In der Linkspartei organisieren sich Gegner des Wagenknecht-Lagers

Die Ritter der Tafelrunde

Der parteiinterne Zusammenschluss »Progressive Linke« wirft dem Parteivorstand vor, die Diskussion über eine einheitliche Linie der Linkspartei zu verschleppen, und hält das Wagenknecht-Lager für eine laute Minderheit.

Während Sahra Wagenknecht sich in der vergangenen Woche über gleich mehrere medienwirksame Auftritt freuen konnte – sie trat als Rednerin bei der von ihr und Alice Schwarzer initiierten selbsternannten Friedensdemonstration auf sowie in den Talkshows »Hart aber fair« und »Markus Lanz« –, geraten ihre Kritiker:innen in der Linkspartei zusehends aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Dabei hatte sich erst im Dezember 2022 das flügelübergreifende und dezidiert gegen das Wagenknecht-Lager gerichtete Netzwerk »Progressive Linke« in Berlin gegründet, um die Krise der Partei, wie es in der sogenannten Berliner Erklärung der Gruppierung heißt, »zu überwinden« (Auf die Spaltung vorbereitet: Das Vernetzungstreffen der Gruppe »Progressive Linke«, Jungle World 49/2022).

Die Gruppe gehören unter anderem die Berliner Abgeordnete Elke Breitenbach, der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin, die Bundestagsabgeordneten Caren Lay, Cornelia Möhring und Martina Renner sowie die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel an. Die »progressiven Linken« verfolgten das Ziel, »lange überfällige Auseinandersetzungen in die Wege zu leiten«, so Elke Breitenbach zur Jungle World. Man wünsche sich, wie Cornelia Möhring auf dem Treffen in Berlin sagte, eine »andere Debattenkultur« in der Partei.

Damit meinen die »progressiven Linken« Diskussionen darüber, ob man sich als Partei für offene Grenzen einsetzen möchte, wie man sich zu antirassistischen, feministischen und genderpolitischen Forderungen verhält, wie die Linkspartei zur EU steht und welche Haltung man zum russischen Einmarsch in die Ukraine und zu Waffenlieferungen einnimmt. All diese Fragen sind innerparteilich umstritten.

»Letztes Jahr wurde der Partei­vorstand beauftragt, eine programma­­tische Weiter­entwicklung der Partei in die Wege zu leiten, das ist bis heute nicht geschehen.« Elke Breitenbach (MdB, Die Linke)

Obwohl Wagenknecht alle diese Themen zu besetzen versucht, wollen viele »progressive Linke« ihren Vorstoß nicht nur als Frage, die die Person Wagenknecht betrifft, verstanden wissen. »Es geht darum, dass wir über Jahre hinweg strukturell zu wenig miteinander debattiert haben«, sagte die sächsische Landtagsabgeordnete und Bundessprecherin des Forums Demokratischer Sozialismus, Luise Neuhaus-Wartenberg, zur Jungle World, die ebenfalls eine Unterzeichnerin des Aufrufs ist. Andere, wie Juliane Nagel, werden konkreter. Sie sagte der Jungle World: »Die Progressive Linke hat die Kritik an Sahra Wagenknecht, Sevim Dağdelen, Klaus Ernst und ihrer Entourage gebündelt und fundiert.«

Der Landesvorsitzende der Linkspartei in Bremen, Christoph Spehr, der die Berliner Erklärung nicht unterzeichnet hat, aber trotzdem bei dem Treffen in Berlin anwesend war, sagte der Jungle World, es sei wichtig, »eine Art DKP-isierung« (Abbruchunternehmen: Der Wagenknecht-Flügel der Linkspartei umgarnt die Kleinstpartei DKP, Jungle World 35/2022) und einen »rückwärtsgewandt-regressiven Kurs« zu verhindern, der »nicht wahrhaben will, dass wir nicht mehr in der Ordnung des Kalten Krieges leben«.

In der Berliner Erklärung, die die Gruppe im Dezember verabschiedete, wurde gefordert, dass sich die Linkspartei wieder auf ihre »programmatischen Grundwerte« besinne. Insbesondere der von Wagenknecht geprägte Begriff des »Linkskonservatismus« widerspreche diesen fundamental. Er breche in seiner nationalistischen Ausrichtung mit den antifaschistischen Grundwerten der Partei, so der Tenor auf dem Berliner Treffen.

Dem Parteivorstand werfen die »progressiven Linken« vor, die Diskussion über Grundsatzfragen zu verschleppen. »Letztes Jahr wurde der Parteivorstand auf dem Bundesparteitag damit beauftragt, eine programmatische Weiterentwicklung der Partei in die Wege zu leiten«, so Elke Breitenbach zur Jungle World, »das ist bis heute nicht geschehen.« Vom Treffen im Dezember hielt sich der Vorstand trotz Einladung fern. Der stellvertretende Vorsitzende Lorenz Gösta Beutin war ausdrücklich nicht in seiner Funktion als Vorstandsmitglied anwesend.

Passiert ist beim Netzwerk seit Dezember nicht viel. Ein Folgetreffen hat es erst für den 18. März anberaumt. Dann will der Zusammenschluss zwei Papiere verabschieden, eines zu Sozialpolitik und Klimakrise und eines zum Krieg in der Ukraine. Zudem wollen die Teil­nehmer:innen die Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus auswerten und die Herangehensweise an die Europawahl besprechen.

Mit gemischten Gefühlen betrachtet man, dass der Bundesparteitag erst im November stattfinden soll. »So wird die Europawahl 2024 im Vordergrund stehen und nicht die programmatische Änderung der Partei«, bemängelt Breitenbach. Neuhaus-Wartenberg verweist dagegen darauf, dass auch die programmatische Weiterentwicklung der Linkspartei »unmittelbar mit dem Verhältnis zu Europa und zur EU zu tun hat«.

Zu den ungefähr drei Dutzend Unter­zeichner:innen des Aufrufs »Progressive Solidarität mit der Ukraine« anlässlich des Jahrestags des russischen Überfalls auf die Ukraine gehören Juliane Nagel, Elke Breitenbach und der ehemalige Bundestagsabgeordnete Thomas Nord, der auch die Berliner Erklärung unterzeichnet hat, sowie weitere Politiker:innen der Linkspartei, wie der Berliner Kultursenator Klaus Lederer.

Welche Waffen die Ukraine benötigt, so der Aufruf, werde durch die vom Aggressor, also Russland, eingesetzten Mittel bestimmt. Nagel war im Januar in die Ukraine gereist und traf sich dort nach eigener Aussage mit »linken und zivilgesellschaftlichen Akteuren getroffen«. Die Erkenntnisse aus diesen Treffen möchte sie »in die Partei tragen«.
Ob die programmatische Weiterentwicklung der Partei gelingen kann, wird innerhalb der »Progressiven Linken« unterschiedlich eingeschätzt. Positiv hebt man regelmäßig die breite innerparteiliche Basis hervor, auf der das Netzwerk aufbaue. Das Wagenknecht-Lager, so Nagel, sei nur eine »laute Minderheit« (Gespräch mit Juliane Nagel über die Krise in ihrer Partei, Jungle World 20/2022).