Im Kampf gegen Hamas und Hizbollah lässt die »internationale Gemeinschaft« Israel allein

Ignoranz und Untätigkeit

Die »internationale Gemeinschaft« kritisiert die israelische Kriegführung, scheut sich aber, zur Konfliktlösung beizutragen.

Die Warnung war explizit an die »internationale Gemeinschaft« gerichtet. »Die wachsende Aggression der Hizbollah bringt uns an den Rand dessen, was eine großflächige Eskalation sein könnte«, sagte Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee (IDF), am Sonntag. Dass Israel sich gezwungen sehen könnte, auf den intensivierten Raketenterror mit weitaus härteren Gegenschlägen zu reagieren als bisher, kann eigentlich nicht überraschen. Eine Überraschung wäre es, wenn die »internationale Gemeinschaft« darauf dann nicht nach dem gängigen Muster reagieren würde: Auf Ignoranz – die UN Interim Force in Lebanon (Unifil) wäre eigentlich gemeinsam mit der libanesischen Armee für die Entwaffnung der Hizbollah zuständig gewesen – folgt Kritik an der israelischen Kriegführung und die Forderung nach einem Rückzug.

So unermüdlich nicht nur von den Feinden Israels in der »internationalen Gemeinschaft« betont wird, dass die IDF sich schnellstmöglich aus dem Gaza-Streifen zurückziehen soll – wenn es darum geht, dort selbst Verantwortung zu übernehmen, herrscht Funkstille. Das ist verständlich, denn keine Regierung möchte sich gern mit Hamas und Islamischem Jihad herumschlagen, schon gar nicht, wenn, wie für US-Präsident Joe Biden, Wahlen anstehen und ein solcher Einsatz erhebliche Stimmenverluste mit sich bringen könnte. Doch dürfte damit eine der wenigen Möglichkeiten für eine Nachkriegslösung entfallen: eine im Einverständnis mit Israel im Gaza-Streifen stationierte internationale Truppe mit Beteiligung der USA als Garantiemacht nach dem Muster der Multinational Force and Observers, die seit 1981 die Einhaltung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrags überwacht.

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu weigerte sich bislang, ein politisches Ziel für die Nachkriegsordnung im Gaza-Streifen überhaupt zu benennen, auch nachdem der Oppositionspolitiker Benny Gantz ihm diesbezüglich eine Frist gesetzt hatte.

Recht zurückhaltend ist auch die von der Fatah geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die im Gaza-Streifen 2007 durch einen Putsch der Hamas entmachtet wurde, sich seitdem als unfähig erwiesen hat, etwas dagegen zu unternehmen, aber das Gebiet nicht von Israel übernehmen will. Die Fatah-Führung hat es sich nicht zuletzt dank internationaler Finanzhilfe in der Westbank bequem gemacht und scheut Risiken. Die beste Wahl wäre die PA unter ihrem antisemitischen Präsidenten Mahmoud Abbas ohnehin nicht, immerhin aber gibt es eine insgesamt funktionierende Sicherheitskooperation mit Israel – und die dritte Option wäre eine direkte israelische Besatzungsherrschaft auf unabsehbare Zeit, die wohl auch in Zukunft fast täglich israelische Soldat:innen das Leben kosten würde.

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu weigerte sich bislang, ein politisches Ziel für die Nachkriegsordnung im Gaza-Streifen überhaupt zu benennen, auch nachdem der Oppositionspolitiker Benny Gantz ihm diesbezüglich eine Frist gesetzt hatte. Nach deren Ablauf am 8. Juni trat Gantz aus dem Kriegskabinett aus, das Netan­yahu daraufhin auflöste. Seine Regierung ist nun allein für die Kriegführung verantwortlich. Sie kann die von Gantz und zahlreichen anderen Oppositionspolitiker:innen geforderten Neuwahlen verweigern, solange die Koalition und damit die Mehrheit in der Knesset Bestand hat. Einer Anfang Juni von der israelischen Zeitung Maariv veröffentlichten Umfrage zufolge liegt Gantz mit 42 Prozent Zustimmung acht Prozentpunkte vor Netanyahu. Zu Neuwahlen würde sich dessen Regierung wohl nur durchringen, wenn ihr klar wird, dass ihre Position unhaltbar geworden ist.

Kritik aus der »internationalen Gemeinschaft« bleibt wohlfeil

In Israel mehren sich die Proteste und auch die Anzeichen für Spannungen zwischen Regierung und IDF-Führung. Als etwa die IDF am Sonntag eine »lokale taktische Pause« militärischer Aktivitäten in einigen Gebieten des Gaza-Streifens ankündigte, um Hilfslieferungen zu erleichtern, sagte Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, wer dies entschieden habe, sei »böse und ein Narr« und solle entlassen werden. Netanyahu Büro ließ verlauten, der Ministerpräsident habe die Feuerpause zunächst für »inakzeptabel« befunden, bis die »Klarstellung« erfolgt sei, dass die Operationen in Rafah weitergeführt würden.

Das Fehlen klarer Kriegsziele, Unklarheit bei den Plänen zur Befreiung der Geiseln, die wegen des Kriegs unterbrochenen, aber mutmaßlich nicht aufgegebenen Bemühungen zum autoritären Umbau der Institutionen – es gibt zahlreiche gute Gründe, einen Regierungswechsel in Israel zu befürworten. Eine von Gantz oder einem anderen Oppositionspolitiker geführte Regierung wäre gegenüber Lösungsvorschlägen, die etwa der PA eine wichtige Rolle zusprächen, wohl offener. Solche Vorschläge muss es aber erst einmal geben.

Die Kritik aus der »internationalen Gemeinschaft« an Netanyahus Politik bleibt wohlfeil, solange man sich darauf beschränkt, über die israelische Kriegführung zu klagen. Den Zweifrontenkrieg, in dem Israel sich befindet, hat der Iran initiiert. Spätestens mit dessen direkten Angriffen und dem Beschuss aus dem Jemen ist unübersehbar geworden, dass es sich um einen internationalen Konflikt handelt. Dennoch bleibt der jüdische Staat bei seiner Verteidigung allein.