Die enge Verbundenheit Polens mit Ungarn hat einen Knacks bekommen

An Putin entzweien sich die Rechten

Jahrzehntelang war Polen ein enger Verbündeter Ungarns. Aber bei der Russland-Politik hört die Freundschaft auf.

»Pole, Ungar – zwei gute Freunde. Zusammen kämpfen sie, zusammen trinken sie ihren Wein.« Dieses Sprichwort gibt es in ähnlicher Form sowohl in der ungarischen als auch in der polnischen Sprache. Es spiegelt eine Sympathie wider, die auf ähnlichen historischen Erfahrungen der beiden Länder in der Neuzeit beruht. Beide haben sich lange und oft erfolglos gegen fremde Großmächte zur Wehr gesetzt – Polen vor allem gegen Russland und Preußen und Ungarn gegen das Osmanische Reich und die Habsburger-Monarchie.

Dabei haben Herrscher und Militärs des einen Landes auch immer wieder die Geschicke des anderen beeinflusst. So wird etwa der Ungar Stephan Báthory als großer König von Polen (ab 1576) verehrt und der polnische General Józef Bem als Held der ungarischen Revolution von 1848/49. In der Geschichte des 20. Jahrhunderts war es vor allem die Erfahrung der Integration in den sowjetischen Herrschaftsbereich, die beide Länder teilten.

Politikwissenschaftler sprechen von national-akkommodativen Regimen, in denen die Kommunistische Partei stellenweise von der sowjetischen Orthodoxie abwich, indem sie den Kompromiss mit nichtsozialistischen Teilen der Gesellschaft suchte und Marktexperimente in der Wirtschaft zuließ. So gab es in Ungarn bereits zu Beginn der achtziger Jahre private Firmen. In der Industrie war es Mitarbeitern erlaubt, Maschinen und Werkzeuge des Betriebs nach Feierabend für den eigenen privaten Kleinbetrieb zu nutzen. In der Kulturpolitik gab Generalsekretär János Kádár die Devise aus, »Wer nicht gegen uns ist, ist für uns«: Solange Kunst und Kultur nicht ausdrücklich gegen das Regime agitierten, wurden sie geduldet.

Polen und Ungarn liegen mit den EU-Institutionen im Clinch, weil ihnen aufgrund ihres autoritären Staatsumbaus EU-Mittel in Milliardenhöhe verwehrt werden könnten.

In Polen wiederum behielt die katholische Kirche ihren großen gesellschaftlichen Einfluss. Die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, eine mit quasi absoluter Macht ausgestattete Staatspartei, versuchte 1986 die Opposition mit der Einrichtung eines Verfassungsgerichts oder der Amnestie bekannter Oppositioneller in das System einzugliedern. Auch gab es in der Zwischenkriegszeit keinen bewaffneten Konflikt zwischen Polen und Ungarn, anders als etwa zwischen Polen und der Ukraine oder Ungarn und Rumänien.

Neues Leben hat dieser historisch gewachsenen Sympathie zunächst der Integrationsprozess in EU und Nato in den neunziger und nuller Jahren eingehaucht. Diesen Weg gingen Ungarn und Polen gemeinsam mit Tschechien und der Slowakei. Die gegenseitige Unterstützung auf diesem Weg wurde in der ungarischen Stadt Visegrád institutionalisiert – man bezeichnet die vier Länder daher als Visegrád-Staaten.

Um diese Vereinigung war es zwar nach dem gleichzeitigen EU-Beitritt ihrer Mitglieder im Jahr 2004 ruhiger geworden, doch mit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 verstärkte sich die Zusammenarbeit der vier Länder wieder, da ihre Regierungen die Aufnahme von Flüchtlingen und deren Verteilung in den EU-Staaten ablehnten. Nach der Regierungsübernahme EU-freundlicher liberal-konservativer Parteien beendeten Tschechien und die Slowakei die Blockade der Migrationspolitik und strebten eine stärkere Integration in die EU an. Seither sind es vor allem Polen und Ungarn, die gegenüber der EU meist die gleiche Linie vertreten.

Die rechten Regierungen beider Länder liegen mit den EU-Institutionen im Clinch, weil ihnen aufgrund des autoritären Umbaus die Auszahlung von EU-Mitteln in Milliardenhöhe verwehrt werden könnte. Das autoritär-nationalistische Politikmodell der beiden Regierungsparteien Fidesz in Ungarn und PiS in Polen, das konfliktreiche Verhältnis zur EU und das gute historische Verhältnis der beiden Länder könnten also weiterhin eine stabile Basis bieten für eine Kameradschaft der beiden »starken Männer« Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsidenten, und Jarosław Kaczyński, Polens stellvertretendem Ministerpräsidenten und Vorsitzendem von PiS. Doch der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine schwere Belastung für dieses Bündnis.

Als Orbán nach dem Massaker von Butscha zögerte, Russland als Täter zu verurteilen, und eine internationale Untersuchung des Geschehens forderte, kritisierte ihn Kaczyński ungewohnt scharf.

Das zeigt sich auf vielfältige Weise. Das ungarische Rechercheportal Direkt 36 hat in Zusammenarbeit mit dem polnischen Recherchenetzwerk Vsquare, das investigativ in den Visegrád-Staaten arbeitet, vom Kriegsausbruch bis zum Mai 2023 die Entfremdung zwischen den beiden Staaten dokumentiert und dafür mit über 30 Quellen gesprochen, dar­unter hochrangigen un­garischen und polnischen ­Diplomaten. Das Bild, das die Journalisten zeichnen, zeigt nicht nur eine Empörung der polnischen Öffentlichkeit über Ungarn, sondern auch eine rapide Abkühlung der Beziehungen zwischen den Regierungen der beiden Länder. Verantwortlich ist hierfür die ungarische Haltung zu Russland, die man in Polen als zu unkritisch oder gar als unterwürfig betrachtet.

Als Orbán nach dem Massaker von Butscha zögerte, Russland als Täter zu verurteilen, und eine internationale Untersuchung des Geschehens forderte, kritisierte ihn Kaczyński ungewohnt scharf. Der ätzte in einem Radiointerview, Orbán solle einen Augenarzt aufsuchen, wenn er nicht sehe, was in Bu­tscha passiert ist. Die Haltung der beiden Länder hat sich seither kaum verändert. Die polnische Regierung bleibt ihrer harten Linie gegen Putins Russland treu. Und da man auch dem Nachbarn Deutschland misstrauisch gegenübersteht, stützt man sich in Warschau insbesondere auf die Nato, die im Gegensatz zur EU nicht von Deutschland, sondern den, als zuverlässiger wahrgenommenen, USA dominiert wird.

Ungarn dagegen irritiert die anderen Regierungen der EU und in diesem Fall auch Polen mit immer wieder neuen russlandfreundlichen Gesten und Aktionen. Mal setzt Orbáns Regierung auf EU-Gipfeln durch, dass das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche nicht auf die Sanktionsliste der EU kommt. Mal besucht der ungarische Außenminister Péter Szijjártó Belarus und Russland. Im einzigen Atomkraftwerk Ungarns in Paks laufen sowjetische Reaktoren, hier ist fortdauernde technische Zusammenarbeit mit russischen Technikern wohl unumgänglich. Doch auch den Auftrag für den Neubau Paks II erhielt 2014 der russische Staatskonzern Rosatom, noch im Juni 2022 erteilte die ungarische Atomenergiebehörde eine Genehmigung für einen weiteren Bauabschnitt. Solche Entscheidungen rufen immer wieder Irritationen bei der polnischen Regierung hervor.

Die ungarische Regierung stellt ihre Motive für die russlandfreundliche Haltung im In- und Ausland unterschiedlich dar. Während sie vor Vertretern westlicher Staaten, aber auch in Gesprächen mit polnischen Politikern, die historisch gewachsene Abhängigkeit im Energiesektor, neben der Atomenergie vor allem beim Gas, betont, scheint in der inländischen Propaganda eine gewisse ideologische Nähe zu Putins Regime durch. In Fidesz-nahen Medien gelten die USA als Kriegstreiber und die Ukrainer als unverbesserliche Nationalisten, die die ungarische Minderheit im westukrainischen Transkarpatien unterdrücken, sich von den USA instrumentalisieren lassen und Russland unnötig provoziert haben.

Orbán träumt seit Jahren von einer neuen rechten Europapartei, bestehend aus seiner Fidesz, Kaczyńskis PiS, der Lega des stellvertretenden italienischen Ministerpräsidenten, Matteo Salvini, und Marine Le Pens französischer Partei Rassemblement National.

Die ungarische Regierung bemüht sich zwar immer wieder darum, die Beziehungen wiederzubeleben, und lädt zu politischen Treffen ein. Doch dabei blitzen sie bei der polnischen Seite ab. In einer nichtöffentlichen Sitzung des ungarischen Parlaments hat Orbán der polnischen Regierung attestiert, sie wolle die Nato immer tiefer in den Konflikt mit Russland hineinziehen. Er wolle das zwar nicht bewerten, doch sei dies eben nicht Ungarns Standpunkt. Ungarns Regierung konstatiert die tiefe Meinungsverschiedenheit ebenso wie die polnische, sieht sie jedoch nüchterner und bemüht sich, mit der polnischen Regierung im Gespräch zu bleiben.

Das Zerwürfnis bremst in mancherlei Hinsicht den politischen Trend nach rechts in der EU. Orbán träumt seit Jahren von einer neuen rechten Europapartei, bestehend aus seiner Fidesz, Kaczyńskis PiS, der Lega des stellvertretenden italienischen Ministerpräsidenten, Matteo Salvini, und Marine Le Pens französischer Partei Rassemblement National. Doch der Streit über die Russland-Politik entzweit die potentiellen Partner. Während Salvini, Orbán und tendenziell auch Le Pen sehr putinnah sind, kann man das für PiS gar nicht behaupten.

Und in Italien hat die Nato-freundliche Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dem bekanntesten Träger eines Putin-T-Shirts, Matteo Salvini, längst den Rang abgelaufen. Ob es nach einem Ende des Ukraine-Kriegs zu einer Versöhnung der Beteiligten kommen kann, ist unklar. Die Frage »USA oder Russland« wird die Rechte wohl noch lange Zeit entzweien.