Die AKP-nahe Partei BIG macht Europawahlkampf gegen Israel

Wahlkampf mit Gaza

Die Kleinstpartei BIG gilt als der AKP nahestehend. Im Europawahl­kampf geht sie mit Propaganda gegen Israel auf Stimmenfang.

Am Römer, dem Frankfurter Rathaus, hängen Israel-Fahnen. Das gefällt dem Stadtverordneten Haluk Yıldız nicht. Er forderte im März, die Israel-Flaggen während des Ramadan zu beseitigen – »zum Zeichen des Friedens und der ­Toleranz«, so Yıldız bei einer Rede im Stadtrat. Israel begehe »Völkermord«, sagte er, und entfaltete schließlich am Podium eine Palästina-Flagge, während er rief: »Es lebe Palästina!«

Yıldız ist Unternehmensberater und politisch nicht nur auf kommunaler Ebene tätig, sondern auch Bundesvorsitzender und Europawahl-Spitzen­kandidat des Bündnisses für Innovation und Gerechtigkeit (BIG). Die Kleinstpartei wurde 2010 gegründet. Sie gilt als der türkischen Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) nahestehend, deren Gründer und Vorsitzender der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist.

Das BIG gibt sich gerne als Interessenvertreter von Migranten und redet von Toleranz und Diversität. Doch vor allem wenn die Parteivertreter Türkisch sprechen, werden andere Töne angeschlagen. Als zum Beispiel der Grünen-Politiker Belit Onay zum Oberbürgermeister von Hannover gewählt wurde, warf Yıldız ihm der Frankfurter Rundschau zufolge vor, dass er Propaganda für Homosexualität betreibe und dadurch Familienwerte zerstöre. Über Türken, die Onay wählten, sagte Yıldız demnach: »Entweder begnügt man sich damit, prinzipienlos zu sein. Oder man nimmt eine ehrenhafte Haltung ein, damit man dem Türkentum und dem Islam gerecht wird.«

Israel wird die Rolle der Nazi-Verbrecher zugewiesen, die – so kann man schließen – mit allen Mitteln bekämpft werden müssen.

Das BIG verfügt über neun Landesverbände. Die Partei behauptet auf ­ihrer Homepage, sie sei in vielen Stadt- und Gemeinderäten in Deutschland vertreten. Das ist ein wenig übertrieben: Es gibt mehr als 10.000 Städte und Gemeinden in der Republik, BIG-Kandidaten haben es gerade einmal in sieben Stadträte geschafft. In keinem der Räte hat die Partei mehr als einen Vertreter, größere Wahlerfolge sind also ausgeblieben. Yıldız bildet in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung eine Fraktion mit den beiden Verordneten der rechten Wählervereinigung Bürger für Frankfurt (BFF) – es braucht drei Sitze, um Fraktionsstärke zu erreichen, wodurch die beiden Parteien deutlich mehr öffentliche Mittel erhalten. Erdoğan-Unterstützer also traut vereint mit einem rechten deutschen Verein, der irgendwo zwischen CDU und AfD anzusiedeln ist.

Bei der Bundestagswahl 2013, der bisher letzten, an der das BIG teilnahm, erhielt sie 17.743 Stimmen (in den Statistiken taucht das als 0,0 Prozent auf). Die jüngste größere Wahl, bei der die Partei antrat, war die nordrhein-westfälische Landtagswahl 2022. Das Bundesland ist eine der »Hochburgen« der Partei, es reichte aber auch hier nur für 0,1 Prozent aller Zweitstimmen.

2016 kandidierte in Berlin Martin Lejeune für BIG 

Vorwiegend treten Kandidaten mit einem türkischen Hintergrund für das BIG an, doch gab es auch Ausnahmen. In Berlin kandidierte bei der Landtagswahl 2016 der damalige Erdoğan-Un­ter­stützer Martin Lejeune, ein Journalist, dem bereits 2014 wegen seiner distanzlosen Berichterstattung über die Hamas vorgeworfen wurde, ein »Hamas-Pressesprecher« zu sein.

Nun tritt das BIG für die Europawahl am 9. Juni an. Im Wahlkampf konzentriert sich die Partei voll und ganz auf den Krieg im Gaza-Streifen. Der mit arabischen Untertiteln versehene Wahlwerbespot der Partei beginnt mit Vi­deosequenzen, die den Krieg zeigen sollen. Spitzenkandidat Yıldız sagt: »Während wir hier Wahlkampf betreiben, leiden unschuldige Menschen unter einem brutalen Krieg.«

In Deutschland gedrehte Szenen zeigen Menschen, die mit Filzstiften die Namen ihrer Kinder auf deren Arme schreiben. Männer in Uniformen ergreifen auf einer Wiese in Frankfurt einen Mann. Yıldız fordert ein Ende der angeblich »uneingeschränkten Solidarität Deutschlands« mit dem Staat Israel, weil diesem dadurch »ermöglicht wird, die Existenz eines anderen Volkes auszulöschen«. Ein anderer Sprecher sagt, Deutschland dürfe nicht noch einmal auf der falschen Seite der Geschichte stehen: »Nie wieder ist jetzt.« Israel wird damit die Rolle der Nazi-Verbrecher zugewiesen, die – so kann man schließen – mit allen Mitteln bekämpft werden müssen.

Strafanzeige gegen die Bundesregierung

Der Spot lief im Fernsehen und ist – mit türkischen und mit arabischen Untertiteln – auf dem Youtube-Kanal der Partei zu sehen, wo sich allerdings kaum jemand für ihn zu interessieren scheint: Trotz fast 1.000 Abonnenten wurde er innerhalb eines Tages nur knapp über 30 Mal angeklickt.

Die Morde an Israelis vom 7. Oktober und die Tatsache, dass die Hamas den Krieg begonnen hatte, werden im Video so wenig erwähnt wie in einer Pressemitteilung von März, in der das BIG mitteilte, dass sie Strafanzeige gegen die Bundesregierung erstattet habe – wegen »des Verdachts auf Beihilfe zum Völkermord in Gaza«. Als Grund für die Anzeige führte das BIG deutsche Rüstungsexporte nach Israel im Wert von 326,5 Millionen Euro an, die zum Großteil nach Kriegsausbruch genehmigt worden seien. »Mit unserer Strafanzeige verfolgen wir das Ziel, dass die deutsche Unterstützung für den Völkermord in Gaza aufhört. Die deutsche ­Regierung darf nicht weiterhin Komplizin dieses Kriegsverbrechens bleiben. Sie muss rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden«, ließ sich Yıldız in der Mitteilung zitieren.

Gemeinsam mit drei sich als islamisch verstehenden Parteien aus Frankreich, Schweden und Spanien hat das BIG ein »Free Palestine«-Manifest verfasst.

Mitte Mai rief die Partei dann zur Teilnahme an einer »Kundgebung zur Nakba-Erinnerung und Solidarität mit Gaza« in Düsseldorf auf, die von der Palästinensischen Allianz NRW organisiert wurde. Ein passender Partner: Georges Rashmawi, der Veranstalter, hatte auf einer antiisraelischen Demonstration im Oktober in Dortmund dem Blog Ruhrbarone zufolge bei einer Rede gesagt: »Israel nutzt die Gunst der Stunde zur Endlösung der Palästinen­serfrage.«

Gemeinsam mit drei sich als islamisch verstehenden Parteien – der Union der demokratischen Muslime Frankreichs (UDMF), der schwedischen Partiet Nyans und dem spanischen ­Partido Andalusí – hat das BIG eine »Free Palestine Parteien-Allianz in Europa« gegründet und ein entsprechendes Manifest veröffentlicht. Auch in diesem spielen israelische Opfer, Antisemitismus und der Terror der Hamas keine Rolle.

Unterstützung für die antisemitische BDS-Kampagne

Den größten Teil des Manifests macht der Abschnitt »FAQ« aus. Die erste dieser »häufig gestellten Fragen« lautetet: »Verurteilen Sie den Angriff vom 7. Oktober?« Die Antwort: »Wir verurteilen alle Angriffe auf Zivilisten.« So geht es weiter: »Hat Israel das Recht, sich zu verteidigen? – Das Recht auf Vertei­digung wird dem Unterdrückten zugestanden, niemals dem Unterdrücker. Das Recht auf bewaffneten Widerstand gegen Besatzung und Kolonialisierung wird sogar vom internationalen Recht anerkannt.« Und drittens: »Hat der ­Angriff der Hamas die israelische Offensive provoziert? – Man kann nicht 2,5 Millionen Menschen unter erbärmlichen Bedingungen unter Blockade halten, ohne damit zu rechnen, dass es eine Reaktion geben wird.«

Gestoppt werden sollen die angebliche »Ausrottung und Vertreibung der Palästinenser«, »Blockaden und Mauern« sowie »Landraub, Besatzung und Apartheid«. Da man offenbar nicht ­daran glaubt, diese Ziele, sprich die Zerstörung Israels, in absehbarer Zeit erreichen zu können, baut die islamistische Parteienallianz bis dahin auf »Boykott, Desinvestition, Sanktionen« und unterstützt damit die antisemitische BDS-Kampagne.