Der türkische Präsident Erdoğan droht Israel mit militärischer Einmischung

Große Klappe

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat Israel mit militärischer Einmischung gedroht. Allerdings spricht wenig dafür, dass hinter den Worten tatsächliche Absichten stehen.

Mit dieser Rede erregte Recep Tayyip Erdoğan international viel Aufsehen. Vor einem überschaubaren Kreis von Parteifunktionären seiner islamistischen AKP drohte der türkische Präsident in Rize am Schwarzen Meer am 28. Juli Israel: »So wie wir in Bergkarabach reingegangen sind, so wie wir in ­Libyen reingegangen sind, genauso werden wir es mit ihnen machen.« Immer wenn die Kamera über das Publikum streifte, sah man gelangweilte Gesichter. 

Spontaner Applaus war nicht zu hören. Die scharfe Antwort des israelischen Außenministers Israel Katz gaben die regierungstreuen türkischen Zeitungen und Fernsehkanäle allerdings nicht im Wortlaut an ihr Publikum weiter: »Erdoğan geht den gleichen Weg wie Saddam Hussein, wenn er Israel mit einem Angriff droht. Man sollte sich daran erinnern, was dann geschah und wie es endete.« 2003 führte ein Einmarsch von US-Truppen in den Irak zum Sturz des Diktators Saddam Hussein und drei Jahre später zu dessen Todesurteil und Hinrichtung wegen Massakern an Kurden und Schiiten.

»Völkermörder« Benjamin Netanyahu

Die Meldung lautete allenthalben so ähnlich wie bei der Agentur Anadolu: »Der israelische Außenminister Katz hat eine Erklärung abgegeben, die Verunglimpfungen und Beleidigungen gegen den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan enthielt.« Damit war dann alles gesagt.

Das türkische Außenminis­terium ließ es sich indessen doch nicht nehmen, mitzuteilen, dass den »Völkermörder« Benjamin Netanyahu, Israels Ministerpräsidenten, das gleiche Schicksal ereilen werde wie den »Völkermörder Hitler«. Die Erklärung kam aber nicht vom Außenminister Hakan Fidan persönlich und auch Erdoğan legte in den nächsten Tagen nicht nach – ein Zeichen, dass man in der Türkei den Konflikt an dieser Stelle nicht zu hoch hängen wollte. Ohnehin hatte Erdoğan vor allem zum heimischen Publikum gesprochen.

Mit Kritik an Israel kann Erdoğan in der Türkei nur offene Türen ein­­rennen. Die türkische Gesellschaft ist von links bis rechts, von laizistisch bis tief islamistisch antiisraelisch eingestellt.

Tatsächlich hatte er in Rize Israel nicht direkt mit Intervention gedroht. Er sprach zunächst von der Notwendigkeit, die Rüstungsindustrie zu stärken: »Wir müssen sehr stark werden, damit Israel Palästina nichts antun kann.« Danach kam erst der protzige Vergleich mit militärischen Erfolgen in der jüngeren Vergangenheit. Weder nach Bergkarabach noch nach Libyen hat Erdoğan größere Verbände der türkischen Armee geschickt. Im Dezember 2019 begann er, der hart bedrängten libyschen Regierung in Tripolis Drohnen zu liefern, die sehr wahrscheinlich auch von türkischen Spezialisten gesteuert wurden. Später kamen rund 5.000 syrische Söldner hinzu, die in Erdoğans Auftrag von der privaten türkischen Militärfirma Sadat angeworben wurden.

Die mit Waffen aus russischer Produktion ausgestattete Luftabwehr des Rebellengenerals Khalifa Haftar erwies sich als zu schwach gegen die Drohnen – seine Truppen wurden in kurzer Zeit von Tripolis weggedrängt. Kurz darauf kamen die türkischen Bayraktar-Drohnen ebenso wie syrische Söldner im Bergkarabach-Konflikt auf Seiten Aserbaidschans zum Einsatz.

Erdoğan und Netanyahu verstanden sich einst gut

Allerdings waren es nicht nur diese, sondern auch israelische Kamikaze-Drohnen, denen die armenischen Verteidiger von Bergkarabach nahezu hilflos gegenüberstanden. Israel unterstützte Aserbaidschan aus geostrategischen Gründen, um den Iran zu schwächen. Erdoğan und Netanyahu verstanden sich eine Zeitlang ausgezeichnet, obwohl der Palästina-Konflikt nicht ­ansatzweise gelöst war.

Den nächsten Großeinsatz erlebten die türkischen Drohnen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Die russische Armee war auf Drohnenangriffe kaum vorbereitet und erlitt herbe Verluste, konnte sich auf die neue Bedrohung aber bald einstellen. An die Stelle der relativ großen und auch teuren türkischen Drohnen sind in der Ukraine viele kleine und billige getreten, die sich in der Masse schwerer bekämpfen lassen.

Konfrontation mit den USA

Das heißt aber auch, dass Erdoğan in Israel nicht wie in Libyen und Bergkarabach eine überlegene Waffe gegen einen unvorbereiteten Gegner einsetzen könnte. Denn die israelische Armee hat einen sehr hohen technischen Standard und viel Erfahrung. Und nicht zuletzt würde sich Erdoğan eine Konfrontation mit den USA einhandeln. Der Erinnerung an Saddam Hussein hat es vermutlich gar nicht bedurft, aber sie hat sehr wohl gesessen.

Mit Kritik an Israel kann Erdoğan in der Türkei nur offene Türen einrennen. Die türkische Gesellschaft ist von links bis rechts, von laizistisch bis tief islamistisch antiisraelisch eingestellt. So nennt der Abgeordnete der sozialdemokratisch-kemalistischen Oppositionspartei CHP, Ali Mahir Başarır, den israelischen Feldzug im Gaza-Streifen ein »Massaker«. Die Angriffe auf die Palästinenser:innen seien »nicht provoziert«. Die Angriffe der Hamas am 7. Oktober auf Israel wurden in türkischen Medien sogleich mit höheren Opferzahlen auf palästinensischer Seite relativiert und im weiteren Fortgang schlicht verschwiegen.

Erbakan spricht nicht von Israel, sondern von »zionistischen Mördern«, und lässt keine antisemitische Verschwörungstheorie aus

An die Spitze der Kritik an Israel hat sich indessen Erdoğans ehemaliger Verbündeter Fatih Erbakan gestellt. Der Sohn von Erdoğans verstorbenem politischen Ziehvater, dem ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan, hat mit seiner Neuen Wohlfahrtspartei (YRP) aus der Millî-Görüş-Bewegung – sein Vater führte einst die Wohlfahrtspartei (RP), die 1998 wegen antilaizistischer Aktivitäten vom Verfassungsgericht verboten wurde – vor den türkischen Kommunalwahlen im März das Wahlbündnis mit der AKP verlassen und rund sechs Prozent der Stimmen geholt.

Das trug zum Verlust der AKP von über sieben Prozentpunkten im Vergleich zu 2019 bei und dazu, dass sie zum ersten Mal seit ihrer Gründung 2001 bei landesweiten Wahlen nicht auf dem ersten Platz landete, sondern die CHP. Eines der Hauptargumente Erbakans gegen Erdoğan ist seine zu lasche Haltung gegen Israel.

Erbakan spricht nicht von Israel, sondern von »zionistischen Mördern«, und lässt keine antisemitische Verschwörungstheorie aus, inklusive der Behauptung, jüdische Bankiers hätten Hitler finanziert, damit er Juden verfolge, um sie zu zwingen, nach Palästina auszuwandern. Auf den Wahrheitsgehalt kommt es bei einem wie ihm ­ohnehin nicht an, der auch schon behauptet hat, durch Covid-19-Impfungen könnten Kinder geboren werden, die halb Mensch und halb Affe seien.

Erdoğans Problem ist die Wirtschaftslage

Doch was Erdoğan Probleme bereitet, ist vor allem die Wirtschaftslage. Da so bald keine weiteren Wahlen anstehen, will er üppige Wahlgeschenke rückgängig machen. Der staatliche Erdgaslie­ferant Botaş hat die Preise für die Verbraucher um 38 Prozent erhöht, obwohl der Weltmarktpreis für Gas gefallen und der Wechselkurs der Lira ­derzeit gut wie lange nicht ist. Mit dem hohen Kurs will Finanzminister Mehmet Şimşek (AKP) die hohe Infla­tionsrate bekämpfen. Derweil klagen Exporteure und Tourismusindustrie über die erstarkte Lira.

Angesichts der trüben Wirtschafts­lage müsste Erdoğan eigentlich zumindest agitatorisch etwas bieten. Doch nachdem er am Anfang des Gaza-Kriegs rhetorisch sehr forsch vorgegangen war, wird ihm nun vorgehalten, das im Mai gegen Israel verhängte Handelsembargo sei löcherig. Es bleiben nur Gesten: Nach dem Anschlag auf den Hamas-Führer Ismail Haniya in Teheran Mitte vergangener Woche rief Erdoğan rasch einen Tag Staatstrauer aus, obwohl dazu nur das Parlament befugt ist.

In der von ihm 2020 zur Moschee umfunktionierten Kirche Hagia Sofia in Istanbul wurde für Haniya eine Begräbnisfeier in Abwesenheit der Leiche abgehalten. Zur Predigt bestieg Ali Erbaş die Kanzel, der von Erdoğan ernannte Leiter des Amts für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet), und hielt ein großes Schwert vor sich. Offenbar wollte er damit ausdrücken: »Wartet nur ab, wir sind noch zum Fürchten!« Das ist es auch, was Erdoğan in seiner Rede in Rize sagen wollte.