Was die Erfolge von AfD und BSW bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen bedeuten

Demokratische Notlage

Vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen versuchten die Bundesregierung und die Union, sich mit migrationsfeindlichen Vorschlägen zu übertreffen. Gegen den Erfolg der AfD half das natürlich nicht.

Das war’s also. Thüringen und Sachsen haben gewählt, die Sieger heißen AfD (Platz eins in Thüringen, Platz zwei in Sachsen) und BSW (mit dem nun unausweichlich koaliert werden muss, wenn man die AfD von der Regierung fernhalten will). Die sicher schon lange vorbereiteten Äußerungen des Entsetzens am Wahlabend waren so wenig überraschend wie die Wahlergebnisse.

Die »Altparteien«, wie es im AfD-Jargon heißt, versuchten mal wieder das, was sie schon seit Jahren erfolglos versuchen: Themen der AfD zu übernehmen, um deren Wähler:innen zurückzugewinnen. Das hieß wie eigentlich immer bislang, eine noch restriktivere Migrationspolitik anzukündigen.

Denn bis hin zu den sich nun bietenden Koalitionsoptionen ist genau der Fall eingetreten, der aufgrund der Umfragen zu erwarten gewesen war. Die hatten in den vergangenen Monaten nicht den geringsten Anlass zu der Hoffnung gegeben, nennenswert viele ostdeutschen Wähler würden urplötzlich doch noch zur Besinnung kommen und am Wahltag einer bislang verborgen gebliebenen Neigung zu Migration, Umweltschutz, Ukraine-Hilfen, Westbindung, Diversität und liberaler Demokratie Ausdruck verleihen. Hat auch niemand geglaubt.

Stattdessen versuchten die »Altparteien«, wie es im AfD-Jargon heißt, mal wieder das, was sie schon seit Jahren erfolglos versuchen: Themen der AfD zu übernehmen, um deren Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen. Das hieß wie eigentlich immer bislang, eine noch restriktivere Migrationspolitik anzukündigen.

Ratzfatz »Migrationsgipfel« angekündigt

Auf makabre Art kam der Bundesregierung und den Unionsparteien da der islamistische Messermord von Solingen zupass, bot er ihnen doch kurz vor den Landtagswahlen den Anlass, sich (mit weitgehender Unterstützung der »liberalen« Medien) selbst als Bollwerk gegen böse Migranten zu präsentieren. Ratzfatz wurde ein »Migrationsgipfel« angekündigt, bei dem bereits am Dienstag nach der Wahl die Bundesregierung, Opposition und Bundesländer allerlei Verschärfungen im Asyl- und Waffenrecht beratschlagten.

Doch schon vor der Wahl ließ die Bundesregierung eine Reihe möglicher Maßnahmen durchsickern, zum Beispiel die Idee, dass Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land regis­triert sind, künftig nach dem »Bett-Brot-Seife-Prinzip« behandelt werden, also weder Geldleistungen noch Bezahlkarte erhalten sollen. Zwar gibt es überhaupt keinen Grund anzunehmen, dadurch ließe sich das Dublin-System wiederbeleben, das ja dafür sorgen sollte, dass Flüchtlinge, die in der EU ankommen, in den Grenzstaaten verbleiben müssen – aber darum ging es der Bundesregierung ja auch nicht, sondern allein darum, kurz vor der Wahl die brutale Phrase »Bett-Brot-Seife-Prinzip« kursieren zu lassen. Obendrein wurden medienwirksam direkt vor der Wahl, vermittelt durch das Emirat Katar, zum ersten Mal seit der Machtergreifung der Taliban wieder Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben, wofür wohl Gegenleistungen vereinbart werden mussten, deren Umfang noch unbekannt ist.

Beim Wahlkampfabschluss in Suhl versprach der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt unter brausendem Applaus, im Falle seines Wahlsiegs die dortige Erstaufnahme­einrichtung sofort zu schließen.

Fast panisch wirkte dieses Bemühen der Regierungsparteien, »klare Kante« zu demonstrieren, um der AfD doch noch ein paar Prozentpunkte abzujagen. Die Unionsparteien versuchten unterdessen, rhetorisch noch eins draufzusetzen: Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz brachte die Ausrufung einer »nationalen Notlage« ins Spiel, um die deutschen Grenzen für sämtliche Flüchtlinge schließen zu können, ohne EU-Recht zu brechen, und der CSU-Vorsitzende Markus Söder erklärte sogar das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf politisches Asyl für »nicht mehr zeitgemäß«.

Beim CDU-Wahlkampfabschluss im thüringischen Suhl adelte Söder zudem die in Ostdeutschland weitverbreitete aggressive Ablehnung von Menschen, die als anders oder fremd wahrgenommen werden, mit dem Satz: »In jedem Thüringer Dorf ist mehr Verstand als im gesamten Berliner Regierungsviertel.«

Woraufhin der dortige CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt unter brausendem Applaus versprach, im Falle seines Wahlsiegs die Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl sofort zu schließen. Und noch am Morgen des Wahltags forderte selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Verschärfung der Asylpolitik als »Priorität für die nächsten Jahre«, um damit sicher ungewollt eine deutliche Wahlempfehlung zu geben – denn bekanntlich wählen die Leute ja lieber das Original als die Kopie.

Auf der Suche nach Schuldigen landete man bei Merkel

Wer trotz dieses einwöchigen Dauerfeuers migrationsfeindlicher Ideen der etablierten Parteien noch dachte, es gehe an diesem Wahltag zumindest auch ein wenig um landespolitische Themen, wurde spätestens von ARD-Moderatorin Caren Miosga am späteren Sonntagabend in der nach ihr benannten Talkshow eines Besseren belehrt: Zwar ließ die Moderatorin hin und wieder Tafeln mit Stimm- und Sitzverteilung aus den beiden Bundesländern einblenden, aber hauptsächlich wurde in der Runde darüber debattiert, wann das eigentlich angefangen habe mit dieser schrecklichen … nein, nicht AfD, sondern Migration.

Und auf der Suche nach Schuldigen landete man schnell bei – na klar – der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die nämlich hätte, wie Miosgas Gast, der damals verantwortliche Bundesinnenminister Thomas de Maizière, auf Drängen der Moderatorin hin einräumte, bereits 2015 eine »nationale Notlage« erklären können, um die Grenzen zu schließen. Was indes eine solche Zurückweisung seinerzeit für die syrischen Kriegsflüchtlinge real bedeutet hätte, fand die Runde dann nicht mehr debattierenswert.

Offenbar machen nicht nur die Regierungsparteien und die konservative Opposition, sondern auch die großen Medien des Landes vor allem die Migranten selbst verantwortlich für den Rassismus.

Was das alles mit den Wahlen in Sachsen und Thüringen zu tun hat? Ganz einfach: Offenbar machen nicht nur die Koalitionsparteien der Regierung und die konservative Opposition im Bundestag, sondern auch die großen Medien des Landes (bei Miosga vertreten durch den stellvertretenden Chefredakteur der Welt, Robin Alexander, sowie die Zeit Online-Redaktionsleiterin Anne Hähnig) vor allem die Migranten selbst verantwortlich für den Rassismus, der ihnen hierzulande entgegenschlägt, und damit auch für den Erfolg von AfD und BSW.

Keine Rede hingegen davon, dass es doch spezifische Gründe dafür geben muss, wenn sich Migrationsfeindlichkeit gerade in Ostdeutschland so stark manifestiert, dass die genannten Parteien in beiden Ländern zusammengerechnet fast die Hälfte der Wählerstimmen erringen konnten. Keine Rede auch von deren sonstigen Positionen, weil man sich sonst ja eingestehen müsste, dass es einen Großteil der Ostdeutschen im Herbst 1989 vielleicht weniger nach Demokratie verlangte als nach westdeutschem Geld und besseren Konsumartikeln und dass viele bis heute ein autoritäreres System im Sinne einer »gelenkten Demokratie« bevorzugen, wie es die AfD und in abgeschwächter Form das BSW anstreben. Würde man sich dieser Erkenntnis öffnen, fiele ein Schatten auf den Gründungsmythos der Berliner Republik und man müsste sich der Tatsache stellen, dass die Vereinigung der beiden deutschen Staaten weniger ein Triumph der liberalen Demokratie als des deutschen Nationalismus war.

Vom Nationalsozialismus in einen Nationalismus stalinistischer Prägung

Die Einwohner der DDR waren direkt vom Nationalsozialismus in einen Nationalismus stalinistischer Prägung überführt worden, also von einem autoritären Regime ins nächste, was bei vielen fast zwangsläufig selbst dann zu einer Enttäuschung vom neuen System, Rückbesinnung auf vermeintlich bessere Zeiten und Sehnsucht nach einem »starken Staat« geführt hätte, wenn das westdeutsche Demokratiemodell seinen eigenen hehren Ansprüchen tatsächlich gerecht geworden wäre.

Anfangs noch als »Ostalgie« belächelt, wurden solche antidemokratischen Anwandlungen in den vergangenen Jahren immer mehr als spezifische Ost­identität verklärt. Der damit verbundene Stolz wiederum bildet einen vortrefflichen Nährboden für rechtsex­treme Parteien wie die AfD oder putinistische Propagandaprojekte à la BSW.

Rassistische und autoritäre Alltagskultur

Dass bei den Landtagswahlen Umfragen zufolge die Älteren am wenigsten und die Jüngsten am häufigsten die AfD wählten, zeigt zudem, dass es hierbei nicht einfach um eine DDR-Prägung geht, sondern darum, wie sich seit den neunziger Jahren eine rassistische und autoritäre Alltagskultur entwickelt hat, die heute fast unangefochten etliche Dörfer und Kleinstädte beherrscht.

Diese inzwischen fast 35 Jahre währende Fehlentwicklung als demokratische Notlage zu begreifen und wenigstens zu versuchen gegenzusteuern, indem man beispielsweise all die antifaschistischen und aufklärerischen Initiativen, die es im Osten ja auch gibt, verlässlich unterstützt und fördert – das wäre eine deutlich wichtigere Aufgabe für Parteien und Medien, als sich immer neue Methoden zur Drangsalierung von Migranten auszudenken.

Die wichtigste Botschaft dieser Landtagswahlen ist, dass in Thüringen schon heute AfD und BSW gemeinsam die Macht übernehmen könnten. 

Mag auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) seiner von der AfD kaum zu unterscheidenden Haltung zur Migration, Unterstützung der Ukraine und Klimapolitik vorerst den Machterhalt verdanken, wird er doch wahlweise mit der AfD oder dem BSW und der SPD koalieren müssen. Ähnlich sieht es für Thüringens CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt aus, der für eine Regierungsmehrheit zusätzlich zum BSW und zur SPD auch noch die Stimmen der Linkspartei bräuchte.

Die wichtigste Botschaft dieser Landtagswahlen aber ist, dass in Thüringen schon heute AfD und BSW gemeinsam die Macht übernehmen könnten. Keine beruhigenden Aussichten für kommende Wahlen. Zumal, wenn man nicht wie die meisten Parteien und Medien die Schuld für solche Ergebnisse bei den Migranten sucht, sondern bei denen, die sie in vollem Bewusstsein herbeigeführt haben: den Wählern.