Bettelverbotszonen in Hamburg

Still und demütig ist erlaubt

Dem Hamburger Stadtmagazin »Hinz & Kunzt« zufolge vertreibt die Polizei seit einiger Zeit bettelnde Menschen aus der Innenstadt. In vielen deutschen Städten ist Betteln nur eingeschränkt erlaubt.

In Hamburg geht die Polizei gegen Menschen vor, die in der Innenstadt rund um die Mönckebergstraße betteln. Davon hatte Anfang März das Hamburger Stadtmagazin Hinz & Kunzt berichtet. Polizeibeamtinnen hätten bettelnde Menschen weggeschickt und dabei auf ein neues Gesetz verwiesen, dass diese Form des Gelderwerbs in der Innenstadt verbiete.

Auf Nachfrage des Magazins habe die Polizei mitgeteilt, dass es ein solches Gesetz nicht gebe. Allerdings wären die Beamten »im Innenstadtbereich im Hinblick auf Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuletzt noch einmal sensibilisiert« worden.

Zwei Linkspartei-Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft, Deniz Çelik und Stephanie Rose, waren dem mit einer Kleinen Anfrage nachgegangen. Der rot-grüne Hamburger Senat ließ in seiner Antwort wissen, dass zwar keine neue gesetzliche Regelung vorliege, es aber zu den Aufgaben der Polizei gehöre, die »öffentliche Sicherheit und Ordnung durchzusetzen«. Dazu gehöre es, »die negativen Auswirkungen der Obdachlosigkeit« so »gering wie möglich zu halten«.

Zuletzt habe es ein erhöhtes »Hinweis- und Beschwerdeaufkommen« durch Bürgerinnen und Bürger, Handeltreibende und Wirtschaftsverbände gegeben. Betteln an sich sei nicht verboten, das Einrichten eines »festen Bettelplatzes« hingegen schon. Die rechtliche Handhabe der Polizei sei dabei das Hamburgische Wegegesetz, das es untersagt, öffentliche Wegeflächen ohne Sondergeneh­migung zu verstellen.

Umfassende Bettelverbote werden vielerorts in regelmäßigen Abständen diskutiert, sie verstoßen aber gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Hinz & Kunzt zitierte einen Straßensozialarbeiter der Caritas, der berichtet, das Vorgehen der Polizei habe auch seine eigene Arbeit behindert, weil er »zuletzt kaum noch Menschen an ihren gewohnten Plätzen« aufgefunden habe. Eine solche Verdrängung kann Obdachlosen kontinuierliche Hilfsstrukturen entziehen und sie gerade von jenen Orten vertreiben, an denen ein hohes Spendenaufkommen zu erwarten ist.

Umfassende Bettelverbote werden vielerorts in regelmäßigen Abständen diskutiert, sie verstoßen aber gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Zu diesem Schluss war der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gekommen. 2014 war eine 28jährige Frau in Genf zu einer Geldstrafe von 500 Franken verurteilt worden, weil sie wiederholt trotz eines Bettelverbots Passantinnen und Passanten um Geld gebeten hatte. Weil sie die Strafe nicht zahlen konnte, wurde sie in Ersatzhaft genommen.

Nachdem ihre Klage in der Schweiz gescheitert war, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2021 in ihrem Sinne: Die Schweiz habe mit dem Bettelverbot gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Dem Gericht zufolge muss es Menschen in finanziellen Notlagen erlaubt sein, öffentlich auf ihre Lage aufmerksam zu machen.

Eingeschränkte Bettelverbote hingegen sind in Deutschland weitverbreitet. So informiert die Stadt München zwar darüber, dass Betteln – außerhalb der Fußgängerzone – grundsätzlich erlaubt sei, führt jedoch verschiedene Verbote auf, die in einem großen Bereich in der Innenstadt gelten. »Normales, sogenanntes stilles Betteln – auch ›Demutsbettelei‹ genannt –« sei dort erlaubt, heißt es auf der Website der Stadt.

Verboten sei allerdings »das aggressive« oder »bandenmäßige« Betteln. Auch dürften keine körperlichen Behinderungen oder sozialen Notlagen vorgetäuscht, keine nicht gebrauchsfähigen Musikinstrumente verwendet und keine Tiere mitgeführt werden, denen »bestimmte tierschutzrechtliche Nachweise fehlen«. Bei Verstößen drohen Bußgelder.

Bezeichnend ist, dass die bayerische Landeshauptstadt diesem Katalog anfügt, dass für »wirklich Bedürftige« städtische und staatliche Hilfen zur Verfügung stünden und niemand auf das Betteln angewiesen sei. »Ob daher jemand auf Ihre Unterstützung angewiesen ist, müssen Sie für sich entscheiden«, heißt es weiter. »Anstelle von Geldspenden, deren Verwendung Sie nicht beeinflussen können«, empfehle sich eine Spende an eine gemeinnützige Organisation.

Im Berliner Stadtteil Neukölln hat der Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) kürzlich einen »Leitfaden Obdachlosigkeit« veröffentlicht. Das Papier definiert Orte, an denen wohnungslose Menschen fortan nicht mehr übernachten dürfen, darunter Friedhöfe und Spielplätze. Auch in unmittelbarer Nähe zu Kitas und Schulen kann ihnen der Aufenthalt besonders leicht verwehrt werden. Obdachlosigkeit sei »eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung«, kommentierte Liecke das Papier.

Bettelverbote wie in Hamburg oder München sind nur eine der Maßnahmen, die Politik und Verwaltung ergreifen, um Menschen zu verdrängen, die auf der Straße leben oder dort ihren Lebensunterhalt bestreiten. Maßnahmen der »defensiven Architektur« gehören in ganz Deutschland schon lange zum Stadtbild. Das beinhaltet etwa das Anbringen von Armlehnen auf Bänken, von spitzen Metallstreben auf Lüftungsschächten oder von Betonpollern an Orten, an denen Menschen sich ansonsten zum Schlafen hinlegen könnten.

Sowohl Bettelverbote als auch architektonische Veränderungen helfen lediglich denjenigen, die sich durch die Anwesenheit von armen, wohnungs- oder obdachlosen Menschen gestört fühlen. Armut, Wohnungs- und Obdachlosigkeit werden so nicht bekämpft. Für diejenigen, die auf der Straße schlafen, beginnt schlichtweg ein weiterer Spießrutenlauf auf der Suche nach einem neuen sicheren Ort.