Die Staatsmacht honoriert es nicht, wenn Proteste harmlos bleiben

Engere Grenzen

Lina E., CSD oder LG? Der Protest hat ein Problem, wenn sein vermeintlich radikalster Flügel in naiver Staatsgläubigkeit verharrt.
Was kümmert mich der Dax Von

Paraden zum Christopher Street Day finden mittlerweile auch in zahlreichen deutschen Kleinstädten statt, und nicht selten lassen sich Politiker:in­nen der etablierten Parteien, auch der CDU und CSU, dort blicken. Bei diesem Anlass scheint es sie nicht zu stören, dass schwerer Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Gefangenenbefreiung und zahlreiche weitere Straftaten gefeiert werden.

Die Besucher:innen des Stonewall Inn in New York City und jene, die sich mit ihnen am 28. Juni 1969 solidarisierten, lebten ja in einer Demokratie und hätten einen offenen Brief schreiben, den Rechtsweg beschreiten oder sich beim Bürgermeister beschweren können, doch sie wehrten sich gegen Polizeigewalt.

Ob Frauenwahlrecht, Gewerkschaftsfreiheit oder LGBT-Rechte – Fortschritte in der bürgerlichen Gesellschaft wurden in der Regel nicht gänzlich ohne Krawall erreicht. Dessen Bedeutung lässt sich schwer messen, doch selbst die gern als Musterbeispiel für den Erfolg friedlichen Protests angeführte US-Bürgerrechtsbewegung profitierte davon, dass Regierung und politisches Establishment um die Aufstandsbereitschaft in den Armenvierteln der Afroamerikaner:innen wussten.

»Die Guten« werben für Reformen, »die Bösen« machen klar, dass es wirklich ungemütlich wird, wenn nicht bald ­etwas passiert – so entsteht politischer Druck.

Dass in Deutschland kein Atomkraftwerk mehr in Betrieb ist, dürfte auch auf die militanten Proteste der siebziger und achtziger Jahre zurückgehen, die erheblich dazu beitrugen, die damaligen nuklearen Ausbaupläne zu bremsen.

Für den Erfolg einer Bewegung ist es nützlich, wenn es eine Konstellation gibt, die dem Modell good cop – bad cop in der Polizeiarbeit entspricht. »Die Guten« werben für Reformen, »die Bösen« machen klar, dass es wirklich ungemütlich wird, wenn nicht bald ­etwas passiert – so entsteht politischer Druck.

Die Ungemütlichkeit muss dabei nicht notwendigerweise durch Krawall hergestellt werden, ein besseres Mittel ist etwa der Streik. Der Protest hat jedoch ein Problem, wenn der vermeintlich radikalste Flügel der Klimabewegung, die Letzte Generation (LG), in naiver Staatsgläubigkeit verharrt und sich umgehend in die hierarchischen Strukturen professioneller NGO-Arbeit einfügt. Pflegeleichtere Protestierende kann man sich von staatlicher Seite kaum wünschen, doch ist man eifrig bemüht, die LG zu kriminalisieren.

Je harmloser der Protest ausfällt, desto enger werden die Grenzen gezogen – auch etwa in Großbritannien, das weit unruhigere Zeiten gesehen hat, wo nun aber die Absicht, ein T-Shirt mit einer politischen Parole zu enthüllen, für eine Festnahme genügen kann. Das ist umso beunruhigender, als ein paar Staus mehr oder eine Bekundung des Missmuts bei einer königlichen Parade schwerlich als Bedrohung der staatlichen Ordnung gelten können. Und man muss davon ausgehen, dass es weitere Einschränkungen geben wird, wenn die derzeitige Kriminalisierungspolitik zur Normalität geworden ist.