Anhänger von Verschwörungstheorien schieben Israel die Verantwortung für das Hamas-Massaker zu

Völlig meschugge

Die verschwörungsgläubige Szene hat ein neues Thema: Israel habe das Hamas-Massaker am 7. Oktober absichtlich geschehen lassen.

Man müsse über den islamischen Terror völlig neu nachdenken – und die Frage stellen: »Wer profitiert von ihm?« So leitete der ehemalige Platzhirsch der »alternativen Medien«, Kayvan Soufi-Siavash, besser bekannt unter seinem früheren Pseudonym Ken Jebsen, ein kürzlich auf Youtube erschienenes Gespräch ein. Das Thema: »Gaza, Geheimdienst und Politik«.

Mit ihm diskutierte Daniele Ganser, ein Historiker der seine wissenschaft­liche Reputation mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien zu 9/11 zerstörte und sich heute als Friedensforscher bezeichnet. Ganser – offenbar Experte für alle Weltbereiche – hat auch eine Meinung zum Hamas-Massaker vom 7. Oktober parat. Er vergleicht es mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, das die US-Regierung, so Ganser, bewusst habe geschehen lassen, um in der eigenen Bevölkerung einen Eintritt in den Zweiten Weltkrieg durchzusetzen.

Für die verschwörungstheoretische Protestbewegung in Deutschland, die zu Beginn der Covid-19-Pandemie enorm gewachsen war und nach dem russischen Überfall auf die Ukraine erneut Zulauf bekam, führt der Gaza-Krieg bislang nicht zu nennenswerten Mobilisierungserfolgen. Nach drei Jahren lokaler Demonstrationen im Wochentakt und zahlreichen Demonstrationen mit bundesweiter Mobilisierung zeigt sich die Szene zersplittert. Abgesehen von einigen Hotspots in Ostdeutschland scheint sie sich weitgehend totgelaufen zu haben.

Die Hamas sei eine »Erfindung der CIA und der Israelis«, sagte der ehemalige »Taz«-Redakteur Mathias Bröckers.

Da es der verschwörungsgläubigen Szene nicht gelingt, größere eigene Kundgebungen auf die Beine zu stellen, nehmen ihre Vertreter an Veranstaltungen wie der sogenannten Friedensdemonstration »Nein zu Kriegen« am 25. November in Berlin teil. Seit Wochen beteiligen sich einzelne Akteure auch immer wieder an antiisraelischen Demonstrationen, zum Beispiel der »Demonstration für Menschenrechte« Anfang November in Düsseldorf, die vom ehemaligen CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer mitorganisiert wurde. In Leipzig beteiligt sich die rechtsextreme und verschwörungsgläubige Bürgerbewegung Leipzig 2021 regelmäßig an antiisraelischen Demonstrationen.

Israel als neues Thema der verschwörungsgläubigen Szene

Doch während ihre Präsenz auf der Straße abnimmt, bleiben die Anhänger und Propagandisten von Verschwörungsmythen im Internet äußerst aktiv. Die Szene lebt dort weiter, weitgehend unbeachtet von der übrigen Gesellschaft. Nun hat sie mit Israel ein neues zentrales Thema entdeckt.

Gansers Anschuldigungen sind exemplarisch für den Blick des verschwörungsgläubigen Milieus auf die Ereignisse. Analog zu ähnlichen Theorien über die Anschläge vom 11. September 2001 wird der israelischen Regierung eine maßgebliche Beteiligung an den Geschehnissen vom 7. Oktober zugeschrieben. Häufig gilt sie gar als eigentlicher Drahtzieher. Man glaubt offenbar an eine geradezu allmächtige Stellung Israels im Nahen Osten: Nichts kann geschehen, ohne dass Israel es geschehen lässt. Es ist das antisemitische Stereotyp des alles kontrollierenden Strippenziehers, das auf den jüdischen Staat projiziert wird.

Ausgehend von dieser Annahme geht man auf die Suche nach vermeintlichen Beweisen für israelische Übeltaten. So kursiert seit Ende November auf einschlägigen Kanälen die ursprünglich vom US-amerikanischen Portal The Grayzone gestreute Behauptung, dass der Großteil der beim Supernova-Festival ermordeten feiernden Menschen nicht von Hamas-Terroristen, sondern von israelischen Apache-Kampfhubschraubern getötet worden sei.

Auch Thomas Röper, ein in Sankt Petersburg lebender Medienaktivist, der mit verschiedenen Formaten putinistische Propaganda verbreitet, äußerte sich zum Thema. Auf seinem Blog »Anti-Spiegel« behauptete er unter der Überschrift »Die wahren Gründe für den Krieg in Gaza«, Israel betreibe eine »ethnische Säuberung« des Gaza-Streifens, um ungestört ein vor dessen Küste befindliches Gasfeld ausbeuten zu können. Das passt zum Spin der russischen Staatspropaganda, die versucht, die eigene imperialistische (und antiwestliche) Politik mit antikolonialer und anti­imperialistischer Rhetorik zu begründen und sich den Feinden Israels weltweit anzubiedern. Der Iran, Todfeind Israels und größter Unterstützer der Hamas, ist inzwischen einer der wichtigsten Rüstungslieferanten Russlands.

»Okkulte jüdische Sekten« wollen angeblich das Ende der Welt auslösen

Auf der Website Exomagazin.TV, die sich neben der Geopolitik Ufos und esoterischen Inhalten widmet, haben der ehemalige Dokumentarfilmer Dirk Pohlmann, der noch 2020 von Arte zu einem Podiumsgespräch auf der Frankfurter Buchmesse eingeladen worden war, und der Mitgründer und ehemalige langjährige Redakteur der Taz, Mathias Bröckers, ihre Köpfe zusammengesteckt. Auch dort erfuhr man, dass Benjamin Netanyahus Regierung das Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung gezielt herbeigeführt habe. Die Hamas sei eine »Erfindung der CIA und der Israelis«, sagte Bröckers. Pohlmann attestierte der israelischen Regierung eine Mischung von »Schwarzhemdfaschismus mit archaischer Religion«. Sie sei im Bund mit Kräften, deren Ziel es sei, den »Dritten Tempel« zu errichten. Indem sie auf dem Jerusalemer Tempelberg, wo sich heute wichtige islamische Heiligtümer wie die al-Aqsa-Moschee befinden, den jüdischen Tempel (wieder)errichten, wollten sie die Wiederkehr des Messias herbeiführen.

Ende Oktober teilte MC Bogy auf Instagram ein Bild, das Bundeskanzler Olaf Scholz als orthodoxen Juden karikiert, unter anderem versehen mit mehreren Davidsternen, einem Ratten-Emoji und dem Text: »Präsident von Deutschland! Noch Fragen?«

Die These, dass dieser Plan der eigentliche Grund für die derzeitigen Ereignisse sei, ist in der verschwörungsgläubigen Szene in verschiedenen Varianten virulent. Auf der Plattform Nuoviso, die alle Bereiche des »alternativen« Bereichs von Esoterik bis Verschwörungstheorien bedient, warnt der (antisemitische) Autor Wolfgang Eggert beispielsweise vor den Machenschaften »okkulter jüdischer Endzeitsekten«, die angeblich die israelische Regierung kontrollierten und versuchten, das Ende der Welt auszulösen.

Zu den Medien des verschwörungsgläubigen Milieus muss inzwischen auch der Podcast »100 % Realtalk« gerechnet werden. Betrieben wird er von den in die Jahre gekommenen und musikalisch wenig erfolgreichen Berliner Rappern B-Lash und MC Bogy. Das reichweitenstarke Format mit 133.000 Youtube-Abonnenten begann als Video-Podcast mit Gästen aus der deutschen Rap-Szene. Inzwischen verbreiten dort Personen wie Soufi-Siavash, Ganser und andere »Sachverständige« ihre fragwürdigen Thesen.

Dem Verschwörungsglauben liegt strukturell antisemitisches Denken zugrunde

Durch den ursprünglichen Bezug zur HipHop-Szene dürfte der Podcast auch Menschen ­außerhalb der klassischen »Quer­den­ken«-Bubble erreichen. Ende Oktober teilte MC Bogy auf Instagram ein Bild, das Bundeskanzler Olaf Scholz als orthodoxen Juden karikiert, unter anderem versehen mit mehreren Davidsternen, einem Ratten-Emoji und dem Text: »Präsident von Deutschland! Noch Fragen?«

Auch wenn die meisten Anhänger von Verschwörungsmythen den Vorwurf des Antisemitismus öffentlich stets zurückweisen und betonen, nichts gegen Juden zu haben, gelingt es offenkundig nicht immer, diese Fassade aufrecht zu erhalten. Dass dem Verschwörungsglauben strukturell antisemitisches Denken zugrunde liegt, weiß inzwischen jeder, der es wissen will. Häufig führt dieses Denken auch zu einem expliziten Antisemitismus, wobei die Übergänge oft fließend sind. Viele sind auch klug genug, ihre Judenfeindschaft hinter Codes zu verstecken: Globalisten, Zionisten, Rothschilds oder Neue Weltordnung. Doch egal ob verschwörungstheoretische Antizionisten oder manifeste Antisemiten, sie alle teilen die Feindschaft gegen den jüdischen Staat.