Der Gefangenendeal mit Russland

Der große Ost-West-Austausch

Im Rahmen eines Gefangenenaustauschs mit Russland wurden 16 Personen aus russischen und belarussischen Gefängnissen sowie acht Personen aus westlichen Gefängnissen freigelassen, darunter mit Wadim Krasikow ein verurteilter Mörder aus den Reihen des russischen Geheimdiensts FSB.

Staatsempfang auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo mit rotem Teppich für Wadim Krasikow, einen in Deutschland zu lebenslänglicher Haft verurteilten Mörder: Auf diesen Moment hatte Wladimir Putin, der Krasikow persönlich empfing, lange warten müssen. Den sogenannten Tiergartenmörder – er hatte 2019 den tschetschenischstämmigen Georgier Selimchan Changoschwili in Berlin erschossen – umarmte der Präsident bei dessen triumphaler Rückkehr am späten Abend des 1. August. So viel Ehre war noch keinem im Auftrag des Kreml tätigen Agenten zuteil geworden, zumal Krasikow ja aufgeflogen und 2021 in Deutschland verurteilt worden war. Mit Krasikow in der Maschine saßen außerdem noch sieben weitere russische Staatsangehörige, die bis zu ihrer Inhaftierung in den USA, Slowenien, Polen und Norwegen mehrheitlich ebenfalls in Geheimdienstmission unterwegs gewesen waren. Das Spionage­ehepaars Artjom Dulzew und Anna Dulzewa brachte zudem seine zwei Kinder mit. Sie alle profitierten vom größten Gefangenenaustausch mit Russland seit Ende des Kalten Kriegs.

Den Anstoß zum Austausch dürfte die Festnahme von Evan Gershkovich 2023 gegeben haben. Der US-Reporter war der erste ausländische Journalist, den Russland als Geisel inhaftierte, um russische Spione freizupressen. 

Glücklich schätzen dürfen sich 16 weitere Menschen, die vergangene Woche nach monatelanger oder sogar jahrelanger russischer beziehungsweise belarussischer Haft freikamen. Unter ihnen befinden sich mehrere deutsche und US-amerikanische Staatsangehörige und auch drei Personen mit deutscher und russischer Staatsangehörigkeit, wie der zum Zeitpunkt seiner Festnahme noch nicht einmal volljährige Kevin Lick; die anderen sind russische Oppositionelle und Kriegsgegner:in­nen. Der international Bekannteste, Wladimir Kara-Mursa, war 2023 wegen Landesverrats zu 25 Jahren Haft verurteilt worden, der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin, die Künstlerin Aleksandra Skotschilenko oder Lilija Tschanyschewa und Ksenija Fadejewa, beide Mitstreiterinnen des im Februar aus ungeklärten Gründen verstorbenen Oppositionellen Aleksej Nawalnyj, saßen lange in Haft.

Den Anstoß zum Austausch dürfte die Festnahme von Evan Gershkovich Ende März 2023 in Jekaterinburg gegeben haben. Für das Wall Street Journal recherchierte der US-Reporter zu heiklen, den Ukraine-Krieg betreffenden Themen und war der erste ausländische Journalist, den Russland de facto als Geisel inhaftierte, um russische Spione freizupressen.

Putin im Interview mit dem rechten US-Talkmaster Tucker Carlson

Zuvor, im Dezember 2022, hatte Russland die US-Basketballerin Brittney Griner ausreisen lassen, die wegen Besitzes einer geringen Menge von Haschischöl zu neun Jahren Haft verurteilt worden war. Im Gegenzug durfte der Waffenhändler Wiktor But, 2012 in den USA zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, nach Russland zurückkehren. Russische Versuche, den erst jetzt freigelassenen ehemaligen US-Marinesoldaten Paul Whelan gegen in den USA inhaftierte russische Spione auszutauschen, scheiterten hingegen.

Putin hatte zuletzt im Februar bei einem Interview mit dem rechten US-Talkmaster Tucker Carlson seine grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, Gershkovich auszutauschen. Zu dem Zeitpunkt wussten die für diese Angelegenheit zuständigen Stellen in den USA längst Bescheid, dass Putin einen sehr hohen Preis verlangte – Krasikow.

Weshalb ausgerechnet ihn, das lässt sich nur vermuten; am Freitag wurde offiziell zugegeben, dass er für den russischen Geheimdienst FSB tätig war. Krasikow hatte sich insofern verdient gemacht, als er in deutscher Haft Schweigen gewahrt hatte. Die Tageszeitung New York Times berichtete, Putin und Krasikow verbinde freundschaftliche Beziehungen. Die Bild-Zeitung behauptete gar, Krasikow könnte hinter dem Tod von Anatolij Sobtschak Anfang 2000 stecken, der von 1991 bis 1996 als Bürgermeister von Sankt Petersburg fungierte und als politischer Ziehvater Putins galt. Als Todesursache wurde damals ein Herzinfarkt festgestellt, aber später deuteten Medienberichte darauf hin, dass er vergiftet worden war.

Erst sollte Nawalnyj ausgetauscht werden

Allerdings verfügten die USA über keine Handhabe, Krasikow aus der Haft zu entlassen. US-Präsident Joe Biden persönlich soll den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz eindringlich darum gebeten haben. Im Gespräch war zudem zunächst, Aleksej Nawalnyj im Austausch gegen Krasikow aus Russland herauszuholen, wogegen sich der Kreml nicht gesträubt haben soll.

Einer Recherche des Wall Street Journal zufolge äußerten allerdings die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ebenso wie Juristen zunächst ­Bedenken, einen verurteilten Auftragsmörder wie Krasikow freizulassen. Nach Nawalnyjs Tod in einem über dem Polarkreis gelegenen Straflager im ­Februar musste ein neuer Plan her, der nach und nach Gestalt annahm. Am 25. Juni trafen sich deutsche und US-amerikanische Geheimdienstangehörige in Saudi-Arabien mit russischen Pendants. Mitte Juli kam die Zusage aus Moskau für den jetzt vollzogenen Austausch und die in Russland Inhaftierten wurden amnestiert. Als Dreh- und Angelpunkt des Austauschs fungierte der Flughafen in Ankara, da die Türkei nach wie vor keine Restriktionen gegen die Ein- und Ausreise russischer Offizieller verhängt hat.

Eine dubiose Rolle spielte zudem der belarussische Präsident Aleksandr ­Lukaschenko, dem die russische Führung ihren ausdrücklichen Dank aussprach. Im Rahmen des Austauschs kam auch der im Juli in Belarus wegen Terrorismus zum Tode verurteilte Rettungssanitäter Rico Krieger frei. Verhaftet worden war der Deutsche bereits im vergangenen Oktober, womöglich, weil er in die belarussische Hauptstadt Minsk gelockt worden und buchstäblich in eine Falle getappt war; davon geht Belpol aus, eine Exil-Organisation ehemaliger belarussischer Strafverfolger.

Bitterer Beigeschmack bleibt

Ansonsten dürften mehrere Faktoren eine Rolle gespielt haben, dass die komplizierte Operation über die Bühne gehen konnte. Einer davon ist die bald endende Amtszeit Bidens. Bei der auf russischer Seite für Auslandsfragen zuständigen Abteilung im Inlandsgeheimdienst FSB fand zudem erst kürzlich ein Führungswechsel statt, den die russische Investigativplattform The Insider für eine wesentliche Voraussetzung hält.

Scholz seinerseits sagte, es sei eine schwierige Entscheidung gewesen, letztlich habe jedoch die Solidarität mit dem strategischen Partner USA und die Sorge um unschuldig inhaftierte Personen überwogen. Gut möglich, dass Nawalnyjs Tod innerhalb der deutschen Regierung ausschlaggebend war, sich nicht zu sträuben, sondern sich stattdessen für Kara-Mursa stark zu machen. Dessen Gesundheitszustand nach zwei überstandenen Giftanschlägen (2015 und 2017) in Verbindung mit unmenschlichen Haftbedingungen bot Grund zur Annahme, dass sein Leben ernsthaft gefährdet war.

Die Prioritätensetzung – rechtsstaatliche Prinzipien versus Unversehrtheit unter fadenscheinigen Vorwänden festgenommener Menschen – ist fundamentaler Natur. Tatsächlich bleibt ein bitterer Beigeschmack zurück. Westliche Demokratien machen sich erpressbar, wenn sie sich auf von Russland vorgegebene Spielregeln einlassen und über rechtmäßige westliche Gerichtsentscheide hinwegsehen, um unrechtmäßig in Russland Inhaftierte zu retten. Es ist ein zynischer Deal und Putins Kalkül zur Rückholung wertvoller Kader kein Vorzeichen einer politischen Entspannung.

Der ausgetauschte politische Oppositionelle Ilja Jaschin merkte auf seiner ersten Pressekonferenz in Deutschland am Freitag voriger Woche an, dass ein autoritär regiertes Russland weitere politische Gefangene machen werde, so oder so. 

Der ausgetauschte politische Oppositionelle Ilja Jaschin merkte auf seiner ersten Pressekonferenz in Deutschland am Freitag voriger Woche an, dass ein autoritär regiertes Russland weitere politische Gefangene machen werde, so oder so. Viele Hundert sind weiterhin in Haft, ohne dass ihnen jemand eine politische Stimme gäbe und ohne jegliche Aussicht auf Freilassung. Jaschin und der ebenfalls befreite Dissident Andrej Piwowarow sagten am Samstag in einem Interview, dass sie über eine Rückkehr nach Russland nachdächten, aber ihren politischen Aktivismus auch aus dem Ausland fortsetzen wollten. »Ich habe mehrmals gesagt, dass ich nicht auf irgendwelchen Austauschlisten stehen möchte«, sagte Jaschin: »Die Kreml-Vertreter nahmen meinen Namen gerne auf, denn für sie bedeutet mein Austausch im Grunde eine Ausweisung.«

Ihr einstiger Mithäftling Kara-Mursa nutzte die wiedererlangte Freiheit für ein klares Statement bei einer vorhergehenden Pressekonferenz: Man müsse das russische Regime abstrafen, nicht die gesamte Bevölkerung, in der viele den Krieg ablehnen. Er hält den derzeitigen Kurs westlicher Staaten für kontraproduktiv. Ob, und vor allem bei wem er sich damit Gehör verschafft, ist unklar.