Die italienische Ministerpräsidentin versucht, die Pressefreiheit einzuschränken

Meloni geht auf Sendung

Die autoritäre Politik der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni haben die Konservativen in der EU weitgehend toleriert, weil sie als potentielle Bündnispartnerin galt. Angriffe auf die Pressefreiheit geben allerdings immer mehr Grund zur Besorgnis.

»Wir würden es uns nie verzeihen, dass wir nicht den Mut hatten, das Richtige zu tun, vielleicht aus opportunistischem Kalkül oder aus Angst, den Konsens zu verlieren«, sagte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni der Zeitung Il Foglio: »Wir sind entschlossen, voranzuschreiten und alle Reformen und Maßnahmen abzuschließen, die wir für unser Land als nützlich erachten.« Das kann man auch als Drohung verstehen. Melonis Partei Brüder Italiens (Fratelli d’Italia, FdI) gilt vielen Medien und vor allem konservativen europäischen Politiker:innen als bürgerlich und ungefährlich für die Demokratie, sie treibt jedoch den autoritären Umbau voran – toleriert von den EU-Institutionen.

Die Europäische Volkspartei (EVP), der Zusammenschluss der konservativen Parteien in der EU, hatte sich lange um gute Beziehungen zu Meloni und ihrer (post)faschistischen Partei bemüht, nicht zuletzt um die Wiederwahl Ursula von der Leyens zur Kommissionspräsidentin zu sichern. Man war besorgt, dass die rechtsextreme Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), in der ­Melonis Partei die stärkste Kraft ist, bei den Europawahlen deutlich hätte zulegen und unverzichtbar für eine zweite Amtszeit von der Leyens werden können.

Opposition, Journalist:innen, Me­­­dien­freiheitsorganisationen und die italienische Journalisten­gewerk­schaft FNSI weisen auf eine Viel­zahl von Verletzungen der Presse­­­freiheit hin und sprechen von staatlicher Zensur.

Am Ende triumphierte Ursula von der Leyen ohne die Stimmen der FdI. Für sie und die EVP war dies das bestmögliche Szenario. Obwohl die EKR bei den Europawahlen die Fraktion der Liberalen (Renew Europe) überholt hatte, wurden die Spitzenposten der EU von den Staats- und Regierungschefs Polens und Griechenlands für die Christdemokraten, Deutschlands und Spaniens für die Sozialdemokraten sowie Frankreichs und der Niederlande für die Liberalen ausgehandelt. Wütend erklärte Meloni, die Einigung ignoriere den Wahlerfolg der rechten Parteien. Sie forderte die Europaabgeordneten ihrer Partei auf, gegen von der Leyen zu stimmen. Obwohl die FDP abweichend von ihrer Fraktion in der geheimen Abstimmung gegen von der Leyen stimmte, wie kurz vorher bekannt gegeben worden war, erreichten von der Leyen und ihre Un­ter­stützer:innen dennoch ihr Ziel – dank Stimmen der Grünen.

Dieser Vorgang markiert das vorläufige Ende der jahrzehntelangen engen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den italienischen Regierungen. Noch nie in der Geschichte des Staatenbunds hatte sich die Regierung eines Gründungsmitglieds bei der Wahl zur Kommissionspräsidentschaft gegen die europäische Exekutive gestellt. Nach Melonis Amtsantritt im Oktober 2022 hatten viele Medien und Politiker:innen Meloni zu einer verlässlichen proeuropäischen Konservativen stilisiert.

Distanz zum russischen Regime

Gegen den Trend in der extremen Rechten hält Meloni Distanz zum russischen Regime und befürwortet die Unterstützung der Ukraine, überdies verzichtet sie auf Obstruktionspolitik in der EU, wie sie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán betreibt. Auf Fragen von Jour­na­lis­t:in­nen, ob man mit den FdI zusammenarbeiten werde, erklärte beispielsweise der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), Meloni führe »eine bürgerliche Regierung«, die europäische Politik gestalte. So hätten Meloni und ihre Partei mit ihrer Zustimmung den ­Mi­grationspakt »im Parlament ge­rettet«.

Führende EVP-Politiker:innen erklärten auch Melonis Innenpolitik für unbedenklich. Immer wieder reiste von der Leyen nach Italien, lobte die Ministerpräsidentin als »proeuropäisch« und »prorechtsstaatlich«. Umgekehrt war Meloni häufig in Brüssel. Obwohl Italien eine Reihe von Anforderungen des Corona-Wiederaufbaufonds (der insgesamt rund 200 Milliarden Euro umfasst) nicht erfüllt hatte, drängte von der Leyen aus politischem Kalkül auf eine schnelle Auszahlung. Die Befürchtung, auf die Stimmen der EKR angewiesen zu sein, war zu groß.

Kritik aus der italienischen Opposition und der Zivilgesellschaft, dass Meloni zu Hause einen autoritären Kurs verfolge, wurde ignoriert. Auf grobe autoritäre Maßnahmen im Stil Orbáns verzichtete Meloni bisher. Das Ergebnis: Die auf nationaler und internationaler Ebene in Europa vielbeschworene »Brandmauer«, als das Prinzip, nicht mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten, wurde vor der Europawahl rhetorisch hinter und nicht vor Meloni und ihrer Partei gezogen.

Eingriffe in die journalistische Unabhängigkeit

Unterdessen geht die italienische Regierung im eigenen Land schärfer gegen unliebsame Stimmen vor. Bereits seit ihrem Amtsantritt greift die Regierung die Presse- und Medienfreiheit an, doch kurz vor den Europawahlen hat die Intensität stark zugenommen. Opposition, Journalist:innen, Medienfreiheitsorganisationen und die italienische Journalistengewerkschaft FNSI weisen auf eine Vielzahl von Verletzungen der Pressefreiheit hin und sprechen von staatlicher Zensur. Insbesondere durch stetig zunehmende Eingriffe in die journalistische Unabhängigkeit und die Umverteilung von Posten bei der staatlichen Rundfunkanstalt Radiotelevisione Italiana (Rai) nimmt die Regierung erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung.

Rai ist die größte Kulturinstitution des Landes. Wer Rai kontrolliert, verfügt über das wichtigste RundfunkPropagandaorgan Italiens. Die Direktion und der Verwaltungsrat werden von der parlamentarischen Kommission für die allgemeine Leitung und Beaufsichtigung der Rundfunkdienste gewählt. Damit ist Rai seit jeher politischer Einflussnahme ausgesetzt. Wechselt die Regierung, wechselt auch die Führung von Rai. Unter dem Vorwand der »Wiederherstellung des Gleichgewichts« im Sinne eines »größeren Pluralismus« greift die Regierung Meloni jedoch so stark wie bisher keine zuvor in die Prozesse von Rai ein. Jahrelang galt es als ungeschriebenes Gesetz, dass auf allen Kanälen von Rai verschiedene politische Ansichten vertreten sind, wobei Rai 1 immer die regierungstreuste Berichterstattung aufwies. Meloni strebt dies für alle Sender an.

Die sozialdemokratische Oppositionsführerin Elly Schlein bezeichnet Rai inzwischen als »Telemeloni«. So setzte die Regierung Meloni den Vorsitzenden von Rai, Carlos Fuortes, unter Druck und erzwang seinen vorzeitigen Rücktritt. Mit Roberto Sergio wurde ein als kontrollierbar geltender Manager eingesetzt. Dieser installierte sogleich Giampaolo Rossi als neuen Generaldirektor. Er und Meloni kennen sich aus gemeinsamen Zeiten in der Alleanza Nazionale (AN), die aus dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) entstanden war und in Me­lonis heutiger Partei aufgegangen ist.

Strategische Klagen gegen kritische Journalist:innen

Journalist:innen von Rai werden unter Druck gesetzt und Programme abgesetzt, mit dem Ziel, andere Jour­nalist:innen zur Konformität zu zwingen. Viele regierungskritische Jour­nalist:innen haben die Anstalt bereits verlassen. Nur ein Beispiel von vielen ist die jüngste Entscheidung, die Sendung »Chesarà … « abzusetzen, die Serena Bortone moderierte. Sie hatte sich der Intervention der Direktion widersetzt und die antifaschistische Rede von Antonio Scurati am Tag der Befreiung Italiens verlesen, nachdem dieser auf Anweisung von oben kurzfristig aus­geladen worden war.

Hinzu kommt eine starke Zunahme strategischer Klagen gegen kritische Journalist:innen anderer Medien, die zwar meist keinen Erfolg haben, aber erhebliche finanzielle und psychologische Kapazitäten binden. Durch Existenzbedrohung wird versucht, Kri­ti­ke­r:in­nen mundtot zu machen und abzuschrecken. In diesem Sinne plant die Regierung Meloni ein Gesetz, das »Verleumdung« mit einer Geldstrafe bis zu 50.000 Euro und einem sechsmonatigen Berufsverbot belegt.

Bei der von Meloni angestoßenen Reform ist mit einem Referendum zu rechnen, da für eine direkte Verabschiedung durch das Parlament in beiden Kammern eine Zweidrittelmehrheit erforderlich wäre, über die Meloni nicht verfügt.

Neben weiteren – bislang kleineren – Gesetzesänderungen, die die Justiz, vor allem das Strafjustizsystem, betreffen, und sozialchauvinistischen Reformen wie der Abschaffung des Bürgergelds gibt vor allem die angestrebte Reform des politischen Systems Anlass zur Sorge. Die Reform fand kürzlich eine Mehrheit im Senat, dem Oberhaus des italienischen Parlaments. Sie würde zu einer stärkeren Machtkonzentration in der Exekutive führen und das System anfälliger für Machtmissbrauch machen.

In der Vergangenheit waren Reformen des politischen Systems, die zumindest vordergründig für stabilere politische Verhältnisse in Italien sorgen sollten, an Referenden gescheitert. Auch bei der von Meloni angestoßenen Reform ist mit einem Referendum zu rechnen, da für eine direkte Verabschiedung durch das Parlament in beiden Kammern eine Zweidrittelmehrheit erforderlich wäre, über die Meloni nicht verfügt. Ob Meloni und ihre Regierung im Falle eines Referendums genügend Unterstützung mobilisieren könnten, ist offen. Zweifellos würde ihr dabei ein von ihr dominierter Mediensektor helfen.