Der Zusammenhang von Identitätsjargon und Antizionismus im Kunstbetrieb

Stimmen der Stimmung

Wer in der Debatte über die Berliner Antisemitismusklausel die Kunstfreiheit hochhält, meint damit in der Regel nur einen Freifahrtschein für antizionistische Aktivisten. Dabei birgt die Klausel die Chance, nicht nur den Antisemiten das Leben schwerer zu machen, sondern auch dem vom Identitätsfimmel durchdrungenen Kulturbetrieb insgesamt endlich etwas Neues abzuringen.
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Der neueste heiße Scheiß in der Kunstwelt sind die »Wissen«. Kostprobe gefällig? »Menschen mit mehrfachen Zugehörigkeiten, Sehnsüchten und pluralen Erfahrungshorizonten kennen mehr als das (nämlich »das« Wissen, in der deutschen Sprache nur im Singular möglich); sie verkörpern und leben die Wissen unterschiedlicher Situationen und Zusammenhänge.« Mit diesem Text macht derzeit die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin, kurz NGBK, Werbung für ihre Ausstellung »die Wissen«.

Bereit für noch mehr »Wissen«? »Welche Form der Kritikalität wohnt der Lust queerer, rassifizierter oder behinderter Körper inne, wenn sie als minoritäre Form der Wissensproduktion verstanden wird, die die Beschränkungen von Souveränität und Subjektivität in weißen, heteronormativen, ableistischen Herrschaftsstrukturen überschreitet?«

Ja, welche Form denn? Man muss befürchten, dass diese rhetorische Frage auf dem Ende Januar stattfindenden Symposium des NBK (Neuer Berliner Kunstverein) nicht beantwortet werden wird, sicher darf man aber sein, dass einem diese Einladung mit ihren Worthülsen die Lust austreibt, sich jemals wieder über Lust Gedanken zu machen. Beide Institutionen werden übrigens von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.

In der angesagten Denke der Kunstwelt sind Künstler nur noch Multiplikatoren oder eben die »Stimmen« für soziale und politische Bewegungen, sind quasi Aktivisten, Wissenschaftler und Künstler in einem, nicht autonom, nicht an Ästhetik interessiert.

Der zuständige Senator Joe Chialo (CDU) wird zwar namentlich nicht im Aufruf von »Strike Germany« genannt, aber natürlich war seine vorerst ausgesetzte Anordnung, die Kulturförderung im Land Berlin an die Unterzeichnung unter anderem auch einer an die IHRA-Definition angelehnte Antisemitismusklausel zu binden, der entscheidende Grund für den »Streik«, zu dem die »internationalen Kulturschaffenden« mit ihrer Kampagne aufrufen wollen.

Ausgelöst wurde das Ganze allerdings nicht durch Kunst, sondern durch Aktivismus. Anfang November lud der Verein »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« zum Anlass seines 20jährigen Bestehens ins Kulturzentrum Oyoun ein – der Verein unterstützt die BDS-Bewegung und machte sich einen Namen, als er am 10. Oktober 2023, drei Tage nach dem Massaker an 1.200 Zivilisten in Israel, die tödliche Aktion der Hamas als einen »Gefängnisausbruch« bezeichnete. Als daraufhin die Senatsverwaltung ankündigte, die Förderung zu überprüfen, berief sich das Oyoun in Erklärungen auf die »Kunstfreiheit«.

Auch die streikenden Künstler von »Strike Germany« griffen im Januar in ihrem Statement die »Jüdische Stimme« wieder auf, allerdings nicht ganz korrekt: Bei ihnen hieß der Verein plötzlich »Jüdische Stimmen für einen gerechten Frieden im Nahen Osten«. Dass die Streikenden noch nicht einmal die korrekten Namen von Organisationen wissen, für die sie in die Bresche springen, ist schon peinlich genug, allerdings offenbart sich in dem fehlerhaft wiedergegebenen Namen, nämlich darin, dass aus der »Stimme« auf einmal die »Stimmen« werden, eine Denke und ein Jargon, dem man, siehe die Texte des NBK und der NGBK, in der Kunstwelt mittlerweile überall begegnet.

In dieser Denke sind Künstler nur noch Multiplikatoren oder eben die »Stimmen« für soziale und politische Bewegungen, sind quasi Aktivisten, Wissenschaftler und Künstler in einem, nicht autonom, nicht an Ästhetik interessiert, und deswegen auch immer an die talking points gebunden, die gerade angesagt sind, derzeit eben vor allem die Identitätspolitik und die mit ihr verbundene Israelkritik. Wenn hier von Kunstfreiheit geredet wird, ist damit immer nur gemeint, dass die Gesinnung des einzelnen Künstlers nicht hinterfragt werden darf – schwupps werden dann auch alle Aktivisten (wie die der »Jüdischen Stimme«) zu »Künstlern« umdeklariert, um sie unkritisierbar zu machen.

Wer es dagegen ernst meint mit der Freiheit der Kunst, sollte sich auflehnen gegen diesen pseudointellektuellen, elitären und politisch völlig nutzlosen Jargon und gegen die Idee des Aktivistenkünstlers, der tatsächlich nur allzu gut auch bei staatlichen Kulturinstitutionen ankommt, immerhin sind die froh, wenn sie die politische Drecksarbeit an Künstler outsourcen können.

Tatsächlich produzieren auch die Institutionen und ihre Vergabepraktiken (nämlich die Selbstbeschreibungen und Positionierungen, die man in Projektbewerbungen angeben muss) selbst den Identitätsklimbim.

Tatsächlich produzieren auch die Institutionen und ihre Vergabepraktiken (nämlich die Selbstbeschreibungen und Positionierungen, die man in Projektbewerbungen angeben muss) selbst diesen Identitätsklimbim, mit dem man immer wieder in der Kunstwelt dazu gezwungen wird, den Beweis anzutreten, gesellschaftlich »relevant« zu sein, statt interessante Kunst zu machen – die kann, aber muss eben nicht nützlich oder relevant sein, das ist das Schöne an ihr.

Sich allein auf staatliches Handeln bei der Bekämpfung des Antisemitismus zu verlassen, ist nicht klug – aber etwas, was die Berliner Antisemitismusklausel hätte bewirken können, wäre eine nötige Ausdifferenzierung im Kulturbereich gewesen – personell, inhaltlich und formal –, damit nicht mehr nur die opportunistischen Leute mit dem Identitäts- und Gemeinschaftsfimmel (und dem damit sehr oft einhergehenden Antisemitismus) das Sagen haben, sondern auch andere Künstler zum Zuge kommen, die nicht unter dem Deckmantel der Kunst ihren verbrämten Aktivismus und Antizionismus verbreiten wollen.

So ernst meinte man es am Ende eh nicht: Die Künstlerin und unerbittliche Israelkritikerin Candice Breitz, die seit Monaten den deutschen Kunstbetrieb wie ihre Geisel behandelt, findet sich nicht unter den Unterzeichnern von »Strike Germany« wieder – wäre ja auch schön blöd, immerhin ist sie seit 2007 Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, und wer will schon auf solch ein Gehalt verzichten?