Wer subventioniert, gewinnt
Als Joe Biden vor zwei Jahren die US-Präsidentschaftswahl gegen den damaligen Amtsinhaber Donald Trump gewann, war in ganz Europa Erleichterung spürbar. Die meisten EU-Staaten erhofften sich eine Verbesserung der transatlantischen Beziehungen. Davon ist derzeit nicht mehr so viel zu spüren. Bei aller Abneigung zwischen Republikanern und Demokraten gibt es in den USA noch einige wenige parteiübergreifende Gemeinsamkeiten, vor allem wenn es um Wirtschaftsbeziehungen geht: US-Wirtschaftsinteressen haben bei beiden Vorrang. Rhetorisch gibt sich Biden zwar weniger konfrontativ als Trump, seine Politik jedoch nicht weniger entschieden. So führt er nicht nur den unter Donald Trump initiierten sogenannten Handelskrieg gegen China fort, auch mit den EU-Staaten ist der wirtschaftspolitische Konflikt wieder entbrannt.
Anlass ist ein neues Gesetz der US-Regierung, das den harmlosen Namen Inflation Reduction Act (IRA) trägt und zu einer klimafreundlichen und nachhaltigen Wirtschaftsweise führen soll. Der IRA wurde im August 2022 mit den Stimmen der Demokraten im US-Senat und im Repräsentantenhaus verabschiedet. Damals lobten viele EU-Politiker das Paket als wichtigen Beitrag, um die Klimakrise zu bekämpfen.
»Wer glaubt, dass wir den Industriestandort Deutschland kaputtgehen lassen, der hat die Rechnung ohne die deutsche Industrie gemacht.« Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
Vor allem Unternehmen aus der Energie-, Verkehrs- und Wasserstoffbranche dürften von den angekündigten Hilfen in Höhe von 370 Milliarden US-Dollar profitieren, wenn sie ihre Produktion entsprechend umstellen. Subventioniert werden sollen unter anderem Elektroautos, Batterien und Projekte zu erneuerbaren Energien. Ein Sozialpaket in Höhe von 64 Milliarden US-Dollar soll unter anderem günstigere Medikamente für Senioren und Zuschüsse zur Krankenversicherung finanzieren.
Der Haken aus EU-Sicht ist dabei, dass viele der subventionierten Produkte und die zu ihrer Herstellung benötigten Güter in den USA hergestellt werden müssen. Die protektionistischen Bedingungen zielen zwar vornehmlich darauf, chinesische Importe auszuschließen, sie treffen aber auch Europa. So sind beispielsweise allein 207 Milliarden US-Dollar des Gesamtpakets an die Bedingung geknüpft, dass der Kauf von Elektroautos nur subventioniert wird, wenn ihre Batterien in den USA produziert werden. Wurden die Batterien in Asien hergestellt, was bei vielen europäischen Elektroautos der Fall ist, kann der Kauf in den USA nicht gefördert werden. Auch deshalb investieren deutsche Konzerne nun vermehrt in Kanada; zwischen den USA und Kanada besteht ein Freihandelsabkommen (USMCA), zwischen der EU und Kanda gibt es ebenfalls ein Abkommen zum Abbau von Handelshemmnissen (Ceta).
Doch diese Entwicklung steht erst am Anfang. In der Gegenwart ist die Empörung in der EU groß. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) forderte eine »robuste Antwort« und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire verlangte im Handelsblatt »eine koordinierte, vereinte und starke Antwort gegenüber den USA«. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton drohte sogar mit einer Klage bei der Welthandelsorganisation WTO. »Der IRA kann den Wettbewerb verzerren, er kann Lieferketten gefährden und zu einer Abschottung der Märkte führen«, warnte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Für Deutschland steht bei dem Konflikt viel auf dem Spiel. Die USA sind das wichtigste Exportland, allein im vergangenen Jahr lieferten deutsche Unternehmen Waren im Wert von rund 121 Milliarden Euro dorthin. Erst mit größerem Abstand folgen China und europäische Staaten. Umgekehrt führte Deutschland im gleichen Zeitraum US-Waren in Höhe von 71 Milliarden US-Dollar ein. Der eklatante deutsche Handelsüberschuss sorgt bereits seit geraumer Zeit für Unmut in Washington. Vor vier Jahren wetterte Präsident Trump gegen die umfangreichen deutschen Exporte und drohte mit hohen Importzöllen für Autos.
Die deutsche Wirtschaft ist seit Jahrzehnten auf den Export ausgerichtet und erreichte immer wieder Rekordergebnisse, oft auf Kosten anderer Länder. Dort steigt das Handelsdefizit, die Verschuldung nimmt zu und ganze Industriebranchen gehen zugrunde, weil sie niederkonkurriert werden.
In einer gemeinsamen »Task Force« wollen Vertreter von EU und den USA zwar nach einer Konfliktlösung suchen, doch bislang sieht es nicht danach aus, als würde die US-Regierung den Wünschen der Industrie der EU und damit insbesondere Deutschlands entgegenkommen.
Erst vergangene Woche endete ein Treffen des transatlantischen Handels- und Technologierats auf dem Campus der Universität Maryland in der Nähe von Washington, D.C., nahezu ergebnislos. »Die Gespräche zum Inflation Reduction Act verliefen aus Sicht der deutschen Industrie enttäuschend«, äußerte Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), in einer Presseerklärung des Verbands. Der BDI wünscht sich US-Richtlinien, die europäische Unternehmen nicht benachteiligen. Die EU-Vertreter möchten eine für Kanada und Mexiko bestehende Ausnahmeregelung auf europäische Elektroautos ausgeweitet sehen.
Die EU-Kommission und die Regierungen der EU-Staaten überlegen derweil angestrengt, wie sie reagieren könnten, falls es zu keiner Einigung kommt. Frankreich will im Gegenzug EU-Unternehmen stärker unterstützen und einen »Buy European Act« mit umfassenden Subventionen im EU-Raum einführen lassen. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vergangene Woche einen »Europäischen Souveränitätsfonds« in Spiel gebracht, der über von der EU aufgenommene Kredite, also mit gemeinschaftlichen Schulden, finanziert werden könnte. Ein Vorschlag, den der deutsche Finanzminister Christian Linder umgehend zurückwies. Auch die EU-Regeln, die staatliche Industriesubventionen einzelner Länder einschränken, sollen weiter gelockert werden – was allerdings, wenn es keinen Gemeinschaftsfonds gibt, reichere EU-Staaten in die Lage versetzen würde, ihren eigenen Standorten durch höhere Subventionen Vorteile gegenüber anderen EU-Staaten zu verschaffen.
Auch der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigte entschiedene Maßnahmen an. »Wer glaubt, dass wir den Industriestandort Deutschland kaputtgehen lassen, der hat die Rechnung ohne die deutsche Industrie gemacht«, sagte er bei der von seinem Ministerium ausgerichteten »Industriekonferenz 2022« in Berlin Ende November. Habeck erwägt, deutsche und europäische Unternehmen stärker zu subventionieren. Konkret schlägt er ein »europäisches Programm für die Förderung von Transformationstechnologien« vor, wie aus einem internen Papier des Wirtschaftsministeriums hervorgeht, aus dem das Handelsblatt Ende vergangener Woche zitierte. Aber Habeck schwant, dass Deutschland einen Subventionswettstreit derzeit kaum gewinnen kann, zumal die sogenannte Schuldenbremse eingehalten werden muss. Er möchte nun das strenge EU-Beihilferecht lockern, das wettbewerbsverzerrende Subventionen verhindern soll. So könnten bereits vorhandene Mittel aus unterschiedlichen Fördertöpfen gezielter umgewidmet werden.
»Ein Handelskrieg wäre nicht im Interesse Europas«, warnte der vormalige Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, im Deutschlandfunk. Finanzminister Lindner verwies darauf, dass die deutsche Wirtschaft mit dem US-amerikanischen Markt eng verbunden sei. Deutschland könne daher kein Interesse an einem Handelskrieg haben, sondern müsse Wirtschaftsdiplomatie einsetzen.
Die Zurückhaltung ist vermutlich vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich die EU derzeit in einer schwachen Position befindet. Vor allem die osteuropäischen EU-Staaten wollen sich nicht auf einen langfristigen Handelskonflikt einlassen. So warnte der lettische EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis kürzlich mit Verweis auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, bei dem die Unterstützung der USA entscheidend sei, »vor der Gefahr, den Inflation Reduction Act mit unserer umfassenderen Beziehung zu den Vereinigten Staaten zu vermengen«.
Die EU verfügt zudem nicht über die Ressourcen, um einen langwierigen Handelsstreit mit den USA durchzuhalten. Viele EU-Staaten müssen mit enormen Summen auf die anhaltende Energieknappheit reagieren, ein Ende der hohen Preise ist noch nicht in Sicht. In den USA profitieren Unternehmen hingegen von deutlich niedrigeren Energiekosten. Wie es aussieht, sitzt die US-Regierung in dem Handelskonflikt derzeit am längeren Hebel.