Die Proteste der deutschen Bauern sind strukturell regressiv

Landvolk in Bewegung

Ob die Proteste der deutschen Bauern von rechts unterwandert werden oder sich symbolisch von Rechten abgrenzen, ist nicht die entscheidende Frage. Interessanter ist der ihnen wesentliche regressive Charakter, der sich darin äußert, die durch Konkurrenz zugespitzte Situation auf dem Agrarmarkt statt auf Kapitalinteressen auf die Missgunst einzelner Politiker:innen zurückzuführen.

Anfang Januar interviewte der Deutschlandfunk den in Sachsen-Anhalt lehrenden Soziologieprofessor und Rechtsextremismusexperten Matthias Quent zur Rolle Rechtsextremer in den derzeitigen Agrarprotesten. Zu diesem Zeitpunkt demonstrierten seit etwa einem Monat in ganz Deutschland Bäuer:innen, nachdem Ende November 2023 die Bundesregierung beschlossen hatte, eine Subvention für die Landwirtschaft, nämlich die reduzierte Besteuerung des in landwirtschaftlichen Betrieben verbrauchten Diesels, zu streichen. Ihnen schlossen sich Hand­werker:innen und Spediteur:innen an.

Wenige Tage vor dem Interview hatten Demonstrant:innen im friesischen Schlüttsiel eine Fähre blockiert, mit der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aus einem Neujahrsurlaub zurückkehren wollte. Diese Aktion löste eine bundesweite Debatte über demokratiefeindliche Tendenzen der Proteste aus. Auf die Frage, wie sich die extreme Rechte zu den Protesten verhalte, stellte Quent fest, es wäre »einfacher aufzuzählen, wer nicht mobilisiert«.

Von der AfD über »Querdenker:in­nen« bis weit ins neonazistische Milieu versuchten Rechte die Proteste zu vereinnahmen.

Von der AfD über »Querdenker:in­nen« bis weit ins neonazistische Milieu versuchten Rechte die Proteste zu vereinnahmen. Quent forderte die Bäu­er:in­nen auf, dafür zu sorgen, dass ihre Proteste »nicht instrumentalisierbar sind«, und »diese versuchte Unterwanderung« der Demonstrationen zurückzuweisen. Tatsächlich versuchte die AfD, sich als parlamentarische Stimme dieser Proteste zu gerieren, Politiker:in­nen der Partei besuchten wiederholt die Demonstrationen, traten teilweise auch als Redner:innen auf.

In Sachsen beteiligte sich Anfang Januar die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen mit einer eigenen Demonstration mit mehreren Tausend Teil­nehmer:innen an den Protesten, bundesweit versucht eine weitere rechtsextremen Kleinstpartei, »Der III. Weg«, durch Teilnahme an den Veranstaltungen und Flugblattaktionen im ländlichen Raum für sich zu werben, rechte Youtuber und Streamer begleiten die Proteste mit ihren Kameras.

Weißer Pflug und rotes Schwert auf schwarzem Grund

Die mediale Begleitung der Proteste scheint für Rechtsextreme von besonderer Bedeutung zu sein. In den eigenen und den sozialen Medien inszenieren sie diese als Volksaufstand gegen die Regierung. Idealtypisch steht dafür das Cover der Februarausgabe von Jürgen Elsässers Zeitschrift Compact. Zu sehen sind zwei junge, muskulöse Männer mit Dreitagebart, die blonden Haare flattern im Wind, die Fäuste geballt stehen sie in Boxerpose, ihre Gesichter sind vor Wut verzerrt. Über ihnen weht die Deutschlandfahne, im Hintergrund stehen Traktoren, an einem weht die Fahne der rechten Landvolkbewegung: weißer Pflug und rotes Schwert auf schwarzem Grund.

Der Titel »Bauern, Bonzen und Blockaden« verweist auf den 1931 erschienen Roman »Bauern, Bonzen und Bomben« von Hans Fallada. Dieser beschreibt das Leben in einer Kleinstadt vor dem Hintergrund eben der Proteste der Landvolkbewegung, einer völkisch und antisemitisch geprägten bäuerlichen Protestbewegung gegen die Folgen der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre. Die Bildsprache des Covers bringt zum Ausdruck, was Rechte an diesen Sozialprotesten – im Gegensatz zum Beispiel zu Arbeitskämpfen im Pflegesektor oder dem Streik der GDL – so fasziniert.

Die Träger der Demonstrationen der vergangenen Monate erscheinen als Vertreter des körperlich hart arbeitenden Teils der Bevölkerung.

Die Träger der Demonstrationen der vergangenen Monate, Bauern und Inhaber kleiner Handwerksbetriebe oder Speditionsunternehmen im ländlichen Raum, erscheinen als Vertreter des körperlich hart arbeitenden Teils der Bevölkerung. Die Geschlechterrollen scheinen auf den ersten Blick noch klar patriarchalisch aufgeteilt und die Protestierenden ethnisch deutlich homogener als die Bevölkerung großstädtischer Arbeiterquartiere: das schaffende Volk, könnte man meinen, wie es rechte Ideologen goutieren, da es sich gut in Gegensatz zu queer-links-dekadent-bourgoisen Großstadteliten setzen lässt.

Die für deutsche Verhältnisse überraschende Militanz der Proteste bildet einen Anknüpfungspunkt für Phantasien von Umsturz und Bürgerkrieg. Anlässlich eines vom Deutschen Bauernverband organisierten deutschlandweiten Protesttages am 8. Januar kursierten in rechtsextremen und »Quer­denken«-Milieus Aufrufe zum Generalstreik und Sturz der Regierung.

Götz Kubitschek auf dem Feldherrenhügel

Der neurechte Verleger Götz Kubitschek kommentierte dies auf seinem Blog: »Nur dann, wenn der heutige Protesttag der Beginn eines Befreiungsvorgangs weit über die Abhängigkeit vom Subventionssystem hinaus ist, wenn also das Faß ausgeschöpft wird, obwohl es bloß überlief: Nur dann ist der heutige Tag der Beginn einer Wende.« Mit dem Gestus desjenigen, der vom Feldherrenhügel aus das Schlachtfeld überblickt, versuchte er so, die zu diesem Zeitpunkt überschießenden Umsturzphantasien in der Rechten in seinem Sinn zu lenken.

So ideologisch aufgeladen die Proteste sind, sind ihre Klagen doch nicht ganz unzutreffend. Kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe stehen schon seit Jahrzehnten unter einem enormen ökonomischen Druck. In den vergangenen Jahren haben sich Konkurrenz und infolgedessen die Konzentrationsprozesse in der Landwirtschaft deutlich verschärft. Die riesigen Landmaschinen, die bei den Protesten auffahren und nichts mehr mit einem niedlichen Trecker aus dem Kinderbuch zu tun haben, sind Ausdruck dieser Entwicklung: Der Zwang, immer effizienter, industrieller, also auf größerer Skala und mit höheren Investitionskosten zu produzieren, schlägt sich in dieser technischen Ausstattung materiell nieder.

Die Protestierenden richten sich an den Staat als einzige Instanz, die sie in der Lage sehen, sie vor dem Druck der Konkurrenz zu schützen.

Es ist bezeichnend, dass die Abschaffung steuerlicher Vergünstigungen für Agrarbetriebe, mithin einer staatlichen Beihilfe, die Proteste auslöste. Sie richten sich an den Staat als einzige Instanz, die die Protestierenden in der Lage sehen, sie vor dem Druck der Konkurrenz zu schützen. Im Gegensatz zu Beschäftigten, die gegen ihren Arbeitgeber streiken, sind die Bäuer:in­nen mit ihrem Gegenüber in dieser Auseinandersetzung nicht durch ein Arbeitsverhältnis, sondern nur durch das Band der Staatsbürgerschaft verbunden, ideologisch verbrämt durch die Zugehörigkeit zur deutschen Nation. Die hohe Dichte schwarz-rot-goldener Fahnen, die Berufung darauf, etwas für die Gemeinschaft zu leisten, und die Betonung, dass man deutscher Bauer sei, sind durchaus logisches Resultat dieses Denkens.

Doch der Staat ist auch nicht allmächtig, sondern ebenfalls von den Zwängen des Kapitalverhältnisses getrieben. Dass er die wirtschaftliche Existenz der Bäuer:innen nicht dadurch sichert, dass er die gewohnten Verhältnisse bewahrt oder wiederherstellt, wird seinen Repräsentant:innen als persönliche und vorsätzliche Böswilligkeit ausgelegt. Unter anderem die bei den Demonstrationen mitgeführten Galgen und der Hass auf die Person Robert Habecks zeugen davon.

Auf vielen Traktoren wehte die Landvolkfahne

Wie alle sozialen Bewegungen, die sich gegen die Krisenphänomene des Kapitalismus richten, ohne einen Begriff ihrer Ursachen zu entwickeln, sind die Bauernproteste strukturell regressiv, »rechts«. Dass neben der Deutschlandfahne auf vielen Traktoren die Landvolkfahne weht, sagt also mehr über die Proteste aus, als den Fah­rer:innen der betreffenden Maschinen bewusst sein dürfte.

Das ist aber nicht primär Folge einer rechten Unterwanderung oder Instrumentalisierung der Proteste, sondern Resultat ihrer Entstehungsbedingungen. Deswegen können protestierende Bäuer:innen sich durchaus »gegen rechts« positionieren, sich von Nazis und Extremisten distanzieren und gleichzeitig auf ihren Demonstrationen Vertreter des völkischen Flügels der AfD reden lassen. Die Forderung nach symbolischen antifaschistischen Akten der Bewegung der Bäuer:innen – der Rechtsextremismusexperte Quent schlug im erwähnten Interview vor, die Bäuer:innen sollten die Rechten mit Regenbogenfahnen und Transparenten gegen Nazis vertreiben – wird den Triebkräften und Widersprüchen dieser Bewegung deshalb ebenso wenig gerecht wie die Annahme, die Ideologen von Compact, »Der III. Weg« oder die AfD würden diese steuern.