03.04.2024
In Rumänien sind Rechtsextremisten auf Tiktok sehr beliebt

Kampf gegen die Hatefluencer

Weil die rumänischen Rechtspopulisten in Umfragen zulegen, erwägen Politiker der regierenden Parteien eine gesetzliche Regulierung von Tiktok – denn dort ist deren Propaganda besonders erfolgreich.

Wenn man den rumänischen Abgeordneten und Präsidenten der rechtspopulistischen Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR), George Simion, auf Youtube sieht, im Anzug und mit Aktentasche, wie er das Haus verlässt, ins Auto steigt und in einem langen Video erklärt, wie er gegen das Bukarester Establishment ankämpfen möchte, sieht man ihm den Fußballhooligan nicht gleich an, der er früher gewesen ist.

Ganz anders ist es auf Tiktok. Zwar trägt Simion auch hier Anzug und Krawatte, doch sieht man ihn vor allem Abgeordnete der Regierungsparteien mit aufdringlichen, provokativ gestellten Fragen bedrängen, während sie das Parlamentsgebäude betreten. Der konfrontative Inhalt seiner nationalistischen Politik geht hier Hand in Hand mit seiner theatralischen Sprache. Die Strafen, die ihm für sein rüpelhaftes Verhalten im Parlament auferlegt werden, bezeichnet er gerne als diktatorisch. Es wird deutlich: Hier inszeniert sich jemand als Anti-System-Opposition.

Einer Umfrage zufolge wollen 15 Prozent aller 18- bis 35jährigen Rumänen die AUR wählen. Die etablierten rumänischen Parteien machen sich mittlerweile so große Sorgen über die Effektivität der Propaganda der Rechtspopulisten, dass sie eine starke Regulierung politischer Nachrichten auf Tiktok erwägen. Der jüngste Vorstoß dazu kam vom Europaabgeordneten Rareş Bogdan der Nationalliberalen Partei (PNL), die einer der beiden Partner der Großen Koalition in Bukarest ist und auf europäischer Ebene wie CDU, CSU und andere konservative Parteien der Europäischen Volkspartei angehört. Bogdan hat sogar die Möglichkeit eines Verbots damit begründet, dass Tiktok besonders bei jungen Wählern populär sei und diese dort mit extremistischen Botschaften in Kontakt gerieten.

Das Phänomen AUR wäre mit der Funktionsweise von Tiktok nur unzureichend erklärt.

Tatsächlich kommen die provokanten Kurzvideos der AUR bei den Zuschauern sehr gut an. Simions Videos auf Tiktok haben Zehntausende Likes, während sie auf Youtube nur einige Tausend Mal angeklickt werden. Der Stil Simions und der AUR funktioniert offenbar auf Tiktok besser. Hier fällt vielleicht weniger auf, dass er gar nicht so viel zu sagen hat und es ihm vor allem um Konfrontation und Krawall geht.

Doch das Phänomen AUR wäre mit der Funktionsweise von Tiktok nur unzureichend erklärt. Denn obwohl Simion auf der Plattform viele Follower hat, sind längst nicht alle seine Wähler jung. Einer neueren Umfrage zur Europawahl zufolge belegt die Partei AUR mit 25 Prozent sogar den ersten Platz in der Wählergunst der Rumänen. Es scheinen also nicht nur die jungen Leute zu sein, die ansprechbar für die nationalistische Propaganda von Simion sind. Auch das Gesamtbild in den sozialen Medien ist nicht so eindeutig. Denn die meisten Follower, nämlich 1,3 Millionen, hat Simion auf Facebook. Das ist viel, selbst wenn man bedenkt, dass wahrscheinlich die Mehrheit der über 20 Millionen Rumänen Facebook nutzt. Facebook gehört zum Alltag auch älterer Rumänen.

Die etablierten Parteien scheinen dem Aufstieg der Rechten hilflos gegenüberzustehen. Bevor die AUR im Jahr 2019 gegründet wurde, hatte das Land seit den nuller Jahren Ruhe vor dem Rechtsextremismus gehabt. Nun müssen die beiden großen Parteien PNL und deren Koalitionspartnerin, die postkommunistische Sozialdemokratische Partei PSD, die bei der Europawahl sogar eine gemeinsame Liste aufgestellt haben, obwohl sie im Europaparlament verschiedenen Fraktionen angehören, Angst haben, von den Nationalisten überflügelt zu werden.

Dies könnte auch zu internationalen Turbulenzen führen. Denn die AUR steht nicht nur der EU skeptisch gegenüber, sondern hat die Vereinigung ­Rumäniens mit der Republik Moldau, mithin ein Großrumänien, zum Kern ihres Programms erhoben: »Großrumänien in Europa« lautet ihr unzweideutiges Motto. Seit dem Ukraine-Krieg haben die Spannungen um Moldau, das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine, ohnehin zugenommen. Ein Teil des Lands bildet unter dem Namen Transnistrien ein de facto russisch kontrolliertes Gebiet. Dessen Regime hatte erst im Februar wieder Russland in einer Resolution um Schutz ersucht (Jungle World 10/2024). Sollte in naher oder mittlerer Zukunft die nationalistische Partei AUR in Bukarest das Ruder übernehmen, würde dies zu neuen Spannungen zwischen dem Nato-Land Rumänien und Russland führen. Daran wird auch ein mögliches Tiktok-Verbot kaum etwas ändern können.