Auszug aus dem bei Hentrich und Hentrich erschienenen Buch über Gerda Taro und Robert Capa in Leipzig

Freiheit im Fokus

Gerda Taro (1910–1937) und Robert Capa (1913–1954) schufen die moderne Kriegsfotografie und riskierten ihr Leben für Bilder, die die Weltöffentlichkeit sehen sollte. Taro war 1929 mit ihrer jüdischen Familie nach Leipzig gezogen und 1933 nach Paris geflohen, wo sie Robert Capa kennenlernte. Ihre Familie und Leipzig sollte sie nie wiedersehen. Statt Gerda Taro kam Robert Capa zwölf Jahre später in die Messestadt – im April 1945 mit der US-Armee. Auszug aus dem ersten Kapitel des soeben bei Hentrich und Hentrich erschienenen Buchs »Freiheit im Fokus: Gerda Taro und Robert Capa in Leipzig«.
Imprint

Ankunft Leipzig Hauptbahnhof

Die Fotografin Gerda Taro wurde am 1. August 1910 als Gerta Pohorylle* in Stuttgart geboren. Ihre Eltern Heinrich (Hersch) und Gisela Pohorylle (geb. Ghittel Boral) waren vor der antisemitischen Pogromstimmung und der Armut Ostgaliziens geflüchtet, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg und Zerfall der Donaumonarchie waren diese Gebiete Polen zugeschlagen worden, so dass die Familie Pohorylle gleichsam automatisch zu Bürgern mit polnischem Pass geworden waren. Heute gehört dieser Landstrich zur Ukraine. In Stuttgart war Gertas Vater im Eiergroßhandel tätig, wie zahlreiche Verwandte, die seit langem im Königreich Württemberg ansässig waren.

1929, im Jahr des Börsenkrachs und der Weltwirtschaftskrise, zog die bürgerlich-liberale, jüdische Kaufmannsfamilie nach Leipzig – Gerta hatte noch zwei jüngere Brüder, Os­kar und Karl. Als Poho, wie Gerta Poho­rylle von ihren Freunden genannt wurde, im August 1929 zum ersten Mal in die Messestadt kam, war sie gerade neunzehn geworden. Der Abschied von Stuttgart fiel schwer. Ihr innig geliebter Freund Pieter, der sie zum Hotten in Tanzbars oder ins exquisite »Excelsior« ausführte, fehlte ihr. Die Schulkameradin Meta und die Fußballspiele der Stuttgarter Kickers fehlten ihr. Und erstaunlicherweise vermisste sie, wie einem ihrer ersten Briefe an Meta zu entnehmen ist, ­sogar die schwäbische Gemütlichkeit. Die junge Frau mit kurzer Bob-­Frisur, die da aus dem Zug stieg, war eine typische Neue Frau der zwanziger Jahre. Kino, Glamour, Mode, Jazzbars und Swingmusik – in dieser Welt war Gerta zuhause.

Die gut ausgebildete und emanzipierte junge Frau reagierte sensibel auf die Judenfeindlichkeit, Diffamierung und Ausgrenzung, die propagiert wurden, und hatte das Bedürfnis, sich zu wehren.

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