Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bekämpft seinen Verteidigungsminister

Netanyahus Angst um sein Amt

In Israel verstärken sich die Spannungen innerhalb der Regierung. Die hat keinen gemeinsamen Plan für die Zukunft des Gaza-Streifens. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu scheint in erster Linie daran interessiert zu sein, im Amt zu bleiben.

Jerusalem. Israelische Medien berichteten in den vergangenen Wochen vermehrt über Streitigkeiten zwischen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant (beide Likud). »Während in Gaza und im Norden Israels Krieg geführt wird, reden die beiden wichtigsten Entscheidungsträger des Landes nicht miteinander«, schrieb die Journalistin Daphna Liel vergangenen Freitag in einem Kommentar für die israelische Nachrichten-Website N12.

So soll Gallant vor zwei Wochen ein Treffen des Kriegskabinetts wutentbrannt verlassen haben, nachdem, wie es heißt, der Netanyahu unterstehende Nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi Gallants Büroleiter Shahar Katz die Teilnahme an der Sitzung verwehrt hatte. Im Dezember soll Netanyahu es den Leitern der israelischen Geheimdienste mehrfach untersagt haben, sich mit Gallant zu Arbeitsbesprechungen zu treffen.

Erklärungen zur Regierungspolitik geben beide in letzter Zeit bevorzugt bei separaten Pressekonferenzen ab, anstatt gemeinsam vor die Öffentlichkeit zu treten. Bei einem solchen Alleinauftritt vor Journalisten vergangene Woche Montag kritisierte Gallant Netanyahu öffentlich: Der Ministerpräsident gefährde ein erfolgreiches Voranschreiten der israelischen Militäroperation im Gaza-Streifen, indem er es meide, ein Szenario für dessen Zukunft zugrunde zu legen. »Die Vermeidung politischer Entscheidungen kann den Fortschritt der Militäraktion beeinträchtigen. Ich habe den Mitgliedern des Kabinetts einen Plan vorgelegt, und es ist die Pflicht der Regierung, ihn zu diskutieren«, so Gallant.

Verteidigungsminister Yoav Gallant erfuhr aus der Presse, dass Netanyahu mit katarischen und französischen Vermittlern ein Abkommen eingefädelt hatte, um Medikamente an von der Hamas festgehaltene israelische Geiseln zu schicken.

Seinen Plan für die Zukunft des Gaza-Streifens habe Gallant der Öffentlichkeit vorgestellt, bevor er ihn mit dem Ministerpräsidenten besprach, schreibt Liel. Umgekehrt erfuhr Gallant aus der Presse, dass Netanyahu mit katarischen und französischen Vermittlern ein Abkommen eingefädelt hatte, um Medikamente an von der Hamas festgehaltene israelische Geiseln zu schicken. »Gallant wusste nichts von dem Deal und hörte nur aus den Medien davon. Auch die Armee wusste nichts. Netanyahu informierte niemanden im Kabinett«, zitiert die Tageszeitung Yedioth Ahronoth ein Regierungsmitglied. »Zu einer Zeit, in der ein reibungsloser Informa­tionsfluss essentiell ist, isolieren sich der Ministerpräsident und der Vertei­digungsminister voneinander«, heißt es in Liels Kommentar.

Eigentlich wollte Netanyahu Gallant bereits Ende März 2023 als Verteidigungsminister entlassen, weil dieser öffentlich dazu aufgerufen hatte, parlamentarische Abstimmungen über die von der rechten Regierung geplante Justizreform zu verschieben. Doch nach starken öffentlichen Protesten aus dem In- und Ausland, die in Massendemonstrationen und einem Generalstreik gipfelten, war Netanyahu gezwungen, Gallant im Amt zu lassen.

Anfang Januar kassierte der Oberste Gerichtshof das Gesetz zur Annullierung der sogenannten Angemessenheitsklausel, eine 2023 vom israelischen Parlament beschlossene zentrale Maßnahme des Reformvorhabens. Das Gesetz hätte die Möglichkeiten des Gerichtshofs, gegen Entscheidungen der Regierung zu intervenieren, stark eingeschränkt. Kritiker der Regelung sahen in dem Gesetz eine Gefahr für Israels Demokratie und Gewaltenteilung.

Das Gericht urteilte auch über eine vom Parlament beschlossene Regelung, die eine Amtsenthebung des Ministerpräsidenten nahezu unmöglich gemacht hätte. Das im März beschlossene Amtsunfähigkeitsgesetz legte fest, dass eine Amtsenthebung ausschließlich aufgrund medizinisch festgestellter physischer oder geistiger Unfähigkeit des Mandatsträgers erfolgen könne. Ferner müsse sie von ihm selbst erklärt und von einer Zweidrittelmehrheit eines dafür zuständigen parlamentarischen Gremiums oder einer Dreiviertelmehrheit der Regierungsmitglieder bestätigt werden.

Netanyahus Ängste vor einer Demontage als Ministerpräsident spielen nach Auffassung der Journalisten Raviv Drucker vom Fernsehkanal Reshet 13 auch bei seinen Konflikten mit Gallant eine Rolle.

In seinem Urteil vom 3. Januar annullierte der Oberste Gerichtshof das Gesetz zwar nicht, legte aber fest, dass es erst in der kommenden Wahlperiode Gültigkeit erlange, mit der Begründung, dass die Regelung auf die persönlichen Bedürfnisse Netanyahus zugeschnitten gewesen sei. Daraus entstehe ein Konflikt mit dem Prinzip der Allgemeinheit von Rechtsnormen, der dadurch auf­gehoben werden könne, dass das Gesetz erst in der Amtszeit der nächsten Regierung gültig werde. Dessen Befürworter wollten damit eine aus ihrer Sicht bestehende Regelungslücke schließen, die die Generalstaatsanwältin theoretisch hätte nutzen können, um eine Amtsenthebung Netanyahus anzuordnen, gegen den ein Strafverfahren wegen Korruption läuft.

Dessen Ängste vor einer Demontage als Ministerpräsident spielen nach Auffassung der Journalisten Raviv Drucker vom Fernsehkanal Reshet 13 auch bei seinen Konflikten mit Gallant eine Rolle. Im vergangenen Oktober reichten Mitarbeiter Netanyahus eine Beschwerde gegen Katz beim Inlandsgeheimdienst ein, weil dieser eine Sitzung auf Tonband aufnahm, an der der Ministerpräsident und der Verteidigungsminister mit ihren Beraterstäben teilnahmen. Nach Recherchen von Druckers Kollegen bei Reshet 13, Sefi Ovadia, sei es früher üblich gewesen, dass Regierungssitzungen von Vertretern der Armee mitgeschnitten werden, um darin gefasste Beschlüs­se schnell an ausführende hohe Offiziere weiterzuleiten.

Dass das Amt des Ministerpräsidenten dies nun nicht mehr zulassen wolle und gar eine geheimdienstliche Beschwerde gegen einen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums einleitet, führt Drucker darauf zurück, dass Netanyahu in seinem Verteidigungsminister einen politischen Gegner sieht, der Material sammle, um ihn zu stürzen. Auch Ovadia glaubt, dass Netanyahu ein Monopol auf die Dokumentation der Regierungstreffen beanspruche, um zu verhindern, dass sie von politischen Widersachern gegen ihn verwendet werden könnte.