EIn Gespräch mit David Baddiel über sein Buch »Und die Juden?«

»Antisemitismus zur Nebensache degradiert«

Der britische Komiker und Autor David Baddiel erklärt, warum Juden in den Debatten über Diskriminierung gar nicht mehr vorkommen und warum Comedy eine ziemlich ernste Angelegenheit geworden ist.
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Sie touren gerade mit Ihrer neuen Show »Trolls: Not the Dolls«. Worum geht es da?

Es ist eine Show über soziale Medien, speziell über die Wut und die Verrücktheit, die mir dort begegnen. Es geht vor allem um Witze und die ex­tremen Reaktionen, die sie hervorrufen. Ich sehe das als Bedrohung für die Comedy. Es ist schwierig geworden, Witze über ernste Themen zu machen. Lachen kann jedoch eine Reihe von verschiedenen Dingen bedeuten, es resultiert keinesfalls immer nur aus Spott. Es gibt Leute, die nicht lachen. Ihr erster Reflex besteht vielmehr darin, einen Witz zum Anlass zu nehmen, um wütend zu werden. Sie müssen die Zugehörigkeit zu ­ihren tribes beweisen. Im Prinzip ist es eine gute Sache, dass sich alle Stimmen Gehör verschaffen können. Aber auch in den sozialen Medien funktioniert das am besten, indem man schreit. Meine Show ist der Versuch, dieses Geschrei zu durch­dringen.

Wo liegen für Sie die Grenzen des Humors? Gibt es Themen, die für Sie tabu sind?

So einfach kann man es sich nicht machen. Es geht darum, wie der einzelne Witz funktioniert. In meiner Show mache ich eine Reihe von ­Witzen über den Holocaust. Mal ist es ein Witz, der ganz harmlos ist; mal ist der Humor tiefgründiger, aber immer sollte er sich von gemeinen und beleidigenden Witzen über den Holocaust unterscheiden.

Sie sind derzeit auch auf Lesebühnen unterwegs, um Ihr jüngstes Buch »Und die Juden?« vor­zustellen. Eine ungewohnt ernste Rolle?

In Großbritannien habe ich ohnehin diese Doppelrolle: Manche sehen mich als Komiker, andere als politischen Kommentator. Außerdem schreibe ich Kinderbücher, Romane, Theaterstücke und arbeite journa­listisch. Ich erkenne nicht wirklich eine Grenze zwischen beiden Pro­fessionen. Meine Bekanntheit als Komiker hat es mir ermöglicht, öffentlich auch über andere Dinge zu sprechen. Zwar fragen sich einige Leute dann, warum ich plötzlich über ernste Themen rede, aber im Grunde genommen ist auch Comedy eine ziemlich ernste Angelegenheit. »Jews Don’t Count« habe ich während der Pandemie geschrieben. Das Buch selbst ist eine Polemik, es enthält aber auch zahlreiche Witze. Es ist im Plauderton gehalten und lustig, zugleich aber auch analytisch. Ich habe einen literaturwissenschaftlichen Hintergrund und nähere mich meinen Quellen, Posts in sozialen Medien, der Tagespresse, aber auch Romanen mit den Methoden der Textkritik.

Sie nennen Ihr Buch eine politische Enthüllung. Was wird da enthüllt?

Es geht darum aufzuzeigen, wie die antirassistische und die identitäts­politische Linke den Antisemitismus zu einer Art Nebensache degradiert hat. Ich beobachte in diesem Milieu eine Vernachlässigung der jüdischen Minderheit, während man bei allen anderen Formen von Diskriminierung ziemlich unnachgiebig ist. Über den deutschen Kontext weiß ich ­relativ wenig. Ich habe mich eingelesen und mich ansonsten auf die Einschätzung meines Verlegers verlassen, dass in der deutschen identitäts­politischen Linken eine ähnliche Problematik existiert wie in der britischen. Ich habe mir auch sagen lassen, dass es in Deutschland einen stark ritualisierten Umgang mit dem Thema gebe, eine Art Lippenbekenntnis gegen Antisemitismus.

Das Buch ist eine scharfe Analyse des antisemitischen Ressentiments in den sozialen Medien, im politischen Diskurs und in der Literatur. Es ist auch Ausdruck ­einer politischen Enttäuschung. Wann hat diese eingesetzt?

Ich bin mir der Problematik schon länger bewusst. Es begann in den nuller Jahren, als ich für den Independent einen Artikel über den Besuch eines Fußballspiels schrieb, bei dem ich hörte, wie Zuschauer den Spielern von Tottenham Hotspur das Wort »Yiddo« zuriefen. Mir wurde klar, dass ein sofortiges Eingreifen der Ordner sowie Stadionverbote die Folge gewesen wären, wenn eine andere Minderheit an einem öffentlichen Ort derart beschimpft worden wäre. Die Progressiven haben aber kein Problem damit, und damit meine ich nicht exklusiv die Linke, sondern im allgemeinen Leute, die fortschrittlichen Ideen von Gleichheit und Modernität anhängen. Jemand wie der ehemalige Premierminister ­David Cameron, der in Großbritannien beispielsweise die Homoehe eingeführt hat, benutzt mir gegenüber das Wort« Yiddo«, ohne ein ­Gefühl dafür zu haben, dass das problematisch sein könnte.

»Es gibt Leute, die nicht lachen. Ihr erster Reflex besteht vielmehr darin, einen Witz zum Anlass zu nehmen, um wütend zu werden.«

Hinzu kam die Erfahrung mit der britischen Labour Party in den Jahren 2015 bis 2019. Antisemitismus war auf den Titelseiten der britischen Tageszeitungen präsent. Das war schon außergewöhnlich, ich hatte so etwas noch nie erlebt. Es hat aber die relativ unpolitische britische jüdische Community zum ersten Mal mobilisiert. Dass die Linke rassistisch oder antisemitisch wurde, war etwas, das die Leute nicht verstanden haben. Ihnen die Augen zu öffnen, ist mir zum Teil gelungen.

Sie fragen im Buch danach, wann die Gleichgültigkeit des progressiven Milieus gegenüber jüdischen Befindlichkeiten in Antisemitismus umschlägt. Wie lautet Ihre Antwort?

Ich habe versucht, die unausgesprochenen Annahmen hinter der Rede über die Juden zu ergründen und tieferliegende Strukturen des gegenwärtigen Antisemitismus aufzudecken. Eine Episode in meinem Buch handelt von einem Wandbild des US-amerikanischen Street Artist Mear One. Dieses zeigte im Stil einer anti­semitischen Karikatur eine Gruppe kapitalistischer Banker, die auf den Rücken der Armen Monopoly spielen; es wurde nach Protesten jüdischer Anwohner entfernt. Jeremy Corbyn (Vorsitzender der britischen Labour Party 2015 bis 2020, Anm. d. Red.) hat das Bild verteidigt, er sieht den ­Antikapitalismus darin und übersieht den Antisemitismus.

Ihr Buch ist im Februar in Großbritannien erschienen. Wie wurde es dort aufgenommen?

Wegen der Pandemie habe ich gerade erst wieder begonnen, Lesungen abzuhalten. Ohne zu optimistisch sein zu wollen, würde ich doch behaupten, dass das Blatt sich allmählich wendet; die Debatte über Antisemitismus verändert sich. Ich werde jetzt zu Podiumsdiskussionen über Rassismus oder Vielfalt eingeladen. Es ist allerdings überhaupt nicht mein Wunsch, zum Repräsentanten der jüdischen Community zu werden, denn ich bin nun mal kein Aktivist. Wenn man bedenkt, wie verfestigt die Meinungen der Leute in den Echokammern der sozialen Medien inzwischen sind, ist es aber schon erstaunlich, wenn mir einige Leser ­sagen, dass sie nach der Lektüre meines Buches eine andere Sichtweise einnehmen können.

Nach einer Lesung kam ein Mann zu mir und sagte, er gehöre zur ­Arbeiterklasse, sei links und wähle Labour. Er habe sich das Buch gekauft und gedacht, nichts von alldem, was ich kritisiere, träfe auf ihn zu. Während der Lektüre sei ihm aber klar geworden, dass er genau so schon immer über Juden gedacht hatte. Leute erzählen mir also, ihnen war nicht bewusst, dass das Stereotyp des reichen Juden antisemitisch sein könnte. Sie ignorieren schlichtweg die Tatsache, dass dieser Glaube in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass von Juden bewohnte Häuser niedergebrannt wurden.

Kann der Antisemitismus mit denselben Mitteln wie der Rassismus bekämpft werden? Oder muss dem Antisemitismus als Weltanschauung auf andere Art begegnet werden? Strategien wie Repräsentation und Antidiskriminierungsrichtlinien lassen sich nicht eins zu eins auf die Bekämpfung von Judenhass anwenden.

Rassismus ist auch nicht gleich Rassismus, und natürlich hat der anti­semitische Rassismus seine eigenen Charakteristika. Dazu gehört die ­Abwertung von Juden als Ungeziefer und die gleichzeitige Projektionen ihrer Allmacht. Aber der Fokus meines Buchs liegt nicht auf dem Verhältnis zwischen Antisemitismus und Rassismus, sondern auf der Sonderstellung des Antisemitismus im Kontext von Identitätspolitik. Es geht darum, welche Position auf dem Tableau von Identitäten und Minderheiten, deren Bedürfnisse und Wohlergehen eine besorgte Linke so sehr umtreiben, den Juden zugewiesen worden ist.

Der Titel der deutschen Übersetzung, »Und die Juden?«, lässt ­offen, worum es in Ihrem Buch geht, zumal auch der Untertitel der englischen Originalausgabe, »How Identity Politics Failed One Identity«, fehlt.

Ich stimme zu, dass der deutsche Titel meines Buchs etwas unglücklich ­gewählt ist. Der englische Titel hat wirklich gut funktioniert. »Jews Don’t Count« ist zu einem Hashtag auf Twitter geworden, der mittlerweile bei fast jeder Diskussion über Antisemitismus benutzt wird, zum Beispiel nach der jüngsten Show von Dave Chappelle.

Der afroamerikanische Komiker hatte in seiner Netflix-Show »The Closer« Transfrauen mit der rassistischen Praxis des Blackfacing in Verbindung gebracht.

Chappelle hat allerdings auch einen antisemitischen Witz über »Space Jews« gemacht, der aber nur wenigen aufgefallen ist. Deshalb haben Leute #JewsDon’tCount gepostet. Für den deutschen Titel habe ich darauf vertraut, dass der Hanser-Verlag es richtig einschätzt. Dort hielt man vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Geschichte eine direkte Übersetzung für problematisch. Aber ich muss zugeben, mit meinen britischen Freunden darüber gescherzt zu haben, dass der deutsche Titel wie etwas klingt, das am Ende eines britischen Kriegsfilms bei einem Treffen hochrangiger Nazis gesagt werden könnte: »Und die Juden?«

Was mich allerdings wirklich beunruhigt, ist die Tatsache, dass Hanser vermutete, die Ironie des Titels könnte nicht verstanden werden. Es ist ein ironischer Titel. Es ist doch kein Manifest, das erklärt, warum Juden nicht zählen sollten. Natürlich lassen sich nicht alle Titel gut wörtlich übersetzen, aber: trust irony!

Welches Publikum möchten Sie ansprechen?

Das Buch richtet sich nicht in erster Linie an Juden und Jüdinnen, sondern an nichtjüdische Linke. Aber es enthält eine unterschwellige Kritik, die sich an jüdische Leser und Leserinnen richtet. Zumindest in Großbritannien neigt die jüdische Minderheit dazu, ihre Identität nicht zu sehr zu politisieren, um sich auf eine sehr britische Art und Weise bloß nicht auf Streitigkeiten einzulassen. Für mich ist das Teil des Problems: die Weigerung der Juden zu sagen, dass sie eine Minderheit sind, dass sie unter Diskriminierungen leiden, dass sie Angst haben. Das unterscheidet sie von anderen Minderheiten, die aus dieser Erfahrung ihr Empowerment und Selbstbewusstsein ziehen. In der kleinen, aber lebendigen britisch-jüdischen Community von etwa 300 000 Menschen wurde das Buch recht breit diskutiert. Ich bin gespannt, wie es in Deutschland, mit seiner noch kleineren jüdischen Bevölkerung, ankommen wird.

Obgleich die Boykottbewegung BDS in Großbritannien sehr einflussreich ist, haben Sie dem Thema des Antizionismus wenig Raum gegeben. Warum?

Ich habe die bewusste Entscheidung getroffen, dass ich mich nicht damit aufhalten werde, allzu viel über Israel zu schreiben. In der US-amerikanischen Ausgabe habe ich ein kurzes Kapitel dazu eingefügt, auch weil es während des jüngsten Gaza-Kriegs geschrieben wurde. Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob das eine richtige Entscheidung war. Aber auch die Kürze des Kapitels über Israel ist als politische Geste zu verstehen: dass ich als Jude, der über die Komplexität seiner Identität spricht, nicht meine Position zu Israel darlegen muss. Denn allein die Annahme, dass ich dies tun müsste, ist antisemitisch.

Sie kommentieren auf Twitter auch das politische Tagesgeschehen. Was bedeutet der britische EU-Austritt im Hinblick auf den Antisemitismus?

Der »Brexit« bringt die britische Insellage zurück und das kann für keine Minderheit gut sein. Antisemitismus ist eine Art Archetyp des Rassismus – der Kanarienvogel in der Kohlenmine. Es gibt Diskriminierungen und Ungleichheitsvorstellungen, die offensicht­licher, moderner oder zeitgemäßer erscheinen. Der Antisemitismus ist eine sehr alte Form des Rassismus, der immer wieder hervorbricht, wenn sich die Bevölkerung in irgendeiner Form bedroht fühlt. Das Gefühl schwindender Souveränität und der Populismus gehen immer mit der Frage einher, wer für die reale oder vermeintliche Instabilität verantwortlich ist. Eine Sprache des Verrats und des Misstrauens breitet sich aus, vor allem in der rechten Presse. Auch wenn sie sich nicht explizit gegen Juden richtet, lässt diese Form des Sprechens bei mir die Alarmglocken läuten.

David Baddiel: Und die Juden? Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Hanser-Verlag, München 2021, 136 Seiten, 18 Euro

 

David Baddiel wurde 1964 in der US-amerikanischen Stadt Troy, New York, geboren. Er lebt mit seiner Familie in London und arbeitet als Komiker, Fernsehdarsteller und Autor. Baddiel nennt sich selbst einen »fundamentalistischen jüdischen Atheisten« und ist Fan des Chelsea Football Club. Bekannt wurde er durch die Comedy-Show »Fantasy Football League«, die über sechs Millionen Zuschauer erreichte. Für seine Comedysendungen im Radio und im Fernsehen wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Seine Romane und Kinderbücher sind Bestseller, auf Twitter-Account hat er fast 780 000 Follower. 2009 war er einer der Autoren eines offenen Briefs an die iranische Regierung, der gegen die Verfolgung der Bahai protestierte. »Jews Don’t Count« (2021) ist sein erstes Sachbuch und soeben unter dem Titel »Und die Juden?« auf Deutsch erschienen.