Durch den Ausgang der Europawahlen droht eine Aufhebung von Klimaschutzregeln der EU

Fossile Avantgarde

Viele in den Unionsparteien und in der FDP wollen, wie auch AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht lieber heute als morgen Schluss machen mit Maßnahmen zum Klimaschutz. Nach der Europawahl haben diese Strömungen so viel Oberwasser wie Flüsse in Überschwemmungsgebieten.

Vielleicht sollte man sich nicht allzu sehr wundern. Wenn selbst erhebliche Teile der Klimabewegung sich lieber der sogenannten Palästina-Solidarität widmen – was will man da von Liberalen und Konservativen erwarten, denen das Thema schon immer lästig war?

Dennoch: Wenn man von der extremen Rechten absah, schien in der EU Konsens darüber zu bestehen, dass die Klimaneutralität erreicht werden muss, mochte man auch über Fristen und vor allem darüber streiten, wer das alles bezahlen soll. Doch schon vor der Europawahl wurden bereits beschlossene Klimaschutzregeln aufgeweicht, nun droht gar ihre Rücknahme, wenn sich Konservative, Liberale und extreme Rechte gegen den Klimaschutz verbünden.

Ob dies geschehen wird, ist zwar noch ungewiss, da nicht klar ist, wo sich die EVP, die Fraktion der konservativen Parteien im Europaparlament, Mehrheiten suchen wird. Zudem besteht keineswegs Einigkeit unter den Liberalen und ­Konservativen in der EU in der Frage, ob man sich vom Klimaschutz abkehren soll.

Man vertritt nicht einmal die Interessen »der Wirtschaft«, wenn man am Verbrennungsmotor festhalten will. Vielmehr sollen auf diese Weise reaktionäre Wähler:innen gewonnen werden, für die das Elektroauto ein Gendersternchen auf Rädern ist.

Aber FDP und Union haben hinreichend klargestellt, dass sie, wenn es dazu kommt, die Avantgarde bilden wollen. Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte im vergangenen Jahr in der EU durchgesetzt, dass mit sogenannten E-Fuels betriebene Verbrennungsmotoren vom Verbot der Neuzulassung ab 2035 ausgenommen werden. Nun zog die Union mit der Forderung in den Wahlkampf: »Wir wollen das Verbrennerverbot wieder abschaffen und die deutsche Spitzentechnologie des Verbrennungsmotors erhalten und technologieoffen weiterentwickeln.« Die EVP übernahm diese Forderung bislang nicht, in Deutschland aber besteht Einigkeit mit der FDP, der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht, dessen Frontfrau das Verbrennerverbot als »beispielhaft für die Übergriffigkeit und Inkompetenz der gegenwärtigen EU-Institutionen« ansieht.

Die Forderung ist umso unverständlicher, als die deutsche Autoindustrie nach langem Zögern doch noch recht erfolgreich in das Geschäft eingestiegen ist und im vergangenen Jahr 955.000 Elektroautos hergestellt hat – nur in China sind die Produktionszahlen höher. Man vertritt also nicht einmal die Interessen »der Wirtschaft«, wenn man am Verbrennungsmotor festhalten will. Vielmehr sollen auf diese Weise reaktionäre Wähler:innen gewonnen werden, für die das Elektroauto ein Gendersternchen auf Rädern ist. Der röhrende Motor steht für eine idealisierte Vergangenheit, in der der Mann samstags sein Auto wusch, während die Frau das Mittagessen kochte, es hierzulande außer Roberto Blanco keine Schwarzen zu ­geben schien und man fest glaubte, dass alle Welt Deutschland bewundere.

Man hat genug Ärger mit Liberalen und Konservativen, wenn sie Unternehmerinteressen vertreten. Verwerfen sie aber die kapitalistische Rationalität, um reaktionären Wähler:innen ideologische Leckerli zuzuwerfen, ist das noch weitaus gefährlicher und kann, wie im Fall der US-Republikaner, zu einer Dominanz der extremen Rechten führen.