Abgang eines Klassenstrebers

Der Rücktritt des "Superministers" Strauss-Kahn wegen Korruptionsvorwürfen ist der erste ernsthafte Rückschlag für die linke Koalitionsregierung in Paris.

Auch Klassenstreber können scheitern. Als "Sturz eines Überbegabten" kommentierte die Boulevardzeitung Le Parisien den Abgang des französischen Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn ("DSK") am Dienstag vergangener Woche. Tatsächlich gilt der 50jährige als intellektueller Kopf der regierenden Sozialistischen Partei, der sich mit juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Diplomen schmücken kann. Jetzt droht seiner Karriere ein banales Ende: Der Rücktritt erfolgte wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit der studentischen Krankenkasse MNEF.

Die Krankenkasse hat schon seit längerem für immer neue skandalträchtige Enthüllungen in der Presse gesorgt, seit September 1998 ermitteln mehrere Untersuchungsrichter. Die Krankenkasse wurde seit Beginn der achtziger Jahre von Mitterrand-nahen Sozialisten und der damaligen Organisation Communiste Internationaliste (OCI) - eine spezielle Variante des französischen Trotzkismus - dominiert. Diese benutzten ihren Einfluss hauptsächlich dazu, ihren "Genossen" ein sicheres Plätzchen nach dem Ende ihres Studiums zu verschaffen.

Zahlreiche ehemalige Trotzkisten wurden damals auf diesem Wege in die sozialdemokratische Bürokratie übernommen. Während der Präsidentschaft von Fran ç ois Mitterrand entwickelte sich die MNEF zu einem Selbstbedienungsladen für sozialdemokratische Funktionäre.

Der Skandal um die MNEF erinnert auch an einen anderen Fall, in den Strauss-Kahn verwickelt war. Als Wirtschaftsminister hatte er Anfang der neunziger Jahren enge Beziehungen zu der von hohen sozialistischen Politikern gegründeten Freundschaftsgesellschaft Frankreich - Taiwan.

Der einzige Zweck des Vereins bestand darin, Großaufträge für die französische Rüstungslobby einzufädeln. Auch diese Freundschaftsgesellschaft machte durch Korruptionsaffären auf sich aufmerksam - im Frühsommer dieses Jahres musste der damalige oberste Verfassungsrichter und frühere sozialistische Außenminister Roland Dumas zurücktreten. Er hatte Anfang der neunziger Jahre mit Hilfe seiner Geliebten Christine Deviers-Joncours Milliardengeschenke von dem Öl- und Rüstungsgiganten Elf angenommen, die ihm Rüstungsausfuhren in großem Umfang nach Taiwan schmackhaft machen sollten.

Strauss-Kahn amtierte in dieser Zeit als Wirtschaftsminister und fuhr mit der Freundschaftsgesellschaft mehrfach nach Taipeh, selbst als er ab 1993 wieder zur Opposition gehörte. Eine Verbindung zur MNEF ergibt sich dadurch, weil das Management beider Organisationen größtenteils identisch war. So fungierte der MNEF-Generalsekretär Oliver Spithakis, Schlüsselfigur des aktuellen Skandals, als Schatzmeister des ominösen Vereins.

Die Nachforschungen, die nun zum Rückritt des prominenten Sozialisten führten, kam im Sommer vergangenen Jahres ins Rollen. Presse-Recherchen ergaben, dass Strauss-Kahn - der zu der Zeit auch als Wirtschaftsanwalt tätig war - 1995 Provisionen für Vermittlungen zwischen der MNEF und der Konzerngruppe CGE - heute Vivendi - in Höhe von 603 000 Francs (rund 92 000 Euro) kassiert hatte.

Am Montag vergangener Woche berichtete jedoch die Tageszeitung Libération von wissenschaftlichen Untersuchungen der Pariser Polizei. Diese hätten ergeben, dass der verwendete Schriftzeichentyp für Computerdrucker im Jahr 1994 gar nicht im Handel und das Dokument folglich vordatiert war - "Urkundenfälschung" nennen die Juristen ein solches Delikt. Damit liegt der Verdacht nahe, dass Strauss-Kahn die Summe nicht für juristische Tätigkeiten, sondern für ganz andere Dienste bekommen hat.

Von da an waren es nur noch Stunden bis zum Rücktritt des Ministers, der bereits überstürzt von einem Aufenthalt in Vietnam zurückgekehrt war. Dennoch ist es möglich, dass Strauss-Kahn seinen Kopf noch aus der Schlinge ziehen kann. Der frühere MNEF-Vize Philippe Plantagenest - er hatte den Minister als einer der ersten belastet - sagte vergangene Woche aus, dass zwar Dokumente zu Gunsten von Strauss-Kahn vordatiert worden seien; die genannten Tätigkeiten seien aber tatsächlich für die MNEF geleistet worden.

Der Rücktritt des "Superministers" - er war zuständig für die Bereiche Wirtschaft, Finanzen und Industrie - fügt dem Jospin-Kabinett einen ersten ernsthaften Rückschlag zu. Denn einerseits hatte der Regierungschef aus der moralischen Integrität und Transparenz einen politischen "Stil" geformt, der ihn wohltuend von seinen konservativen Amtsvorgängern abheben sollte. Mit dieser Aura ist es wohl vorbei, auch wenn Umfragen zufolge eine knappe Mehrheit der Franzosen Jospin weiterhin unterstützt.

Zum anderen schwächt sein Abgang die Bemühungen der linken Koalitionsregierung, einen neuen sozialen Konsens zu stiften. Strauss-Kahn hatte vor allem die Aufgabe, die Regierungspolitik vor inländischen ebenso wie britischen und US-amerikanischen Kapitalvertretern glaubhaft zu vertreten und ihnen die Furcht zu nehmen, die Koalition mit der KP werde Paris zu einer "unrealistischen" Wirtschaftspolitik verleiten.

Als Gründer des Cercle de l'industrie - einer Lobbygruppe der französischen Privatindustrie -, die er nach der sozialistischen Wahlniederlage 1993 ins Leben rief, kennt er diese Kreise bestens. "Er kratzte den links aussehenden Lack von den großen Reden unserer Politiker und Politikerinnen ab, um die reale Grundlage (der Regierungspolitik) hervorzuheben", urteilt die Wirtschaftszeitung Les Echos am Tag nach seinem Rücktritt.

So wurden während seiner Amtsführung mehr Unternehmen privatisiert als unter seinen konservativen Amtsvorgängern in vier Jahren zusammen. Daher gibt es auch keine Parallelen zum Rücktritt von Oskar Lafontaine. Strauss-Kahns Interims-Nachfolger Christian Sautter, bisher Staatssekretär für Haushaltspolitik, werde - darüber sind sich alle Pressestimmen einig - eine absolut identische Wirtschaftspolitik verfolgen, von dem Charme des Ex-Ministers einmal abgesehen. Zudem hatte Strauss-Kahn im Kabinett deutlich mehr Einfluss und war führenden Kapitalkreisen weit weniger ein Dorn im Auge als der "Idealist" Oskar Lafontaine.

Das hinderte ihn nicht daran, in Jospins Programm für die Präsidentschaftswahlen 1995 beispielsweise die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche einzubringen. Die als links geltende Arbeitsministerin Martine Aubry, nach der heute das 35-Stunden-Gesetz benannt ist, trat damals gegen die Idee einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung ein.

Der ideenreiche und mitunter voluntaristische Strauss-Kahn verstand es, solche Initiativen mit intimen Wünschen führender Kapitalvertreter, wie etwa nach "flexiblen" Arbeitszeiten, zu verbinden. Ein Deal, von dem beide Seiten profitierten.