Neue Fake News über Joe Biden und die Demokraten im US-Wahlkampf

Der große Kandidatenaustausch

In den sozialen Medien werden Kurzvideos verbreitet, die belegen sollen, dass US-Präsident Joe Biden nicht fit genug für eine weitere Amtszeit sei. Außerdem gibt es Berichte über einen angeblichen Plan der Demokraten, Biden als Kandidaten zu ersetzen.

Die »Great Joe Biden Replacement Theory« nannten die indische Hindustan Times Ende voriger Woche die Mutmaßungen darüber, was führende Politiker der Demokratischen Partei in den USA derzeit angeblich planen. Der in Anlehnung an den Mythos vom großen Bevölkerungsaustausch so benannten Verschwörungstheorie zufolge werde spätestens im August bei dem in Chicago anstehenden Parteitag, der Democratic National Convention, die laufende Kandidatur des derzeitigen US-Präsidenten Joe Biden für die Präsidentschaftswahlen am 5. November beendet. Die auch in einer US-Ausgabe erscheinende britische Boulevardzeitung Daily Mail hatte am Wochenende ebenfalls über solche angeblichen Geheimpläne berichtet.

Für deren Existenz spreche aus welchen Gründen auch immer, dass die ehemalige First Lady Michelle Obama bei einem Dinner im Weißen Haus Ende Mai gefehlt habe, bei dem ihr Mann Barack Obama Biden seine Unterstützung zugesagt hatte. Die ehemaligen demokratischen Präsidenten Obama und Bill Clinton arbeiteten dazu bereits jetzt eng zusammen mit der Minderheitsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, und Chuck Schumer, dem Mehrheitsführer im Senat, hieß es in dem Bericht weiter. Ein Stratege der Partei habe der Zeitung gegenüber betont, dass die Kooperation der zwei ehemaligen Partei­größen mit den zwei Spitzenpolitikern dazu unerlässlich sei.

Interessanterweise sind es seit einiger Zeit vor allem die Republikaner und die ihnen nahestehenden Medien, die mit teils unlauteren Methoden und glatten Lügen versuchen, Zweifel an Bidens Amtseignung zu säen. Er sei dement und wirke oft orientierungslos, heißt es über ihn. Unterlegt wird das Geraune über seine Gesundheit immer häufiger mit Bildern, die von Faktenprüfern als bewusst zusammengeschnitten eingeordnet werden. Die Anhänger der Republikaner erreicht dieses Wissen aber natürlich nicht – die große Frage ist nun, ob sich die Demokraten längerfristig von den Verschwörungslügen beeinflussen lassen werden.

Zum Kalkül der Bilderfälscher gehört, dass jeder einzelne Fake für sich genommen keine besonders große Lüge ist, zusammengenommen ergeben sich aber Eindrücke, die verheerend wirken sollen – und es auch tun. 

Manche der verbreiteten Bilder von Biden lassen sich recht einfach erklären: Dass ein 81jähriger eher steif aus einem Flugzeug steigt, in dem er stundenlang gesessen hat, ist normal und kein Anzeichen von Demenz. Andere, unter anderem vom konservativen Nachrichtensender Fox verbreitete Videos scheint es auf den ersten Blick tatsächlich so, als wisse der Präsident manchmal nicht, was er tue. In einem Videoausschnitt von den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des D-Day, der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 im Zweiten Weltkrieg, wirkt es so, als versuche Biden sich geistesabwesend auf einen gar nicht existierenden Stuhl zu setzen. »Das ist verstörend«, lautet der dazu gestellte Kommentar auf X, »Präsident Biden versucht wirklich, den unsichtbaren Stuhl zu finden.«

Weiter heißt es im Tweet: Das sei »alles so traurig und würdelos vor allem gegenüber den Anwesenden, die die tapferen Männer ehren wollten, die starben, um unsere Nation vor tyrannischen Regierungen zu beschützen«. Bei der Feier waren ehemalige Soldaten der Alliierten anwesend. Ein anderer User ergänzte in einem ebenfalls mit vielen »Likes« versehenen Posting: »Das Problem besteht darin, dass Biden immer noch Kandidat für die Präsidentschaftswahl ist.«

Das Originalmaterial zeigt dagegen, wie das französische Präsidentenpaar Emmanuel und Brigitte Macron sowie Biden und seine Frau Jill Sekunden später, wie vorgesehen, auf den hinter ihnen stehenden Stühlen Platz nehmen.

Schläfer Trump

In einem weiteren von der Washington Post nicht als deep fake, sondern cheap fake (billige Fälschung) bezeichneten Filmchen wirkt es, als führe Jill Biden ihren Mann gezielt weg von der Veranstaltung. Das sei ein Affront gewesen, hieß es dazu, im Gegensatz zu Macron habe Biden die Veteranen nicht mit Handschlag begrüßt. Das stimmte nicht: Die komplette Aufnahme zeigt, dass die Bidens sich Zeit für die ehemaligen Soldaten nahmen und anschließend, wie vorgesehen, zur nächsten Veranstaltung weiterreisten.

In einem weiteren Clip heißt es, Biden habe während der D-Day-Zeremonie geschlafen. Während des sechs Sekunden dauernden Filmchens hat er tatsächlich die Augen geschlossen, was mutmaßlich daran lag, dass er konzentriert der Übersetzung zuhörte, der entsprechende Kopfhörer in seinem Ohr allerdings nicht zu sehen war. Dass sich ausgerechnet sein voraussichtlicher Kontrahent bei der Präsidentschaftswahl, Donald J. Trump, darüber lustig machte, war im Übrigen apart, denn während einer kürzlichen Gerichtsverhandlung in New York war Trump übereinstimmenden Berichten zufolge tatsächlich eingenickt.

Kein Ende der Flut gefälschter Bilder abzusehen

Zum Kalkül der Bilderfälscher gehört, dass jeder einzelne Fake für sich genommen keine besonders große Lüge ist, zusammengenommen ergeben sich aber Eindrücke, die verheerend wirken sollen – und es auch tun. Bei den Demokraten hat man die drohende Gefahr erkannt. Mia Ehrenberg, Pressesprecherin von Bidens Wiederwahlkampagne, sagte vor einigen Tagen: »Die Republikaner haben sich dazu entschieden, Filmmaterial von Präsident Biden auf erbärmliche Art und Weise zu manipulieren und zu verzerren«, weil sie keine andere Möglichkeit sähen, die Erfolgsbilanz Bidens zu kontern.

Das ist eine etwas idealistische Darstellung der Dinge, denn selbst im eigenen Lager werden seine Erfolge nicht besonders gewürdigt. Ob es gelingt, den Blick auf das zu lenken, was Biden erreicht hat, ist fraglich, zumal kein Ende der gefälschten Bilderflut abzusehen ist. Im Lager von Trump ist man sich ohnehin keiner Schuld bewusst, Biden sei »zu schwach« und »verfalle kognitiv«, sagte Karoline Leavitt, der Welt das anhand von Videos zu zeigen, sei sehr wichtig. Leavitt ist Pressesprecherin für die Wahlkampagne Trumps.

Auf die am 27. Juni live vom Sender CNN übertragene Debatte zwischen Trump und Biden dürften die Fake-Videos zielen: Gelingt es, das Publikum vorab davon zu überzeugen, dass Biden ungeeignet für eine weitere Amtszeit ist, wird jeder versehentliche Versprecher, jede ungelenke Bewegung, jeder unkonzentrierte Aussetzer während des Aufeinandertreffens zu einem weiteren schlagenden Beweis.