»Täglich nur zwei Stunden Strom«
Wie kam es zur Gründung Ihres Netzwerks?
Wir setzen uns aus Gedenkstätten, Museen und Dokumentationszentren zusammen, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigen. Gedenkstätten beschäftigen sich ja vor allem mit den Umgekommenen, unser Verein Kontakte kümmert sich aber schon seit vielen Jahren um die Überlebenden. Den Kriegsausbruch nahmen wir zum Anlass, NS-Gedenkstätten anzusprechen, ob sie dabei nicht helfen wollen. Zu Beginn hatten wir 30 Mitglieder, mittlerweile sind es 47. Unsere Arbeit sieht vor allem so aus, dass die Gedenkstätten Spenden sammeln, mit denen wir seit mehr als zwei Jahren NS-Überlebende in der Ukraine zusätzlich unterstützen. Neu ist vor allem, dass wir spontan und außerhalb von Förderprogrammen arbeiten.
Und wie sieht die Unterstützung konkret aus?
Vor Ort haben wir Partner, zum Beispiel Veteranen- und Opferverbände, aber auch Einzelpersonen und NGOs. In Krywyj Rih gibt es beispielsweise ein Museum, das sich mit der jüdischen Geschichte dort befasst. Die ehrenamtliche Direktorin dieses Museums kauft von dem Geld, das wir ihr überweisen, Medikamente und Lebensmittel für Überlebende, zu denen sie Kontakt hat. Das läuft also alles auf recht unterschiedlichen Ebenen ab, aber immer sehr unbürokratisch.
»Wegen der niedrigen Renten ist das eigene Haus essentiell für die Existenzsicherung, weil hier ein großer Teil auf Selbstversorgung beruht. Dies ist einer der Gründe, warum die Bevölkerung im Rentenalter nicht gerne ihr Zuhause verlässt, ungeachtet der unsicheren Lage um sie herum.«
Haben sich die Schwerpunkte Ihrer Arbeit im Verlauf des Kriegs verändert?
Am Anfang ging es erst mal darum, jede Anfrage, die kam, zu bearbeiten. Das lief viel über die Kontakte der Gedenkstätten, dort meldeten sich dann die Angehörigen von Personen, die an diesen Orten inhaftiert waren. Im Laufe der Zeit wurden es weniger einzelne Fälle. Wir arbeiten jetzt mehr mit Partnerorganisationen zusammen, die die Spenden in ihren Regionen verteilen, vor allem in Form von Medikamenten, Lebensmitteln und Hygieneartikeln. Im vergangenen Jahr haben wir wegen der unsicheren Energieversorgung auch Batterielampen, Brennholz, Kohle und Elektroheizungen besorgt.
Mit dem antisemitischen Massaker am 7. Oktober verschob sich der Fokus der Weltöffentlichkeit weg vom Krieg in der Ukraine. Hat sich das auch auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Das haben wir befürchtet, weil viele der Gedenkstätten ja auch mindestens genauso viel mit Israel zu tun haben wie mit der Ukraine, bisher ist es so allerdings nicht eingetreten. Das Thema Ukraine hat eher insgesamt an Dringlichkeit verloren. Wir haben aber auch gemerkt, dass viele der Spender unsere Arbeit kontinuierlich unterstützen, wofür wir sehr dankbar sind.
Wie ist die derzeitige Lebenssituation NS-Verfolgter in der Ukraine?
Ein Hauptthema ist, dass die Älteren gerade in den frontnahen Gebieten immer häufiger allein sind, weil die Jüngeren mit Kindern weggehen. Das betrifft neben den Familienangehörigen auch die Angestellten im Sozial- und Gesundheitssektor, also auch Sozialarbeiter, die die Älteren im Alltag unterstützen. Wegen der niedrigen Renten ist das eigene Haus essentiell für die Existenzsicherung, weil hier ein großer Teil auf Selbstversorgung beruht. Dies ist einer der Gründe, warum die Bevölkerung im Rentenalter nicht gerne ihr Zuhause verlässt, ungeachtet der unsicheren Lage um sie herum. Was die direkten Kriegsauswirkungen betrifft, sind derzeit wieder vor allem Stromausfälle eine große Belastung. Wir kriegen beispielsweise häufig nur nachts E-Mails von unseren Partnern, weil diese täglich nur zwei Stunden Strom haben. Wir haben deswegen gerade eine Spendenaktion gestartet, um 400 Notlampen für NS-Überlebende zu organisieren.