Ein Kongress in Transnistrien nährt Befürchtungen über Russlands Einflussnahme in der Region

Wirbel um eine Resolution

Bei einem Kongress in der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien blieb die vielfach erwartete Forderungen nach russischer Annexion oder Anerkennung aus.

Am 28. Februar fand in Tiraspol, der Hauptstadt der abtrünnigen moldau­ischen Region Transnistrien, ein »Kongress für Abgeordnete aller Ebenen« statt. Dabei kam es nicht zur befürchteten Bitte um Annexion durch Russland nach dem Vorbild der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ukraine. Der US-amerikanische Think Tank Institute for the Study of War hatte, wie manch andere Analysten auch, zuvor gewarnt, »Transnistrien könnte ein Referendum über den Anschluss an Russland organisieren, um die russische Hybridoperation gegen Moldau zu unterstützen«.

Darin hieß es, »die angebliche Notwendigkeit, russische Bürger und ›Landsleute‹ in Transnistrien vor Bedrohungen durch Moldau oder die Nato oder beide zu schützen«, könne den Vorwand für einen solchen Aufruf abgeben. Im gefährlichsten Fall könne der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Rede vor der russischen Bundesversammlung am 29. Februar die Annexion Transnistriens durch Russland verkünden, »was jedoch unwahrscheinlich erscheint«.

Letztlich verabschiedete der Kongress in Transnistrien lediglich eine Resolution, die das russische Parlament darum bittet, »angesichts des zunehmenden Drucks seitens der Republik Moldau Maßnahmen zum Schutz zu ergreifen«, und wies darauf hin, dass 220.000 Bürger in Transnistrien russische Pässe besitzen.

Seit Jahresbeginn gibt es Spannungen zwischen der Republik Moldau und dem de facto unabhängigen Transnistrien an der Grenze zur Ukraine. Moldau hatte entschieden, Einfuhrzölle auf aus Transnistrien eingeführte Waren zu erheben, was zu Protesten in und Drohgebärden Transnistriens führte, die im Kongress Ende Februar gipfelten.

Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wächst die Furcht vor einer Wiederaufnahme des Konflikts; Russland könnte versuchen, einen Korridor von besetzten ukrainischen Gebieten nach Transnistrien zu errichten oder gar ganz Moldau einzunehmen.

Das Büro für Reintegration der Republik Moldau, eine Regierungseinrichtung, über die Moldau mit Transnistrien kommuniziert, bezeichnete die Versammlung noch am selben Tag als propagandistisch. In einer Erklärung hieß es: »Wir erinnern daran, dass die Region Transnistrien von der Politik des Friedens, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Integration mit der Europäischen Union profitiert.« Moldaus Präsidentin Maia Sandu äußerte bei einem Gipfeltreffen der südosteuropäischen Länder in Albanien, dass ihr Land sich auch weiterhin für eine friedliche Lösung des Transnistrien-Konflikts einsetze.

Am 1. März reagierte der russische Außenminister Sergej Lawrow beim jährlichen Antalya Diplomacy Forum in der Türkei mit einer Wiederholung altbekannter russischer Unterstellungen: »Wahrscheinlich sollten Fragen an das Regime gerichtet werden, das sich in Chişinău (der Hauptstadt Moldaus; Anm. d. Red.) niedergelassen hat und in die Fußstapfen des Kiewer Regimes tritt, indem es alles Russische abschafft, die russische Sprache in allen Bereichen diskriminiert und zusammen mit den Ukrainern immer noch ernsthaften wirtschaftlichen Druck auf Transnistrien ausübt.« Putin selbst verlor bei seiner Rede kein Wort dazu.

Transnistrien erklärte 1990 seine Unabhängigkeit von der damaligen Moldauischen Sowjetrepublik, die selbst erst im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion 1991 ein unabhängiger Staat wurde. Transnistrien wird von der »internationalen Gemeinschaft« jedoch weiterhin als Teil Moldaus betrachtet – auch von Russland. Lediglich die zu Georgien gehörenden separatistischen Regionen Südossetien und Abchasien erkennen Transnistrien als Staat an sowie vormals das von Aserbaidschan im vergangenen Jahr eingenommene und aufgelöste von Armenier:innen bewohnte Bergkarabach.

Nach einer ersten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Moldau und Transnistrien 1990 eskalierte der Konflikt 1992 zu einem kurzen Krieg, an dem auch russische Soldaten auf Seiten Transnistriens beteiligt waren. Obwohl ein Waffenstillstand und vollständiger Truppenabzug vereinbart wurde, sind die russischen »Friedenstruppen« mit schätzungsweise 1.500 Soldaten noch immer präsent. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wächst die Furcht vor einer Wiederaufnahme des Konflikts; Russland könnte versuchen, einen Korridor von besetzten ukrainischen Gebieten nach Transnistrien zu errichten oder gar ganz Moldau einzunehmen.

Das moldauische Militär ist schwach und das Land gehört nicht zur Nato, so dass gerade zu Beginn der russischen Großinvasion der Ukraine dieses Szenario durchaus realistisch schien. Zugleich versucht Russland, die Region durch Desinformationskampagnen und von kremltreuen Politiker:innen organisierte Proteste zu destabilisieren – und zielt auch auf die autonome Region Gagausien im Süden Moldaus ab.

Gagausien untersteht anders als Transnistrien moldauischer Gesetz­gebung, die Stimmung dort ist Russland aber sehr zugewandt. Seit Juli 2023 bekleidet Evghenia Guțul von der inzwischen verbotenen prorussischen Șor-Partei das Gouverneursamt. Am 1. März traf sie sich in Moskau mit russischen Politiker:in­nen und sprach davon, dass die Verkehrsanbindung verbessert werden müsse, damit Gagausier:innen leichter nach Russland reisen könnten, und dass die moldauische Regierung die Rechte ­Gagausiens unterdrücke – eine russische Propagandaerzählung.

Valeriu Paşa, der Leiter des moldauischen Think Tanks Watch Dog, vermutet im Gespräch mit der Jungle World: »Russland wird die aggressive Rhetorik und die falschen Behauptungen, die Republik Moldau setze die Region Transnistrien unter Druck, verstärken.« Diese seien auch im Hinblick auf die für dieses Jahr in Moldau anstehenden Präsidentschaftswahlen und die Parlamentswahlen 2025 zu sehen – denn die Kampagne soll zu »Russlands umfassenderen Plänen beitragen, sich einzumischen und die Wahlen zu manipulieren«.

Auch die Journalistin Daria Slobodcicova vom moldauischen Nachrichtenportal Newsmaker sieht keine Hinweise auf eine drohende militärische Eskalation, da die Frontlinie in der Ukraine fast 400 Kilometer von Transnistrien entfernt ist: »Und solange die ukrainische Armee die Verteidigungslinien hält, brauchen wir keine Angst zu haben, denn ohne die militärische Unterstützung Russlands wird Transnistrien zwischen der Ukraine und Chişinău eingeklemmt bleiben.« Außerdem hätte die transnistrische Wirtschaft von einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs auf die Region Nachteile zu erwarten. »Das Ziel des Regimes ist es vielmehr, auf sich aufmerksam zu machen und die Entscheidung der Regierung in Chişinău über die verhängten Zölle zu beeinflussen.«

Sollte die russische Armee weiter Richtung Transnistrien in die Ukraine vordringen, könnten sich Rhetorik und Absichten Transnistriens aber ändern, schließlich hielt das dortige Regime 2006 ein Referendum über den Beitritt zur Russischen Föderation ab, bei dem sich mehr als 97 Prozent der Bürger dafür aussprachen – unter anderem die OSZE bemängelte aber, die Abstimmung habe nicht demokratischen Standards entsprochen.