Rebecca Schönenbach, Terrorismusexpertin und Politik­beraterin, im Gespräch über den Einfluss des Iran an deutschen Hochschulen

»Universitäten können Orte der Radikalisierung sein«

Die Islamische Republik Iran gehört zu den stärksten Unterstützern israelfeindlicher Terrorgruppen. In der vergangenen Woche wurde be­kannt, dass es seit 2012 zwischen deutschen Universitäten und den iranischen Revolutionsgarden (IRGC) wissenschaftliche Koope­ra­tio­nen gegeben hat. Diese 1979 nach der iranischen Revolution gegründete »Armee der Wächter der Islamischen Revolution« ist eine zweite Streitmacht neben der Armee, verfügt über einen eigenen Geheim­dienst sowie eigene Wirtschaftsunternehmen und untersteht dem Obersten Führer Ali Khamenei.
Interview Von

Am Dienstag vergangener Woche haben Sie mit Ihrem Verein »Veto! Für den Rechtsstaat« zusammen mit dem Mideast Freedom Forum Berlin den Londoner Terrorismusexperten Kasra Aarabi zu einer Pressekonferenz nach Berlin geladen. Was war der Grund dafür?
Kasra Aarabi ist ein Spezialist, der für die US-amerikanische NGO United Against Nuclear Iran (UANI) vor allem das Wirken der iranischen Revolutionsgarden (IRCG) in Europa und dem Nahen Osten erforscht. Er hatte uns geschrieben, dass er Quellen auf Farsi ausgewertet habe, die einen Austausch von fünf deutschen Universitäten mit der University of Religions and Denominations (URD; Universität der Religionen und Konfessionen) im iranischen Qom belegen: Es gab interreligiöse Dialoge, gegenseitige Besuche von Delegationen und Studentenaustausch. Die URD hat direkte Verbindungen zu den Revolutionsgarden, die die libanesische Terrormiliz Hizbollah finanzieren.
Die Quellen waren öffentlich zugänglich und nicht schwer zu finden. Der URD-Präsident ist Mitglied der IRGC, auch ist die gesamte Universität dem Geheimdienst des iranischen Regimes unterstellt. Diejenigen, die an Studentenaustauschen mit den deutschen Universitäten teilgenommen haben, waren vom Geheimdienst ausgewählte Agenten. Sie mussten Berichte schicken, wen sie in Deutschland getroffen und was diese Gesprächspartner ihnen erzählt hatten.

Die Universitäten wurden über diese Verbindungen informiert. Wie haben sie reagiert?
Sie hatten 14 Tage Zeit, darauf zu antworten. Die Goethe-Universität Frankfurt bedankte sich für das Dossier und schrieb, dass man von der Tiefe der Verbindungen nichts gewusst habe. Diese Antwort suggeriert, dass der Universität die Verbindung durchaus bewusst war. Die Freie Universität Berlin vermeldete, dass es lediglich um individuelle Kontakte eines Professors zu Fachkollegen an der URD gegeben habe. Dieser Professor hatte dort noch im Mai einen Vortrag gehalten. Die Universität Münster antwortete, dass es weder eine gesamtuniversitäre Kooperation noch eine Vereinbarung mit dem betreffenden Institut gegeben habe, sondern lediglich eine wissenschaftliche Kooperation mit einem Forscher, dessen Heimatuniversität die URD sei. Die Universität Paderborn bestätigte der Taz, dass es bis 2021 eine Kooperation gegeben habe. Dass eine iranische Postdoktorandin noch in Paderborn lehrt und sogar eine wissenschaftliche Konferenz im Februar vorbereitet, sei der Universität zufolge nicht Teil ihres Dienstauftrags. Die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sagte, dass keine Kooperation mit der URD bestanden habe.

Können Sie das Problem erläutern, das in diesen Kooperationen steckt?
Das ist zum einen das enorme Gefährdungspotential vor allem für Jüdinnen und Juden, aber auch für iranische Dissidentinnen und Dissidenten in Deutschland. Die Agenten können jüdische Strukturen ausspionieren und Anschläge vorbereiten, außerdem gehört zu ihrem Auftrag, Leute in Europa zu identifizieren, die sich potentiell für das Regime als Lobbyisten rekrutieren lassen. Zum anderen werden die Radikalisierungsmöglichkeiten des iranischen Regimes an Universitäten nach wie vor erheblich unterschätzt. Man verharrt in der naiven Vorstellung, dass Bildung gegen Radikalisierung helfe. Aber ein großer Anteil der islamistischen Terroranschläge in Europa wurde von Studenten verübt. Universitäten sind nicht per se Orte der Aufklärung, sondern es können auch Orte der Radikalisierung sein.

»Iranische Agenten können jüdische Strukturen ausspionieren und Anschläge vorbereiten, außerdem gehört zu ihrem Auftrag, Leute zu identifizieren, die sich für das Regime als Lobbyisten rekrutieren lassen.«

Wie geht es nun weiter?
Wir haben alle Universitäten und zuständigen Stellen gebeten, eine Untersuchung einzuleiten – die Abgeordneten, mit denen wir darüber Gespräche geführt haben, nahmen die Berichte mit schockierten Gesichtern auf. Die URD muss verboten werden in Deutschland, damit solche Zusammenarbeit nicht mehr stattfindet. Außerdem argumentieren wir, dass die Revolutionsgarden endlich auf die Terrorliste der EU gesetzt und innerhalb Deutschlands mit einem Betätigungsverbot belegt werden müssen. Sie sind zwar bereits sanktioniert, aber die Sanktionen auf EU-Ebene verbieten keine Radikalisierungsbemühungen. Wenn ich mit einer IRGC-Flagge auf der Straße wedele, würde ich nicht belangt werden. Man sieht anhand des Betätigungsverbots der Hamas, dass auch innerhalb Deutschlands Maßnahmen möglich sind, so dass man gar nicht die EU-Ebene anrufen bräuchte.

Das Innenministerium hat Anfang November den deutschen Ableger von Samidoun, des »internationalen Solidaritätsnetzwerks für palästinensische Gefangene«, verboten. Die Gruppierung ist eine Tarnorganisation der terroristischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), pflegt direkte Verbindungen zum iranischen Regime und hat das Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel glorifiziert. Sie haben sich intensiv mit der Gruppe beschäftigt. Was halten Sie von dem Verbot?
Es ist ein sinnvoller Schritt, schade ist nur, dass es nicht an konkrete Maßnahmen gekoppelt ist. Die Gruppe war sehr aktiv in Deutschland, ihre Führungsfiguren Khaled Barakat und Charlotte Kates sind 2015 nach Deutschland gezogen. Sie haben es geschafft, sich hier geschickt mit linken Gruppen zu vernetzen. Das ging so weit, dass Kates, die regelmäßig in iranischen Propagandasendern als Gesprächspartnerin auftaucht, 2018 bei einer Großdemonstration des Bündnisses »Unteilbar« in Berlin auftreten durfte.
Die Gefahr, die von einer Gruppe wie Samidoun ausgeht, wurde jahrelang unterschätzt, weil man nur auf radikale Islamisten geschaut hat, aber nie auf säkulare antisemitische Kräfte. Sie radikalisieren nicht nur Jugendliche aus migrantischen Milieus, sondern auch Menschen im akademischen Milieu, egal welcher Herkunft. Durch ihr säkulares Auftreten, das den Lifestyle von jungen Leuten spiegelt, konnten sie Milieus erreichen, die sich eigentlich nicht zu Islamisten hingezogen fühlen.

An welche Maßnahmen denken Sie?
Der Deutschland-Koordinator Zaid Abdulnasser, ein in Syrien geborener palästinensischer Flüchtling, wurde schon vor dem 7. Oktober mit einem Betätigungsverbot belegt, was er jedoch komplett ignoriert. Er tritt ständig bei Veranstaltungen auf, wie zuletzt am 4. November in Berlin bei einer Konferenz der in der Türkei gegründeten Gruppe Anti-Imperialist Front. Es müssen nicht nur die Samidoun-Plakate auf der Sonnenallee abgekratzt, sondern auch Abdulnassers Auftritte verhindert werden, und die Personen, die diese Leute einladen, müssen mit belangt werden. Der linke Solidaritätsverein Rote Hilfe, der bisher Abdulnasser im Prozess um seine Ausweisung unterstützt hat, hat sich zwar von ihm distanziert, aber nicht alle Ortsgruppen, wie etwa diejenige in Berlin, folgen der Distanzierung.

In einem Beitrag für das Online-Magazin Audiatur haben Sie kürzlich die Schweiz vor der Gruppe gewarnt. Warum?
Die Schweiz hat weder die Hamas noch Samidoun als Terrororganisation bezeichnet. Wenn Samidoun nicht mehr in Deutschland auf Ressourcen zurückgreifen kann, werden sie dorthin ausweichen, wo schon jetzt die Rote Hilfe Schweiz die Aktionen von Samidoun unterstützt, darunter antisemitische Ausstellungen und Tagungen, sowie direkte Hilfen gewährt. Das Radikalisierungspotential ist dort genauso hoch wie in Deutschland. Die Anhänger von Samidoun betrachten die Schweiz wegen des ersten Zionistenkongresses von Theodor Herzl 1897 in Basel als Ursprungsland des Zionismus. In Deutschland vertrauten sie auf das Mobilisierungspotential durch die hohe Zahl palästinensischstämmiger Menschen, in der Schweiz bauen sie darauf, dass die Regierung ihre Unterstützung für Israel aufgibt, weil sie nicht so fest hinter Israel steht wie die deutsche. Über die Schweiz könnten die Samidoun-Anhänger wieder Zugriff auf den Rest von Europa bekommen.

In der vergangenen Woche haben die Fraktionen der Ampelkoalition in einem Antrag die alte Forderung erneuert, dass die deutsche Bundesregierung das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) schließen möge, dem Landesamt für Verfassungsschutz zufolge ein »Außenposten des iranischen Regimes in Europa«. Rückt ein Verbot näher?
Angeblich liegt die Verbotsverfügung seit Juli auf dem Schreibtisch von Innenministerin Nancy Faeser. Kasra Aarabi hat im Zuge seiner aktuellen Erkenntnisse auch Verbindungen des IZH zu den Revolutionsgarden offengelegt. Das sollte eigentlich ausreichen, um das Verbot zu begründen. Wir haben ein Gespräch gehabt mit einem Politiker der Koalition, der gesagt hat, wenn wir das IZH verbieten, dann gehen die in den Untergrund. Das ist ein lustiges Argument, denn da sind sie ja längst! Den Untergrund gibt es schon, und dass man dem Regime offiziell erlaubt zu agitieren, ist ein Sieg für die Mullahs, und die betrachten das auch als solchen. In ihrer Propaganda denken sie: »Wir sind so mächtig, ihr traut euch nicht, gegen uns vorzugehen.« In Wahrheit ist das Quatsch. Wenn man ihnen die Informationshoheit überlässt, ermöglicht man Radikalisierung und Terroranschläge.

*

Rebecca Schönenbach ist Volkswirtin und Spezialistin für Terrorismus und ­Ex­tremismus. Sie hat an der britischen Academy for International Modern Studies ein einjähriges Zusatzstudium zu islamischer Finanzierung absolviert und arbeitet als selbständige Politikberaterin. Unter anderem hat sie für das Auswärtige Amt einen Beitrag mit dem Titel »Plädoyer für eine feministische Realpolitik – im Spannungsfeld zwischen utopischer Grundlage und Nationaler Sicherheitsstrategie« verfasst. Neben ihrer Beratungstätigkeit leitet sie ehrenamtlich zwei Vereine: »Frauen für Freiheit« setzt sich gegen Gewalt gegen Frauen und für Gleichberechtigung ein, »Veto! Für den Rechtsstaat« berät in Fragen der inneren Sicherheit.