Biden ist nicht mehr frisch
»Freedom« – das ist das erste Wort, welches US-Präsident Joe Biden in dem Werbespot ausspricht, mit dem er offiziell seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2024 ankündigt. Er will damit der Republikanischen Partei ihren Markenkern streitig machen. »Die Frage, vor der wir stehen, ist, ob wir in den kommenden Jahren mehr Freiheit oder weniger Freiheit haben werden, mehr Rechte oder weniger«, so Biden in seinem Wahlkampfvideo vom 25. April. Unterlegt ist das mit Bildern des Sturms von durch Trump-Anhängern auf das Kapitol am 6. Januar 2021 und von Demonstranten, die das Recht auf Abtreibung fordern. Das bisherige Image der beiden Parteien soll auf den Kopf – oder, je nach Sichtweise, vom Kopf auf die Füße – gestellt werden: die Republikaner als Bedrohung für Bürgerrechte und Demokratie.
Es ist vielleicht die einzige Strategie, die Biden bleibt. Denn der Nachrichten-Website Fivethirtyeight zufolge, die auf Meinungsumfragen und Datenjournalismus spezialisiert ist, liegen Bidens Zustimmungswerte seit Monaten gerade mal um die 42 Prozent, etwa vergleichbar mit seinem Amtsvorgänger im entsprechenden Zeitrahmen seiner Präsidentschaft. 52 Prozent der Befragten lehnen Biden ab. Das ist in dieser hochpolarisierten Zeit vielleicht nicht überraschend. In den USA stimmt man womöglich nicht mehr für einen Kandidaten, sondern gegen den anderen.
Bidens bisherige Bilanz ist durchwachsen. In den frühen Monaten seiner Regierung konnte er mit seiner Covid-19-Politik punkten, die landesweite Impfkampagne war ein Erfolg. Nach Angaben des Weißen Hauses haben bislang über 81 Prozent die erste Dosis erhalten und 70 Prozent den vollen Impfschutz. Zudem verabschiedete der US-Kongress während seiner Amtszeit auch ohne republikanische Unterstützung umfassende Konjunkturprogramme, beispielsweise den American Rescue Plan Act 2021, der Ausgaben in Höhe von 1,9 Billionen US-Dollar vorsah, darunter direkte Einmalzahlungen von 1.400 US-Dollar an alle Bürger außer die wohlhabendsten sowie zusätzliches Kinder- und Arbeitslosengeld.
In einer Umfrage von Anfang Mai bewerteten 54 Prozent der Befragten die Wirtschaftspolitik Trumps positiver als die Bidens.
Das trug maßgeblich zur schnellen Überwindung des wirtschaftlichen Einbruchs 2020 bei. Die Washington Post bezeichnete im Oktober vergangenen Jahres das Konjunkturprogramm jedoch als ein »zweischneidiges Schwert«, weil es die Inflation gefördert habe: Einerseits hätten die USA die schnellste wirtschaftliche Erholung unter den G7-Staaten verzeichnen können, andererseits habe es den höchsten Anstieg der Verbraucherpreise in 40 Jahren gegeben. Obwohl die Arbeitslosenrate nach einem Anstieg während der Pandemie auf derzeit 3,5 Prozent gesunken ist, bewerteten in einer Umfrage von Anfang Mai 54 Prozent der Befragten die Wirtschaftspolitik Trumps positiver als die Bidens.
Bei dem Ende 2021 verabschiedeten Infrastructure Investment and Jobs Act (IIJA), einem Infrastrukturgesetzespaket, das Ausgaben in Höhe von 1,2 Billionen Dollar vorsieht, gelang es der damaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses, der Demokratin Nancy Pelosi, immerhin noch, 13 republikanische Stimmen im Kongress zu gewinnen. Doch angesichts der enormen Kosten entdeckten die Republikaner mittlerweile ein finanzpolitisches Verantwortungsbewusstsein wieder, das ihnen, wenn sie an der Regierung sind, regelmäßig verlorengeht. So auch während der Amtszeit Trumps, als sie dessen Steuersenkungen und große Konjunkturprogramme in der Pandemiezeit unterstützten.
Derzeit besteht die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus auf harten Sparmaßnahmen. Ohne entsprechende Zugeständnisse will sie die staatliche Schuldenobergrenze nicht anheben, wodurch die USA schon Anfang Juni zahlungsunfähig werden könnten. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, will, wie es die Republikaner bereits in den vergangenen Jahren mehrmals taten, die Verhandlungen mit den Demokraten nutzen, um sie zu harten Kürzungen zu zwingen, was wesentliche Teile der Gesetzgebung Bidens wieder rückgängig machen würde.
Vor allem haben die Republikanern es auf den sogenannten Inflation Reduction Act von 2022 (IRA) abgesehen, bei dem Investitionen in erneuerbare Energien im Zentrum stehen. Mit der Inflation hat der IRA trotz seines Namens nur wenig zu tun, eher geht es um Subventionen für die Industrie.
Dabei ist die Inflation für Biden ein politisches Problem. Zwar ist die jährliche Inflationsrate im April dem Arbeitsministerium zufolge auf 4,9 Prozent gesunken. Das ist allerdings noch kein Grund zum Jubeln – besonders, wenn man bedenkt, dass das günstige Gesamtbild zu einem Großteil auf einem Rückgang der Energiekosten beruht. Diese waren im März 6,4 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Die Investmentbank Goldman Sachs hatte im März das Risiko einer Rezession in den USA in den nächsten zwölf Monaten auf 35 Prozent geschätzt. Sollte es dazu kommen, wäre Bidens Wiederwahl stärker gefährdet.
Obwohl Demokraten und Republikaner bei der Finanzpolitik weit auseinanderliegen, gibt es bei anderen Themen durchaus Schnittmengen. Beispielsweise bei der Einwanderungspolitik. Hier fiel der Regierung Biden bislang nichts anderes ein, als die Grenze zwischen den USA und Mexiko weiter zu militarisieren – vermutlich auch, um bei gemäßigten Rechten zu punkten. Am 11. Mai, dem Donnerstag vergangener Woche, ist die Verordnung Title 42 ausgelaufen, die noch von der Regierung Trump stammte. Sie gestattete es während der der Covid-19-Pandemie, Asylsuchende an der Grenze einfach abzuweisen. Nun wird mit einem deutlichen Anstieg der Flüchtlingszahlen gerechnet.
Die Regierung Bidens entsendete 1.500 US-Soldaten an die Grenze zu Mexiko – ähnlich wie seinerzeit Trump, der 2018 bis zu 7.000 Soldaten an die Grenze schickte. Weil Trump sich damals mit diesen Maßnahmen vor den Zwischenwahlen profilieren wollte, warnte die damalige demokratische Senatorin Kamala Harris in einem offenen Brief vor einer »Politisierung des Militärs«. Jetzt trägt sie als Bidens Vizepräsidentin eine fast identische Politik widerspruchslos mit. Auch treibt die Regierung weitere Einschränkungen im bisherigen Asylrecht voran, und das, obwohl Biden in diesem Zusammenhang früher von einer »moralischen und nationalen Schande« gesprochen hat. Aber damals war er eben noch nicht im Amt. Trump behauptet unterdessen ohnehin ungerührt, die Demokraten hätten die Grenze für Migranten geöffnet.
Bidens wohl gravierendstes Versagen als Präsident war der unüberlegte Abzug aus Afghanistan.
Auch beim Umgang mit China herrscht unter Demokraten und Republikanern in vielen Punkten Einigkeit. Noch vor wenigen Jahren galt China in den USA vor allem als wichtiger Handelspartner, jetzt lädt der Kongress den CEO von Tiktok zu konfrontativen Anhörungen ein, weil die Social-Media-App aufgrund eines möglichen Einflusses der chinesischen Regierung eine Bedrohung darstelle. Die Demokraten haben entdeckt, was Trump schon lange wusste – dass es sich auch im Wahlkampf bezahlt macht, gegen China zu wettern.
Bidens wohl gravierendstes Versagen als Präsident war der unüberlegte Abzug aus Afghanistan. Nachdem George W. Bush 20 Jahre zuvor versprochen hatte, dem Land niemals den Rücken zu kehren, hat Biden 2021 genau das getan und 40 Millionen Menschen der Gewaltherrschaft der Taliban überlassen. Beschlossen hatte das zwar schon die Regierung Trump in einem Kapitulationsabkommen, das sie 2020 mit den Taliban vereinbart hatte. Biden hätte diese Entscheidung aber durchaus revidieren können, stattdessen er hat die Politik seines Vorgängers weitergeführt.
Obwohl die Außenpolitik Bidens in vielen Punkten der der Vorgängerregierung ähnelt, gibt es eine wesentliche Ausnahme: die Ukraine. Im Gegensatz zu Trump stellen sich Biden und sein Stab – Antony Blinken im Außenministerium und Lloyd Austin im Verteidigungsministerium – klar auf die Seite der ukrainischen Verteidiger. Die bisherigen milliardenteuren Waffenlieferungen der USA haben sich auf dem Schlachtfeld als wirksam erwiesen. Damit ist man wieder bei dem Begriff der Freiheit – Biden hat bei der Unterstützung des ukrainischen Freiheitskampfs eine Führungsrolle übernommen. Sollte er nicht wiedergewählt werden, könnte sich das ändern, denn die Republikaner im Kongress unterstützen zwar bisher mehrheitlich Bidens Ukraine-Politik, doch der rechte Parteiflügel um Donald Trump fordert immer lauter ein Ende der Unterstützung.
Und der Wahlkampf ist bereits in vollem Gange. Die Kritik der Republikaner an Bidens Person hat sich dabei in den vergangenen Jahren kaum verändert: Trump nannte ihn kürzlich erneut den »korruptesten Präsidenten in der amerikanischen Geschichte«. Auch auf sein Alter zielen die republikanischen Herausforderer ab. Einer Umfrage von ABC News zufolge sagten 68 Prozent der Befragten, Biden sei mit seinen 80 Jahren zu alt für eine weitere Amtszeit. Bereits 2020 hatte der (kaum mehr als dreieinhalb Jahre jüngere) damalige Präsident Trump Bidens Alter zum Wahlkampfthema gemacht, doch die US-amerikanische Öffentlichkeit sah in Biden nicht etwa einen tattrigen Greis, sondern einen rüstigen Opa, der nach den Chaos der Trump-Jahre eine Rückkehr zu Beständigkeit versprach. Ob dieses Image ihm zu einem zweiten Wahlsieg verhelfen kann, muss sich noch zeigen.