeladenen Redner:innen spricht einiges für die Annahme der Polizei, dass auf dem Kongress weitere Straftaten begangen worden wären, wenn sie ihn nicht aufgelöst hätte. Einiges spricht aber auch dagegen. Ein Anwalt der Veranstalter:innen hat in einem Interview mit der Taz berichtet, diese seien der Polizei gegenüber kooperativ aufgetreten, hätten ihr vorab alle Redner:innen mitgeteilt und seien bereit gewesen, Auflagen für die Versammlung zu akzeptieren.

Zudem hätten sie vor Ort angeboten, den Redebeitrag von Abu Sitta zu überspringen. Nach eigenen Angaben auf X war die Polizei zudem mit rund 930 Beamt:innen im Einsatz. Schwer zu glauben, dass es ihr nur durch eine Auflösung möglich gewesen sein soll, strafbare Redebeiträge zu verhindern, und ihr keine weniger einschneidenden Mittel zur Verfügung standen.

Der Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins warf der Polizei denn auch einige Tage später auf X vor, sie habe durch die späte Bekanntgabe vor Ort bewusst die Möglichkeit vereitelt, gegen das Verbot Rechtsschutz zu erlangen. Man halte das Vorgehen der Behörden für unverhältnismäßig und nicht für mit der Versammlungs- und Meinungsfreiheit vereinbar.

An dem Kongress gibt es nichts schönzureden. Schon im Ankündigungstext war de facto gefordert worden, Israel zu zerstören. Aber Grundrechte gelten nicht nur für Menschen mit vernünftigen politischen Ansichten.

Man sollte sich bewusst machen, dass die Auflösung der Versammlung nicht bloß die Umsetzung von Recht war, sondern maßgeblich von den Bewertungen der Polizei abhing. Die Polizei ist nicht unabhängig von einem gesellschaftlichen Klima, in dem politischer Protest immer unduldsamer und autoritärer behandelt wird.

Wer nicht glaubt, dass es andere Veranstaltungen bald ebenso treffen könnte, sollte sich noch einmal anschauen, wie in den vergangenen zwei Jahren mit der Klimabewegung umgegangen wurde.