Ben Gidley, Soziologe, im Gespräch über den tiefsitzenden Antizionismus der britischen Linken

»Kritik am Antizionismus aus der Linken gibt es kaum«

Der Krieg im Gaza-Streifen hat in Großbritannien zu großen Protesten gegen Israel geführt. Auch an Universitäten fühlen sich viel jüdische Personen unsicher, sagt der Londoner Soziologe Ben Gidley, der die Weigerung der Linken kritisiert, Antisemitismus zu erkennen und ernst zu nehmen.
Interview Von

Seit dem Beginn des Kriegs in Gaza gab es an Universitäten in aller Welt Proteste gegen Israel. Wie ist die Lage in Großbritannien?
Viele jüdisch Studierende und Angestellte an britischen Universitäten fühlen sich unter Druck gesetzt, und das schon seit ein oder zwei Jahrzehnten. Sie haben das Gefühl, dass die akademische Welt für sie zu einer feindseligen Umgebung geworden ist. Die Debatte über den Israel-Palästina-Konflikt ist derzeit extrem aufgeheizt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kollegen oder Kommilitonen zum Beispiel die Hamas als Widerstandskämpfer feiern oder es ablehnen, die Hamas zu kritisieren.
Andererseits haben bestimmte Maßnahmen und Erklärungen der Uni­versitätsleitungen eine abschreckende Wirkung auf Proteste und kritische Äußerungen. Die Universitäten folgen dabei in gewissem Sinne den Vorgaben der britischen Regierung. Diese hat, was Redefreiheit an den Universitäten angeht, eine widersprüchliche Position: Sie hat im vergangenen Jahr einen Verantwortlichen ernannt, der die akademische Freiheit vor einer vermeint­lichen Bedrohung durch die »Woke-Ideologie« schützen soll. Gleichzeitig hat sie darauf hingewirkt, dass britische Universitäten die IHRA-Definition für Antisemitismus unterschreiben, und nachdrücklich signalisiert, dass diese bei Antisemitismus eine Null-Toleranz-Politik verfolgen sollen. Meiner Meinung nach sind die Grenzen jedoch unklar, und es gab Fälle, bei denen Universitäten zu weit gingen oder Aktivitäten von Studierenden oder Angestellten sanktionierten, die vom Recht auf freie Meinungsäußerung hätten geschützt werden müssen.

»Viele suchen nach einfachen Erklärungen und konkreten Unter­drückern und Ausbeutern, mithin nach versteckten Netzwerken.«

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