Juliane Nagel, sächsische Landtagsabgeordnete der Linkspartei, im Gespräch über Proteste gegen Flüchtlingsheime in Leipzig

»Die hasserfüllte Stimmung erinnert an 2015«

Im Leipziger Stadtteil Thekla gab es in der Nacht zum 20. Juli einen Brandanschlag auf eine geplante Unterkunft für Geflüchtete, die Wände wurden dabei mit Hakenkreuzen und entsprechenden Parolen beschmiert. Die Polizei konnte das Feuer löschen, bevor es das Gebäude erfasste. Ein 24jähriger Anwohner gilt als mutmaßlicher Täter. Die »Jungle World« sprach mit der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linkspartei) über die Lage in Thekla.

Wenige Tage nach dem Brandanschlag demons­trierten etwa 200 Menschen gegen die geplante Unterkunft. Sie waren bei einer Gegenkundgebung dabei. Wie haben Sie die Stimmung wahrge­nommen?
Die Reaktionen waren sehr gemischt. Ein paar ­wenige Anwoh­ner:innen haben sich bei unserer Kundgebung eingefunden und waren trotz kritischer Haltung für Gespräche offen. Um die Ecke hatten sich an die 200 Menschen versammelt; dort war die Stimmung aggressiver. Ein paar Schaulustige von dort sind mir durch abfällige Kommentare aufgefallen. Die Stimmung richtete sich klar gegen die Unterkunft und geflüchtete Menschen.

Wie fallen in Leipzig normalerweise die Reaktionen aus, wenn neue Asylunterkünfte in Betrieb gehen sollen?
Inzwischen läuft es im Wesentlichen ruhig ab. Die Stadt hat in den vergangenen Monaten zig neue Unterkünfte etabliert. Asylfeindlichen Protest gab es eigentlich nur im Außenortsteil Lindenthal und im Plattenbaugebiet Paunsdorf. Dort hat die AfD versucht, eine Notunterkunft zu skandalisieren – weitestgehend ergebnislos.

»Es gibt derzeit fünf Zeltstandorte für insgesamt circa 1.000 Menschen. Die Situation dort ist verheerend: Es gibt keine Privatsphäre, zum Teil keine richtigen Türen vor den Schlafboxen, keine Gemeinschaftsräume.«

Die Leute, die in Thekla gegen die Unterkunft protestieren, kritisieren die Informationspolitik der Stadt und die Standortwahl. Sind das berechtigte Einwände?
Ich finde, dass die Stadt ihre Sache gut macht. Nach der Entscheidung, eine neue Flüchtlingsunterkunft zu etablieren, werden jeweils Stadträt:innen und Stadt­bezirks­beirät:innen der entsprechenden Gebiete informiert. Es gibt oft Tage der offenen Tür. Wenn es ernsthafte Einwände gegen eine Unterkunft gibt, können wir das Vorhaben als Stadtrat auch kassieren. Die Kritik an der fehlenden Information ist oft ein Scheinargument von denen, die Geflüchtete grundsätzlich ablehnen. Nachholbedarf bei der Stadt gibt es eher dabei, lokale Netzwerke um die Unterkünfte herum zu aktivieren und verbindliche Standards in den Unterkünften einzuhalten.

Sie haben gefordert, die Unterbringung von Flüchtlingen in Zeltlagern zu beenden. Wie ist diesbezüglich die Situation in Leipzig?
Auf dem überhitzten Wohnungsmarkt in Leipzig ist es schwer, überhaupt ausreichend Unterbringungsmöglichkeiten zu finden. Wir verfehlen unsere eigenen Ziele, Geflüchtete in eigenen Wohnraum zu bringen oder Mehrfamilienhäusern für bis zu 60 Personen den Vorrang zu geben. Es gibt derzeit fünf Zeltstandorte für insgesamt circa 1.000 Menschen. Die Situation dort ist verheerend: Es gibt keine Privatsphäre, zum Teil keine richtigen Türen vor den Schlafboxen, keine Gemeinschaftsräume. Im Winter ist es zu kalt, im Sommer zu heiß. Gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat konnten wir inzwischen ein paar kleine Veränderungen erwirken. Zwei Standorte werden Anfang nächsten Jahres geschlossen.

Befürchten Sie, dass der Protest gegen Geflüchtete in Sachsen wieder eskalieren könnte?
Die hasserfüllte Stimmung in Thekla hat mich schon an 2015 erinnert, als in Sachsen fast täglich Asylunterkünfte angegriffen wurden. Seit 2022 ist die Lage wieder angespannter, in manchen Orten Sachsens gab es aufhetzende Aufmärsche. Die Zahl der Angriffe steigt. An der Eskalation tragen AfD und CDU mit ihrer asylfeindlichen Stimmungsmache eine klare Mitschuld. Es war zum Beispiel Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der das Grundrecht auf Asyl im vergangenen Jahr lauthals zur Disposition gestellt hat.