Immer wieder treffen sich deutsche Politiker mit türkischen Rechtsextremen

Den Wölfen die Hände schütteln

Immer wieder treffen sich deutsche Politiker mit »Grauen Wölfen«. Das Hofieren des türkischen Rechtsextremismus hat hierzulande System.
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Das Bild, das den außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, beim Fastenbrechen Mitte April im Deutsch-Türkischen Freundschaftsverein im württembergischen Filderstadt zeigte, ist mittlerweile von seiner Facebook-Seite gelöscht. Man sah ihn dort gemeinsam mit Parteikolleg:innen und Vereinsmitgliedern. Im Hintergrund hing das Wappen der Föderation der Türkisch-­Demokratischen Idealistenvereine (ADÜTDF), des größten Dachverbands der in Deutschland agierenden Ülkücü-Bewegung.

Die türkisch-ultranationalistische Ülkücü-Bewegung (Idealistenbewegung), besser bekannt als Graue Wölfe (Bozkurtlar), wird in Deutschland von drei Dachverbänden mit insgesamt etwa 300 Vereinen vertreten: ADÜTDF, ATİB und ANF. Zusammen haben sie schätzungsweise an die 12.000 Mitglieder, der größte Dachverband ADÜTDF an die 7.000. Deshalb werden die Grauen Wölfe als größte rechtsextreme Gruppierung in Deutschland ­bezeichnet.

Viele Graue Wölfe fordern ein Großreich türkischer Völker, das weit über die heutige Türkei hinausreichen soll.

In Europa sind die Grauen Wölfe vor allem in Frankreich, Österreich und Deutschland aktiv. Im März machten türkische Nationalisten in Belgien in zwei Gemeinden Jagd auf Teil­neh­mer:in­nen von kurdischen Newroz-Feiern. Mehrere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Angreifer zeigten Symbole der Grauen Wölfe.

Das Weltbild der Grauen Wölfe ist antisemitisch, rassistisch, homophob und islamistisch. Im Zentrum steht die Vorstellung einer Überlegenheit des Türkentums, dessen vermeintliche Gegner herabgewürdigt und gehasst werden: Armenier:innen, Alevit:innen, Ara­mäer:innen, Assyrer:innen, Griech:innen, Jüd:innen, und Kur­d:in­nen.

Kein einmaliger Ausrutscher

Viele Graue Wölfe fordern ein Großreich türkischer Völker, das weit über die heutige Türkei hinausreichen soll. Die drei Halbmonde, die sie als Code verwenden, verweisen auf die drei Kontinente, über die sich das Osmanische Reich erstreckte, und sind ein Symbol für den territorialen Anspruch der Ülkücü-Bewegung. Zahlreiche politische Morde in der Türkei, aber auch in Deutschland werden Grauen Wölfen zugerechnet.

Mit solchen Leuten treffen sich hierzulande also SPD-Politiker. Und es handelt sich nicht um einen einmaligen Ausrutscher. Nachdem der eingangs erwähnte Skandal überstanden war, geriet derselbe SPD-Ortsverband erneut in die Kritik. Eine Recherche der Welt ergab, dass drei Personen aus dem Umfeld des zur ADÜTDF gehörenden Deutsch-Türkischen Freundschaftsvereins in Filderstadt bei den Kommunalwahlen für die SPD antreten. Alle drei Kandi­da­t:in­nen saßen beim Fastenbrechen mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Nils Schmid am selben Tisch.

Die Nähe zu den Grauen Wölfen ist kein Alleinstellungsmerkmal der SPD. In derselben Woche hatte sich in Mülheim an der Ruhr ­etwas Ähnliches abgespielt. Dort war der CDU-Oberbürgermeister Marc Buchholz zum Fastenbrechen zu Gast beim Mülheimer ­Verein ATİB. Die ATİB – die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V. – ist mit mindestens 2.500 Mitgliedern und rund 25 Ortsverbänden der zweitgrößte Dachverband der Grauen Wölfe.

Doppelte Strategie der Grauen Wölfe

Seit langem gibt es regelmäßig solche Berichte über Poli­ti­ker:in­nen verschiedener Parteien, die sich mit Vertretern der Ülkücü-­Bewegung zeigen. Die Grauen Wölfe können sich dadurch einen demokratischen Anstrich geben und ihren politischen Einfluss demonstrieren. Sie verfolgen eine doppelte Strategie. Durch Ausschreitungen wie zuletzt in Belgien zeigt die Bewegung ihre Präsenz und Gewaltbereitschaft. Gleichzeitig kandidieren sie für politische Ämter und treffen sich mit Vertretern verschiedener Parteien. Beides dient demselben Zweck: der Einschüchterung ihrer Gegner:innen. Auf diese wirken die Grauen Wölfe dadurch nahezu unangreifbar.

Wer denkt, dass man sich diesen Organisationen nähern muss, um sie zu einem Wandel zu bewegen, täuscht sich. Die Poli­ti­ker:in­nen, die sich ihnen anbiedern – ob im naiven Glauben, die jeweilige Organisation dadurch mäßigen zu können, ob aus Unkenntnis oder weil man dort Wählerpotential vermutet – machen sich schlicht und einfach zu Unterstützer:innen der Faschisten.

Am 18. November 2020 verabschiedete der Bundestag einen Prüfantrag für ein Verbot der Grauen Wölfe. Seitdem passierte nichts, die Verbotsprüfung läuft schon seit vier Jahren.

Seit Jahren fordern Vertreter der Minderheiten, die von den Grauen Wölfen am meisten zu befürchten haben, ein Verbot. In Frankreich ist die Bewegung seit 2020 verboten, Österreich hat ihre Symbole verboten. Am 18. November 2020 verabschiedete der Bundestag parteiübergreifend (mit Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen) einen Prüfantrag für ein Verbot der Grauen Wölfe; die Linkspartei hatte zuvor einen eigenen Verbotsantrag eingebracht. In dem Antrag wird die Bundesregierung außerdem aufgefordert, die Ülkücü-Bewegung konsequent zu bekämpfen und ihren Einfluss in Deutschland zurückzudrängen. Seitdem passierte nichts, die Verbotsprüfung läuft schon seit vier Jahren.

Seit dem diesjährigen Ramadan und den Besuchen deutscher ­Politiker bei den Grauen Wölfen werden die Forderungen nach einem Verbot wieder lauter – zuletzt vergangene Woche aus Anlass des Gedenktags für den Genozid an Armenier:innen, Aramäer:innen, Assyrer:innen und Ponthos-Griech:innen, der vor 109 Jahren begonnen hatte. Der Genozid wird vom türkischen Staat – und von den Grauen Wölfen – bis heute geleugnet.

Viel Resonanz fand dieser Gedenktag in der deutschen Öffentlichkeit nicht – auch um die Verbotsforderung ist es still geworden. An eben jenem Gedenktag traf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Ankara den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan. »Wir brauchen einander«, sagte Steinmeier dort. Den Genozid erwähnte er nicht.