Nils Zurawski, Fachbereich Sozialwissenschaften der Uni Hamburg, im Gespräch über die Einstellung des Studiengangs Internationale Kriminologie

»Es hat die Kriminologie getroffen«

Nach langer Diskussion entschied der Fakultätsrat des Fachbereichs Sozial- und Wirtschaftswissenschaft an der Uni Hamburg im Juli, den Studiengang Internationale Kriminologie bis 2028 zu schließen. Der renommierte Master-Studiengang ermöglichte fächerübergreifende sozialwissenschaftliche Kriminalitätsforschung.
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Gegen die geplante Abschaffung hatten die Herausgeber:innen der einzigen deutschsprachigen kritisch-kriminologischen Fachzeitschrift, des Kriminologischen Journals (KrimJ), öffentlich protestiert. Eine Stellungnahme der kriminologischen Fachöffentlichkeit gegen die Schließung mit 362 Unterschriften kritisiert: Sollte es bei der Entscheidung bleiben, gäbe die Uni »einen auf diesem Gebiet in Deutschland einmaligen Studiengang auf und ließe damit ein ganzes Feld kritischer Forschung und Ausbildung ins Leere laufen«. Die Jungle World sprach mit Nils ­Zurawski vom Fachbereich Sozialwissenschaften der Uni Hamburg, einem der Initiatoren der Unter­schriftenaktion.

Warum wird der Studiengang Internationale Kriminologie an der Hamburger Universität jetzt geschlossen?
Soweit ich weiß, weil die Profs, die noch lehren, nicht ausreichen, um einen Studiengang aufrechtzuerhalten. Es fehlt Geld für Neubesetzungen. Die Mittel sind knapp, daher musste man in der Fakultät Sozialwissenschaften Entscheidungen treffen, es hat die Kriminologie getroffen.

Wo werden denn dann an der Uni Hamburg Polizeigewalt und die Kriminalisierung abweichenden Sozialverhaltens hinterfragt?
Salopp gesagt: immer da, wo sich jemand dafür interessiert. Das kann in der Rechtswissenschaft sein, in der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Journalistik, der Psychologie. Es gäbe, sofern Interesse besteht, multiple Perspektiven für das Thema. Die Frage ist irritierend, da sie annimmt, dass Kriminologie diese beiden Inhalte als Schwerpunkt hat. Man kann kritische Kriminologie auch ohne diesen Fokus machen.
Auch in der Vergangenheit waren das nicht unbedingt die drängenden Themen vieler Lehrender – Themen waren aber unter anderem Drogen, Sicherheit, Biometrie und Überwachung. Die Studierenden haben sich nicht zuletzt aus politisch-aktivistischen Erwägungen mit Polizeigewalt beschäftigen wollen – das war gut. Dennoch ist die kritische Kriminologie keine Polizeiwissenschaft per se, sondern theoretisch breiter aufgestellt und sollte das auch sein.
Außerdem besteht die Professur für Kriminologie ja weiter, Christine Hentschel ist weiter Professorin in Hamburg und kümmert sich um kriminologische Fragen, halt mit ihren Interessen und Schwerpunkten. Ich bin mir sicher, dass sie Studierende betreuen kann, die an solchen Themen Interesse haben.

Aber richtet sich der weiterbestehende Studiengang Kriminologie nicht an Berufstätige?
Ja, schwerpunktmäßig. Der Weiterbildungs-Master ist ein normaler Master in Kriminologie, wobei die kritische Kriminologie als Ansatz einen breiten Raum einnimmt. Das Curriculum ist ein vollwertiges Kriminologiestudium, es ist nicht auf die kriminalistische Praxis ausgerichtet, sondern versteht sich als Reflexion dieser. Dass die Leute aus selbiger kommen, ist nachvollziehbar, sie bilden sich ja weiter, aber eben auf eine kritische, reflexive, besondere Art.

Warum hatten die Proteste zum Erhalt des Studiengangs keinen Erfolg?
Darauf habe ich keine Antwort. Soweit ich weiß, haben die Proteste und Unterschriftenlisten Eindruck gemacht, die Entscheidung verzögert, aber das war es auch schon.