Türkische Rechtsextreme in ­Deutschland bedrohen ihre Gegner

Hasspost vom Türkentum

Türkische Rechtsextreme bedrohen in Deutschland Kurden, Aramäer, Armenier, Linke und Kritiker der türkischen Regierungspolitik. Ein Verbot etwa der Grauen Wölfe ist hierzulande aber vorerst nicht zu erwarten.

Kakshar Oremar ging wochenlang nicht mehr aus dem Haus. Der in Düsseldorf lebende Journalist erhielt Morddrohungen. Der Grund: zwei Fotos. Im Dezember veröffentlichte eine türkische Boulevardzeitung ein Bild, das Oremar und Kasım Engin, ein Mitglied des Zentralkomitees der PKK, zeigt. Der Journalist hatte im Jahr 2014 den Nordirak besucht und dort Engin getroffen, der 2020 bei einem türkischen Luftangriff ums Leben kam. Zudem präsentierte die Zeitung ihren Lesern ein Foto, auf dem Oremar mit Selahattin Demirtaş, dem inhaftierten ehemaligen Co-Vorsitzenden der oppositionellen Halkların Demokratik Partisi (HDP), zu sehen ist. Die beiden hatten sich ebenfalls 2014 in Ankara getroffen. Die Zeitung wollte offenbar unterstellen, dass Demirtaş über Oremar Kontakte zur verbotenen PKK pflegt; Oremar ist ein iranischer Kurde, der 1997 aus dem Iran über die Türkei nach Deutschland floh.

Der Versuch der Zeitung, den türkischen Oppositionspolitiker zu diskreditieren, hat für Oremar gefährliche Auswirkungen. »Seit dem Artikel erhalte ich auf Facebook und über E-Mails Todesdrohungen«, sagte er kürzlich der Neuen Ruhr Zeitung. »Ich bin zu einer Zielscheibe für türkische Nationalisten geworden.« Da seine Adresse öffentlich zugänglich gewesen sei, habe ihn sein Anwalt vor möglichen Angriffen gewarnt.

Anfeindungen durch türkische Rechtsextreme sind für die Kurdische Gemeinde Deutschlands (KGD) an der Tagesordnung.

Nicht nur für Oremar besteht diese Gefahr. »Grundsätzlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich emotionalisierte Anhänger der türkischen Regierung beziehungsweise türkische Nationalisten berufen fühlen, gegen Oppositionelle vorzugehen und dabei auch Gewalt anzuwenden«, antwortete die nordrhein-westfälische Landesregierung im November 2020 auf Anfrage des Landtagsabgeordneten Serdar Yüksel (SPD). Es lägen aber derzeit keine belastbaren Erkenntnisse vor, nach denen der türkische Geheimdienst Millî İstihbarat Teşkilâtı (MİT) in Nordrhein-Westfalen unter Einsatz von Gewalt gegen türkeistämmige Oppositionelle vorgehe. Diese spähe der Dienst jedoch aus. Ziele seien dabei Mitglieder der PKK, der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) und der islamistischen Gülen-Bewegung.

Im Dezember beantwortete die Bundesregierung eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion unter anderem zu möglichen Erkenntnissen »über Ak­tivitäten auf deutschem Staatsgebiet, die vom MİT oder anderen türkischen staatlichen Stellen ausgeübt werden, um Personen (ins­besondere Kritiker und Oppositionelle) und türkeikritische Organisationen in Deutschland auszuspähen, einzuschüchtern oder anderweitig im Sinne türkischer staatlicher Interessen zu beeinflussen«. Die Bundesregierung berichtete von intensivierten »Spionageak­tivitäten in Deutschland seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016«, deren Ziel Mitglieder der PKK, der Gülen-Bewegung und Kritiker der türkischen Regierung seien. Die Frage der FDP-Bundestagsfraktion, über welche Erkenntnisse die Bundesregierung über eine Zu­sammenarbeit des türkischen Geheimdienstes etwa mit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), der ­Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş und der rechtsextremen ­Ülkücüler-Bewegung, besser bekannt als Graue Wölfe, verfüge, ließ diese »nach sorgfältiger Abwägung aus Gründen des Staatswohls« unbeantwortet.

Anfeindungen sind für die Kurdische Gemeinde Deutschlands (KGD) an der Tagesordnung. »Wir erhalten nahezu täglich Drohungen aus dem Bereich des türkischen Nationalismus in Form von Mail-Zuschriften oder Postings auf unseren Social-Media-Seiten«, sagte der Generalsekretär der KGD, Cahit Başar, im Gespräch mit der Jungle World. ­Neben der Titulierung als »Armenier, Juden und Schweinefleischfresser« seien häufig konkrete Drohungen üblich wie »Wir bringen euch um« oder »Ich habe dich bei den türkischen Sicherheitsbehörden gemeldet, damit du nicht mehr in die Türkei einreisen kannst«. Verleumdungen als »PKK-Terroristen« gehören Başar zufolge zum Alltag. Häufig endeten die Drohungen mit Slogans wie »Es lebe die Türkei und das Türkentum« oder »Wie glücklich ist der, der sich Türke nennen darf«.

Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (»Die Linke«) berichtet ebenfalls von nahezu täglichen Drohungen vor allem über ihre Social-Media-Ka­näle. »Beispielsweise erhielt ich Morddrohungen von einem Instagram-­Account mit einem Profilbild des gesuchten Mörders Mahmut Yıldırım, der auch als ›Yeşil‹ bekannt ist«, sagte sie der Jungle World. Der Name des ­Accounts und das Profilbild sollen auf einen Agenten des inoffiziellen Geheimdienstes der türkischen Gendarmerie, die direkt dem Innenministerium unterstellt ist, anspielen, dem mehrere politisch motivierte Morde an Oppositionellen in der Türkei zur Last gelegt werden. Neben Akbulut erhielten auch die österreichische Politikerin Berîvan Aslan (Grüne), die Co-Vorsitzende der Fraktion der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir, und der christ­liche Theologe Sami Grigo Baydar vom sozialistischen »Volksrat der Aramäer« diese Drohung.

In einer im Dezember verfassten Stellungnahme teilten Aslan, Özdemir, Baydar, Akbulut und weitere Unterzeichner mit, sie ließen sich nicht mundtot machen. »Ganz im Gegenteil, für uns heißt es nur noch mehr: Weiterkämpfen gegen Nationalismus und Faschismus«, schrieben sie.

Für Akbulut ist es ein wichtiges Ziel, das Verbot der rechtsextremen Grauen Wölfe durchzusetzen. »Es ist schon längst überfällig, deren Hetze gegen Aleviten, Kurden, Armenier, Aramäer, Griechen, Juden und ganz grundsätzlich Andersdenkende zu bekämpfen«, sagte die Politikerin der Jungle World. Die Linkspartei dringe schon seit Jahren auf das Verbot.

Auch Cahit Başar von der Kurdischen Gemeinde plädiert für einen solchen Schritt, da die Grauen Wölfe sich nach seiner Ansicht »mit ihren Feindbildern wie USA, Israel, Juden, Kurden, Armenier, Nichtmuslime, Homosexuelle, Gewerkschafter, Linke und Demokraten gegen den Grundsatz einer toleranten und pluralistischen Gesellschaft« richten. Er fordert, die zahlreichen Moscheevereine im gesamten Bundesgebiet zu verbieten, in denen sich die Grauen Wölfe betätigten, ebenso wie Sportvereine, die der rechtsextremen Bewegung nahestehen. Diese seien unter anderem daran zu erkennen, dass sie im Vereinswappen drei Halbmonde vor blauem oder grünem Hintergrund nutzten, einst Fahne des osmanischen Reichs und heute Symbol neoosmanischer türkisch-islamischer Hegemonieansprüche.

Nach Auffassung der Bundestags­abgeordneten Akbulut sollten in erster Linie die Föderation der Türkisch-­Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF), die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib) und der Verband der türkischen Kulturvereine in Europa (ATB) verboten werden, drei Dachverbände, die den Grauen Wölfen zugerechnet werden. Darüber hinaus ist es aus Akbuluts Sicht wichtig, »gegen die verbandlich in der Türkei organisierten Grauen Wölfe ein Betätigungsverbot in Deutschland zu erlassen, um das Werben um Mitglieder oder Un­terstützer in Deutschland zu unterbinden«. Gerade das Rekrutierungs- und Finanzierungsnetzwerk der Grauen Wölfe müsse »in Deutschland konsequent und lückenlos zerschlagen werden«.

Jedoch ist hierzulande ein Verbot der Grauen Wölfe derzeit nicht zu erwarten – während sie in Frankreich seit November verboten sind (Jungle World 50/2020). Zwar wurde im November ein fraktionsübergreifender Antrag auf ein Verbot der Ülkücüler-Bewegung im Bundestag diskutiert. Doch wie das ARD-Hauptstadtstudio im Dezember unter Berufung auf »Sicherheitskreise« berichtete, sind die rechtlichen Hürden für eine solche Maßnahme zu hoch, da es sich bei den Grauen Wölfen nicht um eine klar strukturierte Or­ganisation handele, sondern um eine Bewegung mit verschiedenen Dach­verbänden und etwa 200 einzelnen Vereinen.

So können sich die Grauen Wölfe in Deutschland vorerst weiter betätigen. Köksal Kuş, Berichten der »Tagesschau« und der türkischen Zeitung Avrupa Türk Gazetesi zufolge jahrelang in der ADÜTDF organisiert, stieg vergangene Woche zum Vorsitzenden der Union Internationaler Demokraten (UID) auf, einer Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland.