Deutschlands selektive Antisemitismusbekämpfung

Gegen den Antisemitismus der anderen

Deutschland will derzeit Stärke gegen islamischen und linken Antisemitismus zeigen. Der eigene bleibt dabei vergessen. Auch die geforderten Maßnahmen sind fragwürdig.
Kommentar Von

Antisemitismus wird zumeist dort am vehementesten bekämpft, wo es ohne Konsequenzen für einen selbst bleibt. Derzeit überbieten die deutschen Politikerinnen und Politiker einander darin, islamis­tischem und linkem Antisemitismus Grenzen aufzuzeigen. Der selektive Kampf gegen Antisemitismus ist jedoch unglaubwürdig. Wo jetzt Härte und Entschlossenheit demonstriert wird, war man zuvor butterweich. Und man erkennt den Antisemitismus immer genau dann, wenn es nicht ums eigene Milieu geht.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert mit Blick auf die antisemitischen Demonstrationen Abschiebungen und die Möglichkeit eines Entzugs des deutschen Passes – selbstverständlich nur für Eingewanderte. Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bleibt aber trotz der Flugblattaffäre sein Stellvertreter – und seinen Pass darf er sowieso behalten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft die arabische Bevölkerung auf, sich von Antisemitismus zu distanzieren. Noch vor vier Jahren sendete er Glückwünsche zum Jahrestag der Revolution an das iranische Terrorregime.

»Wir dulden Antisemitismus nicht«, verkündet Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Jahrestag der Novemberpogrome – »Nirgendwo!« Kurze Zeit später empfängt er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der die Hamas als Freiheitskämpfer feiert.

Die Phantasie, Antisemitismus lasse sich abschieben, soll Einsatzwillen vermitteln.

Weil man es sich mit der Türkei, Qatar oder dem Iran nicht verscherzen will, setzt man eben die arabische Fahrradkurierin hierzulande unter Bekenntnisdruck. Als Drohinstrument dient dabei die rhetorische Allzweckwaffe Abschiebung. Die Phantasie, Antisemitismus lasse sich abschieben, soll Einsatzwillen vermitteln; man ist zu drastischen Konsequenzen bereit, um dem Problem Herr zu werden. In Wahrheit ist sie allerdings eher ein Zeugnis politischer Hilflosigkeit.

Es braucht Repression im Kampf gegen Antisemitismus, jedoch steht die Forderung nach Abschiebung rechtsstaatlich auf bestenfalls wackligen Beinen und wäre praktisch kaum vollziehbar. Sie ist eine vollkommen unzureichende und zumeist folgenlose Antwort auf den Massencharakter der antisemitischen Bewegung.

Ohnehin bleiben Antisemiten auch nach einer Abschiebung Antisemiten. Sie drangsalieren Jüdinnen und Juden dann nur andernorts. Die Forderung nach Abschiebung kostet aber nichts, im Gegensatz zu Programmen für Integration, politische Bildung und Antisemitismusprävention, an denen derzeit heftig gespart wird.

Der Journalist Jan Fleischhauer schreibt: »Am Ende geht es um die Frage, wen wir in Deutschland halten wollen: die Juden oder die antisemitischen Troublemaker.« Die antisemitischen Troublemaker bei »Querdenkern«, den Reichsbürgern, Pegida und der AfD hin­gegen scheinen längst vergessen.
Selektive Antisemitismusbekämpfung wird häufig damit legitimiert, dass man sich eben gegen die größte Gefahr für Jüdinnen und Juden wende.

Antisemitismus aber ist ein ideologisches Bindeglied. Jede Form des Hasses gegen Jüdinnen und Juden stützt die anderen. Aiwanger wird nicht losziehen, um die nächste Synagoge in Brand zu setzen. Das antisemitische Flugblatt in der Schultasche Aiwangers als Jugendsünde zu bagatellisieren, trägt aber ebenso wie seine Selbststilisierung als Opfer zu einem Klima der Indifferenz und Häme bei, dass das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland gefährlicher macht.

Gegen jeden Antisemitismus zu sein, erfordert ­unter Umständen, schmerzhafte Eingeständnisse zu machen und Brüche zu vollziehen.

Der islamische und linke Antisemitismus bietet vielen derzeit eine Entlastungserzählung. Kürzlich machte ein Interview des britischen Moderators Piers Morgan mit dem Publizisten Douglas Murray die Runde. Geteilt wurde es unter anderem von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Karin Prien und Veronica Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft. Murray vergleicht darin die Mordtaten der Hamas mit denen der Nazis und nennt einen aus seiner Sicht eklatanten Unterschied: Die Nazis hätten die Shoah zwar als Notwendigkeit angesehen, mindestens unbewusst jedoch um den menschenverachtenden Charakter ihrer Tat gewusst. Die Hamas hingegen habe die Massaker am 7. Oktober mit großer Freude begangen.

Das fällt in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Hier ist man seit jeher der Überzeugung, die Deutschen hätten ihre Mordtaten gegen den eigenen Willen begangen. Als Daniel Jonah Goldhagen diese Vorstellung vom Kopf auf die Füße stellte und die Willigkeit von Hitlers Vollstreckern in den Mittelpunkt seiner Analyse stellte, beschimpfte ihn beispielsweise der Publizist Rudolf Augstein als »Scharfrichter«.

Fridays for Future Deutschland ist es gelungen, sich vom Anti­semitismus der internationalen Organisation zu distanzieren. Die Rote Flora hat mit ihrem Transparent gegen Antisemitismus sicher einige Sympathisant:innen verprellt. Gegen jeden Antisemitismus zu sein, erfordert ­unter Umständen, schmerzhafte Eingeständnisse zu machen und Brüche zu vollziehen. Das bürgerliche bis rechtskonservative ­Lager, das derzeit Stärke zeigen will, ist dazu selten imstande.