Bei der Migrationspolitik haben Rechtsextreme und Konservative eine große Schnittmenge

In die Wüste schicken

Die Migrationspolitik ist eines der bestimmenden Themen der Europawahl. Bei der Flüchtlingsabwehr ist die Zusammenarbeit der konservativen EVP-Fraktion mit rechtsextremen Parteien am wahrscheinlichsten.

Mehr als 200 Millionen Euro verspricht die EU Mauretanien als Teil eines Abkommens zur Eindämmung der Migration. Eine Milliarde soll es für Tunesien, eine Milliarde für den Libanon, 7,8 Milliarden für Ägypten geben. Der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) saß das Geld in den vergangenen Wochen und Monaten recht locker. Von den Ländern, die so großzügig mit Hilfsprogrammen bedacht wurden, erwartet die EU Unterstützung im Kampf gegen irreguläre Migration, im Wesentlichen dadurch, dass die jeweiligen Regierungen Flüchtlinge und Migranten an der Weiterreise Richtung Europa hindern – in offizieller Diktion: ihren Grenzschutz ausbauen.

Dieses Modell der Auslagerung des Grenzschutzes ist seit 2015 ein Hauptanliegen der EU-Außenpolitik. Die EU ist dabei mit dem Problem konfrontiert, dass sich viele afrikanische Staaten vom Westen ab- und Russland zuwenden, was die Aufkündigung der bisherigen Kooperation beim Grenzschutz einschließt. Die prorussische Putschregierung in Niger etwa hat kürzlich die Migrationsroute durch die Sahara nach Libyen wieder freigegeben, nachdem die EU jahrelang daran gearbeitet hatte, dass die Vorgängerregierungen diese schlossen.

»Ich schaue mit Spannung darauf, was Italien gemeinsam mit Albanien macht.« Nancy Faeser (SPD)

Von der Leyen will sich bei dem Thema auch deshalb keine Untätigkeit vorwerfen lassen, weil Populisten und Rechtsextreme die Abstimmung über das neue EU-Parlament auch zu einem Plebiszit über die Migrationspolitik machen. Auf den Wahlplakaten fordert die FPÖ in Österreich beispielsweise »Asylchaos stoppen«, die Partei verspricht eine »No-Way-Politik nach australischem Modell«. Es brauche ein »klares Signal, dass es kein Asyl für Personen von außerhalb Europas mehr geben kann«, so der EU-Spitzenkandidat der FPÖ, Harald Vilimsky. Die deutsche EU-Abgeordnete Christine Anderson (AfD) nennt das Europaparlament einen »Stuhlkreis gesinnungsethischer Weltenretter« und den jüngst beschlossenen EU-Migrationspakt mit schärferen Asylregeln eine »Beruhigungspille für das Volk«.

Wie die EU-Asylpolitik in den Partnerländern aussieht, zeigte beispielsweise eine im Mai erschienene Recherche des Investigativportals Lighthouse Report und einer Reihe von Partnermedien, darunter der Spiegel. In Mauretanien, Tunesien und Marokko, Ländern, mit denen die EU besonders eng zusammenarbeitet, werden mit Wissen und Billigung der EU gezielt schwarze Menschen in entlegene Grenzregionen verschleppt und in der Wüste ohne Nahrungsmittel, Wasser und Orientierungsmöglichkeiten zurückgelassen.

Wie weit lässt sich die Auslagerung der Migrationsabwehr noch treiben?

Teilweise mitten am Tag greifen staatliche Sicherheitsbeamte Menschen von der Straße auf, andere werden bei dem Versuch abgefangen, das Mittelmeer mit dem Boot zu überqueren. Die EU unterweist und rüstet die Ordnungskräfte aus, die diese Aktionen durchführen. So trainiert unter anderem die deutsche Bundespolizei die tunesische Nationalgarde, die Migranten in das libysche Grenzgebiet verschleppt, und rüstet diese auch mit Pickups aus.

Von der Leyens Sprecher Eric Mamer kommentierte die Vorwürfe, die sich aus dem Bericht ergeben, nicht im Detail. Er sprach lediglich von einer sich »schnell verändernden Lage«, an der die EU-Kommission »weiter arbeiten« werde. EU-Kommissionssprecherin Ana Pisonero sagte, die Partnerländer seien »souveräne Staaten«, die selbst für ihre Sicherheitskräfte verantwortlich seien. Doch statt gegen die Menschenrechtsverletzungen zu intervenieren, befassen sich die Kommission und viele Mitgliedstaaten vielmehr mit der Frage, wie weit sich die Auslagerung der Migrationsabwehr noch treiben lässt.

Italiens Pläne verstießen »gegen europäische und internationale Normen, die die Ausschiffung im nächstgelegenen sicheren Hafen vorschreiben, sowie gegen das Recht auf internationalen Schutz und die persönliche Freiheit«, so die EU-Sozialdemokrat:innen. 

Italien etwa wollte eigentlich am 20. Mai zwei Internierungslager für Asylsuchende in Albanien eröffnen, in denen 36.000 Menschen pro Jahr ein italienisches Asylverfahren durchlaufen sollen, nachdem sie auf dem Mittelmeer aufgegriffen wurden. Andere EU-Länder trachten danach, den italienischen Modellversuch zu kopieren. »Ich schaue mit Spannung darauf, was Italien gemeinsam mit Albanien macht«, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag dem Stern. Italienische Asylverfahren in Albanien seien »ein interessantes Modell«.

Die Ampel-Regierung hatte 2023 Joachim Stamp von der FDP zum »Migrationsbeauftragten« ernannt. Er sucht seither erfolglos nach Ländern, in die Deutschland seine Asylverfahren auslagern kann. Drei ganztägige Anhörungen mit mehr als einem Dutzend Experten hat das Innenministerium jüngst zur Frage abgehalten, ob ausgelagerte Asylverfahren für Deutschland in Betracht gezogen werden können.

»Brandmauer in Europa verläuft rechts von Meloni«

Allerdings hat Albaniens Ministerpräsident Edi Rama klargestellt, dass keinesfalls andere EU-Staaten ähnliche Lager aufbauen dürften. Zudem hegen viele Zweifel, ob Italiens Pläne rechtens sind. Sie verstoßen »gegen europäische und internationale Normen, die die Ausschiffung im nächstgelegenen sicheren Hafen vorschreiben, sowie gegen das Recht auf internationalen Schutz und die persönliche Freiheit«, schrieb die sozialdemokratische S&D-Fraktion im EU-Parlament. Amnesty International fürchtet negative Auswirkungen auf das Recht »auf Leben und körperliche Unversehrtheit«. Im Januar sagte die EU-Kommissarin Ylva Johansson, sie »prüfe die Auswirkungen« der Vereinbarung und werde »mit den italienischen Behörden in Kontakt bleiben«. Doch die Prüfung dauert an.

Meloni hat indes beste Chancen, nach der Wahl eng mit der konservativen EVP-Fraktion der christdemokratischen Parteien zusammenzuarbeiten: »Die Brandmauer in Europa verläuft rechts von Meloni«, befand kürzlich Jens Spahn (CDU). In der Migrationspolitik liegen die konservativen Vorstellungen schon heute sehr nah bei jenen von Melonis Postfaschisten.