Entspannung mit Putin
Die Namensgeberin war nicht vor Ort. Ohne Sahra Wagenknecht wurde am Wochenende in Chemnitz der erste Landesverband der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) gegründet. Rund 60 Teilnehmer hatten sich in einem traditionsreichen Industriegebäude zusammengefunden, in der Stadt, die Berthold Sigismund einst wegen ihrer langen Industriegeschichte als »das sächsische Manchester« bezeichnete.
Der Ort für die Gründung war bewusst gewählt worden. »Ich bin schließlich Gewerkschafterin«, sagte Sabine Zimmermann der Tageszeitung ND. Die 63jährige saß früher für die Linkspartei im Bundestag, derzeit ist sie DGB-Regionalvorsitzende in Zwickau. In Chemnitz wurde sie zur Co-Vorsitzenden des Landesverbandes gewählt, gemeinsam mit dem Unternehmer Jörg Scheibe, der ein Ingenieursbüro leitet.
Ein bisschen Gewerkschaft, ein bisschen Unternehmertum also – »wir wollen keine Linke 2.0 sein«, betonte Zimmermann gegenüber der Leipziger Volkszeitung, man sei »linkskonservativ«. Es seien »auch viele Menschen dabei, die sich vorher noch nie politisch engagiert haben«. Eine Regierungsbeteiligung schloss Zimmermann nicht aus. »Aber wir stehen nicht als Mehrheitsbeschaffer für ein Weiter-so zur Verfügung.« Derzeit konzentriere man sich auf die Aufstellung der Kandidatenlisten für die ebenfalls bevorstehenden Kommunalwahlen im Juni.
Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Das BSW hat wohl gute Chancen, in beide Länderparlamente einzuziehen.
Ein Zusammengehen von ehemaligen Politikern der Linkspartei und lokalen Unternehmern: So wird wohl auch im benachbarten Bundesland Thüringen die Führung des Landesverbandes aussehen. Der dortige Parteiverband soll Mitte März gegründet werden. Das kündigte Wagenknecht bei einer Pressekonferenz am Freitag vergangener Woche an – gemeinsam mit der Eisenacher Oberbürgermeisterin und ehemaligen Linkspartei-Politikerin Katja Wolf und dem Medienunternehmer Steffen Schütz.
Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Das BSW hat wohl gute Chancen, in beide Länderparlamente einzuziehen. Besonders eines könnte in beiden Bundesländern für gute Wahlergebnisse sorgen: dass die neue Partei die Ukraine fallenlassen und sich mit Russland arrangieren will.
Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der FAZ von Ende Februar würden sich derzeit sieben Prozent der Wähler bei einer Bundestagswahl für das BSW entscheiden. Auf die Frage, ob sie sich »grundsätzlich vorstellen könnten, eine von Sahra Wagenknecht gegründete neue Partei zu wählen«, antworteten 24 Prozent der Befragten mit ja. Im Osten der Republik waren es 40 Prozent. Davon begründete knapp die Hälfte ihre Entscheidung damit, »dass sie mit der Russlandpolitik der anderen Parteien unzufrieden seien«.
Der Umfrage zufolge wünschten sich die potentiellen Wähler des BSW überdurchschnittlich häufig ein Ende der Unterstützung für die Ukraine sowie eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland. Darauf zielte auch die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali ab, im Anschluss an die Mitgliederversammlung in Chemnitz. Derzeit gefährde die Bundesregierung den Wirtschaftsstandort Deutschland, sagte die 44jährige. Kritik an der herrschenden russlandfeindlichen Haltung werde mit moralisch aufgeladenen Debatten abgewürgt. Deutschland brauche eine Stimme für Frieden und Deeskalation.
Wagenknecht selbst betonte am Wochenende in der FAZ einmal mehr, dass man mit Putin verhandeln müsse. Er habe den Krieg nur begonnen, um Nato-Truppen und US-amerikanische Raketen in der Ukraine zu verhindern, »es geht um Sicherheitsinteressen und nicht um Nationalismus«. Deshalb brauche es eine »Rückkehr zu Entspannung und Interessenausgleich«.
Einer Allensbach-Umfrage zufolge wünschen sich die potentiellen Wähler des BSW überdurchschnittlich häufig ein Ende der Unterstützung für die Ukraine.
Vor allem in Sachsen dürfte es einige Unterstützung für so eine Haltung geben. Seit Monaten trommelt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) für einen Kehrtwende in der deutschen Russlandpolitik. »Leider vertritt die Bundesregierung die Grundhaltung: Wir wollen keine Verhandlungen, sondern Waffenlieferungen«, sagte der Christdemokrat etwa im Dezember den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Eine aktuelle Umfrage des MDR unter 28.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ergab, dass drei von vier Befragten die deutschen diplomatischen Bemühungen zur Befriedung des Konfliktes nicht weit genug gehen. Die deutschen Waffenlieferungen gehen rund 65 Prozent zu weit. Nur jede und jeder Fünfte findet sie angemessen.
Sollte die Russlandpolitik bei der Wahlentscheidung in ostdeutschen Bundesländern eine entscheidende Rolle spielen, kann die parteipolitische Beutegemeinschaft namens BSW einer erfolgversprechenden Zukunft entgegenblicken. Erste Schritte dafür wurden schon getan. Am Montag verkündete Sahra Wagenknecht, dass man die Hürde für die Teilnahme an der Europawahl am 9. Juni genommen habe. Insgesamt hätte man 18.000 Unterschriften von Unterstützern, die sich ihre Wahlberechtigung von ihren Kommunen hatten bestätigen lassen. Notwendig wären nur 4.000 Unterschriften gewesen.