Wie sich eine Band als Anti-Klimakleber-Kapelle profiliert

Der Sound prügelnder Papis in Camp-David-Jacken

Den Aktivisten der Letzten Generation schlägt immer öfter blanker Hass entgegen. In dieser Situation finden die hämischen Musikvideos der Band Dorfrocker großen Beifall. Sie profiliert sich als Anti-Klimakleber-Kapelle und die Boulevardpresse heizt die Kampagne weiter an.

»Der Bull-, der Bull-, der Bulldog hat ka’ Bremse«, singt der Traktorfahrer augenzwinkernd zur Melodie eines bekannten Ballermann-Hits und rollt auf eine am Boden sitzende Person zu. Diese hält eine Möhre in der einen Hand, die andere ruht auf dem ­Asphalt. Der singende Traktorist in Lederhose weicht dem Sitzenden im letzten Moment aus und bespritzt ihn dabei aus seinem Tankanhänger ­literweise mit Gülle. »Das passiert mit Klimakleber aufm Bauernhof«, heißt in eigenwilligem Deutsch das Stück der Band Dorfrocker, das sich auf Youtube großer Beliebtheit erfreut. Rund 1,8 Millionen Mal wurde es aufgerufen und vielfach – zumeist zustimmend – kommentiert. Der Ton ist hämisch bis hetzerisch. Smileys mit Lachtränen inklusive. »So geht man mit diesen Idioten um!!!« sekundiert einer. Ein anderer schlägt vor: »Mit einer Betonpumpe kann man auch wunderschöne Skulpturen formen!!« »Super«, freut sich ein Kommentator, »die Pattexbande verdient es nicht anders. Gülle zu Gülle«; ein weiterer meint: »Einfach mit Vollgas darüber ist das Beste.«

Im Schutz der Anonymität im Netz schwelgen User in Gewaltphantasien gegen das »Klimapack«. Politiker ziehen überzogene Terrorismusvergleiche, Medien halluzinieren das Notwehrrecht herbei, verärgerte ­Autofahrer prügeln die Protestierenden schon mal von der Straße oder zerren sie an den Haaren aus dem Weg. Kein Wunder, dass die Dorfrocker in diesem Milieu Beifall ernten. Aber es gibt auch ein paar andere Stimmen. »Wenn man nicht singen kann, muss man eben jedes Thema ausschlachten«, meint ein User.

Es ist nicht der einzige Song, in dem die musikalischen Volkstümler die Letzte Generation schmähen. »In der Kleberstraße, da sitzt ein Mädchen, wartend auf ihr erstes Auto«, singen sie sexualisierend zur Melodie von »Mendocino«. »Schickt die Klimakleber nach Katar«, heißt es in einem anderen Lied der Dorfrocker. Die 2005 gegründete Band, bestehend aus den drei Brüdern Tobias, Markus und Philipp Thomann, fand ihr Publikum bisher in der Sparte Volksmusik und kam erst durch die gegen den Klimaprotest gerichteten Stücke so richtig in die Schlagzeilen. Vertreter der Letzten Generation reagierten ziemlich gelassen auf die Schmähvideos und boten den Volksmusikern einen Dialog an.

Von der großen Resonanz, die die Dorfrocker in den Medien erfahren, dürften sich nicht zuletzt Gruppen rechter Klimaschutzgegner wie »Fridays for Hubraum« ermutigt fühlen.

Die Band, die nach eigener Aussage Werbung für den ländlichen Raum machen will, erzählt in Interviews, man sei von den Straßenblockierern genervt gewesen. Sie attestierten den Aktivisten Doppelmoral, schließlich würden diese privat in den Urlaub nach Bali fliegen. Hemmungen bei der Selbstvermarktung zeigten die Musiker auch nicht, als sie Servus TV ein Interview gaben, einem Sender, der durch rechte Inhalte auffällt. Sie selbst bedienen in ihren Liedern Klischees von fröhlichen Jungbauern und verkopften Städtern und verwenden mit viel aufdringlichem Augenzwinkern Kulturkampfrhetorik. ­Dieser zufolge lebt eine völlig überspannte, ferngesteuerte Jugend in den Metropolen, während die Jungs und Madeln auf dem Dorf die ganze Zeit ihr glückliches Landleben feiern.

Diese klassische konservative Erzählung bedient auch der Gülle-Clip mit dem Möhren mümmelnden ­Klimaaktivisten. Dass es auch auf dem Land Probleme gibt, demons­trieren nicht zuletzt Konvois aus Treckern, die bei Bauernprotesten in ­regelmäßigen Abständen die Städte lahm­legen – worauf die Politik ganz anders reagiert als auf die Blockaden der Letzten Generation. Zumindest kam noch niemand auf die Idee, von einer Bauern-RAF zu sprechen.

Von der großen Resonanz, die die Dorfrocker in den Medien erfahren, dürften sich nicht zuletzt Gruppen rechter Klimaschutzgegner wie »Fridays for Hubraum« ermutigt fühlen. Das begünstigt jene Selbstermächtigung, die man insbesondere seit den »Querdenken«-Demonstrationen beobachten kann und die sich auf Pro-Putin- und den sogenannten Energie-Demos fortsetzen. Papis in Camp-David-Jacken gehen mit Fäusten auf alles los, was ihrem regressiven Freiheitsbegriff entgegensteht. Die Gewalttätigen fühlen sich schlichtweg aufgefordert, den vermeintlichen Volkswillen durchzusetzen. Wenn das derbe Dorfrocker-Video medial fast durchgängig als witzige Parodie dargestellt wird, hat das dieselbe Wirkung.

Noch ein anderer Mechanismus lässt sich beobachten: der Normalismus. »Das Video spricht mir und so vielen anderen normalen Menschen aus der Seele«, heißt es in einem Youtube-Kommentar, gefolgt von drei gereckten Daumen. »Schade, dass der Staat mal wieder nichts gegen diese Klimaverrückten unternimmt.« Wenn Klimaaktivisten wie die der Letzten Generation für abnormal erklärt werden, braucht man sie nicht ernst zu nehmen. Dann muss man sich auch nicht damit aufhalten, über ihre sicherlich zu hinterfragenden Methoden zu streiten, sondern kann den Klimaschutz beiseite schieben – und die Aktivisten von der Fahrbahn.

Der hier wirksam werdende Normalitätsdiskurs, wie ihn der Literaturwissenschaftler Jürgen Link in Anlehnung an Foucault beschrieben hat, ist im Gezerre um Gendersternchen oder beispielsweise beim Spott über Lastenräder immer wieder dann zu beobachten, wenn Konservativen die Argumente ausgehen. Wenn die Aktivisten normal wären, würden sie ja nicht mit Sitzblockaden ins Gewohnheitsrecht der Autofahrer eingreifen – so empfinden diese das. Diese Verletzung und Kränkung kann in Gewalt umschlagen, die von der Öffentlichkeit legitimiert scheint, wenn sogar Politiker die Aktionen der Letzten Generation für »völlig bekloppt« erklären.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verglich die Straßenblockaden mit Weimarer Zuständen.

Diese Worte fand Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für die Aktionen der Klimademonstranten. Anstatt denjenigen Einhalt zu gebieten, die Klimakleber mit Gewalt von der Straße zerren, bestärkt er sie damit. Auf gesellschaftliche Ausgrenzung folgt entgrenztes Handeln. Schon früh diskutierte die Springer-Presse die Frage, ob blockierte Autofahrer aus Notwehr selbst eingreifen dürften, statt auf das Eintreffen der Polizei zu warten. »Was passiert, wenn Autofahrer Klima-Klebern eine kleben?« titelte Bild.

»Handeln Autofahrer in Notwehr?« lautete der Titel einer Talkshow im RBB Ende Mai. Der Brandenburger CDU-Landesfraktionsvorsitzende Jan Redmann sagte, es sei nicht ­illegal, sich gegen diese »Freiheitsberaubung zur Wehr« zu setzen und »jemanden zur Seite« zu schieben.

Der Verniedlichung von Autofahrergewalt steht eine Kriminalisierung friedlicher Blockierer gegenüber. Nach Aufmerksamkeit heischend warnte der Vorsitzende der CSU-­Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, vor einer »Klima-RAF«. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte dem Re­daktionsnetzwerk Deutschland, die Aktivisten hätten »überzogene, ­aggressive Vorstellungen von der Durchsetzung ihrer Ziele«. Er verglich die Straßenblockaden mit Weimarer Zuständen. »In den 1920er und 1930er Jahren gab es in Berlin straßenschlachtartige Zustände, weil sich Menschen am linken und rechten politischen Rand selbst ­ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen und die ­eigenen Vorstellungen mit der Faust durchzusetzen.«

Mit diesem abstrusen, dazu noch auf dem unwissenschaftlichen Ex­tremismustheorem beruhenden Vergleich rechtfertigt der Justizminister letztlich die Gewalt von Autofahrern, die ihre Vorstellungen tatsächlich mit der Faust durchsetzen. Er ist damit nicht allein. CDU-Generalsekretär Mario Czaja verlautbarte, die Aktivisten nähmen ganz Berlin in »Geiselhaft«. Der FDP-Vorsitzende, Bundesfinanzminister Christian Lindner, bezeichnete die Blockaden als »physische Gewalt«. In solch gewaltverharmlosende Rhetorik reihen sich die Clips der Dorfrocker ein. Ihren Fans auf Youtube reicht das noch nicht: Sie fordern eine Langversion des Gülle-Lieds.