Siebter Oktober Dreiundzwanzig
»Dekolonisierung« ist nach dem 7. Oktober keine Metapher mehr
Von Camila Bassi
In »Decolonization is not a metaphor«, einem vielzitierten akademischen Artikel aus den Postcolonial Studies, behaupten Eve Tuck, Professorin für Critical Race und Indigenous Studies, und K. Wayne Yang, Professor für Ethnic Studies, dass Dekolonisierung »verstörend« sein müsse, da ihre primäre Aufgabe darin bestehe, »Indigenes Land und Leben« zurückzuerobern und zu repatriieren; beim Begriff »Dekolonisierung« handle es sich deshalb keinesfalls um eine Metapher, die im Dienste einer grundsätzlichen Verbesserung des Bildungswesens und der Gesellschaft stehe.
Am 7. Oktober 2023 erwachte diese Phantasiepolitik für einige Akademikerinnen und Akademiker zum Leben, und Begriffe und Sätze aus Tucks und Yangs Artikel tauchten in unzähligen Online-Kommentaren auf, um das Geschehen affirmativ zu kommentieren. »Dekolonisierung ist keine Metapher« wurde zu einem Mantra, mit dem die »Re-Invasion« (Tuck/Yang) von indigenem Land gefeiert wurde – und zu einem Mantra, mit dem sich zugleich jeder Akademiker schelten ließ, der sich bis dato zwar zur dekolonialen Arbeit verpflichtet hatte, an diesem Tag jedoch still geblieben war. Angesichts der entsetzlichen Gräueltaten, die von der Hamas verübt wurden – eine Gewalt, deren ideologische Komponente der Antisemitismus war –, reagierte der Großteil der akademischen Linken entweder mit deren öffentlicher Billigung oder aber mit privat eingeräumter Ambivalenz bei öffentlicher Stille.
Noch kein Abonnement?
Um diesen Inhalt zu lesen, wird ein Online-Abo benötigt::